„Warum nicht ich? Warum immer nur die Anderen?“, denkt sich Andy Schroth. Der Angestellte einer Immobilienfirma möchte dabei sein beim großen Reibach. Investment-Geschäfte mit traumhaften Renditen sind der Renner – und Dieter Glanz ist der Mann, der sie im großen Stil tätigt. Unter 1,5 Millionen Euro wird er erst gar nicht aktiv. Also muss sich der kleine Immobilienmann mit den strahlenden Kinderaugen bis über die Ohren verschulden, Eltern und Kollegen mit ins Boot holen, um endlich zum exklusiven Club der Reichen zu gehören. Jetzt tanzt er mit auf der großen Seifenblase. Herr Durchschnitt trifft auf den neuen „König Midas“, den Messias der Spekulanten und Nichtstuer, und genießt das „süße Leben“. Doch die ehrliche Haut holt sich auf dem harten Pflaster der Realität eine blutige Nase.
Mit „Gier“ will Dieter Wedel der in die Jahre gekommenen Spaßgesellschaft, die sich ohne Arbeit reich und reicher spekuliert, den Spiegel vorhalten. Für den knapp sechs Millionen teuren Zweiteiler ließ sich der mehrfache Grimme-Preisträger vom Fall des Finanzbetrügers Jürgen Harksen inspirieren, der Anfang der 1990er Jahre sein hochstaplerisches Unwesen trieb. Wedels Thema ist aber „nicht nur die Gier nach Geld, sondern auch nach Freundschaft, dem Bedürfnis, einer auserwählten Gemeinschaft anzugehören“. Der 70-jährige Regisseur, der auch das Drehbuch geschrieben hat, lotet beide Seiten der glanzvollen Medaille aus: da steht auf der einen Seite der Guru, der mit Charisma, Rhetorik und dem schönen Schein die Leute immer wieder auf seine Seite bringt, und da tanzt auf der anderen Seite seine Gefolgschaft, die Hof-Schranzen und Speichellecker, die betrogen sein wollen von diesem „Schlingel“.
Warten (aufs Geld) ist dramaturgisch nicht sexy. Stellt sich die Frage, wie Wedel das Warten füllt. Er nimmt sich Zeit. In den ersten 90 Minuten, betitelt „Glanz und Gloria“, ist dieser ausladende Stil angemessen, im zweiten, „Das Duell“, wird die Zeit gelegentlich lang. Die Botschaft der Gesellschaftssatire ist längst angekommen, da beginnt für den Zuschauer das Warten auf den Mehrwert. Die Dramaturgie hängt im zweiten Teil immer wieder durch. Dafür gibt es allerhand zu sehen. Jeanette Hain irrlichtert tänzelnd und fast ohne Text wie die Bild gewordene Narzisse durch die schöne Welt. Ulrich Tukur könnte man noch stundenlang weiter zugucken, wenn seine Figur nur etwas mehr Nuancen hätte (nun ja, Satire bedient nur selten tiefes, tragikomisches Charakterfach!). Sibel Kekilli ist in „Gier“ die Frau, von der zu Recht die Medien wie einst bei Makatsch und Stemberger schreiben werden, dass sie die angenehmste Überraschung des Films ist. Und Devid Striesow vereint in seiner Rolle alles, für das wir diesen Schauspieler lieben: diese rotbackige Vorfreude, dieses Bauklötzerstaunen in der „Aufstiegsphase“; die ersten Zweifel, die sich in den Mundwinkeln breit machen; der Trotz, die Unsicherheit, der Druck und immer wieder die Naivität, die durchschlägt. Sein Andy Schroth ist ein Leisetreter, der sich vertritt und ins Tragische stolpert.
Das Medium bringt es mit sich, dass das Kritisierte abgebildet, inszeniert werden muss. Wedels Film lebt also selbst auch vom (falschen) Glanz, allerdings weniger vom Glanz der Reichen, dieser Mythos wird im Laufe der Geschichte selbst für den luxushörigsten Kleinanleger mit Hang nach oben entzaubert. Es ist vielmehr der sonnige Glanz der exotischen Schauplätze, die weißen Strände, die traumhaften Fincas. Diesen Degeto-Touch muss man wohl als Teil der Handlung akzeptieren. Gelegentlich gelingen Wedel und seinem Kameramann sogar außergewöhnliche Bilder. Striesow und Kekilli am Kap der guten Hoffnung – Strand, Himmel, Meer und ein guter Joke. Kekilli im Pool, Hain und Ochsenknecht beim Verführungstanz, auch das ist TV-Augenfutter, wie man es selten zu sehen bekommt.
Doch diese „Magic Moments“ laufen im zweiten Teil allzu oft ins Leere, da der Rahmen der Geschichte nicht trägt. Warten, Versprechungen, Tanz um den Pool, Auszahlungsfreude, dann wieder Warten, Versprechungen und so fort. Mit Schauspieler-Performances lassen sich solche dramaturgischen Mängel nicht beheben. Und das Genre Gesellschaftssatire sieht offenbar keine (Neben-)Charaktere vor, die eine eigene Geschichte besitzen, anstatt sich immer und immer wieder in einem grellen Fassade-Dasein zu ergehen. Bei Dieter Wedel bewegt sich einfach zu wenig unter der Oberfläche. Zu wenig Entwicklung, zu wenig Veränderung, zu wenig Spannung. „Gier“ belebt das Hollywood-Drama der 1980er Jahre mit den bunten Bildern des Event-Fernsehens. Kein schlechter Film, aber: für einen Wedel zu wenig. Und für den Zuschauer des Jahres 2010 wohl auch!