Gerry Star (Sascha Nathan) – der Name ist Programm. Nicht, dass er ein Star wäre, nein, er würde gern einer sein, ist aber nur ein Aufschneider, der sich nach außen als der große Durchblicker präsentiert. Dabei lebt der vollschlanke Musikproduzent im Nebenraum einer Bowlingbahn, wird dort nur von der Besitzerin Becky (Andrea Sawatzki) geduldet, weil er ihr versprochen hat, aus ihrer Tochter Stella (Franziska Annekonstans Winkler) das zu machen, was er nie sein wird: einen Star. Während ihr Sprechen narkoleptische Züge trägt, blüht sie beim Singen regelrecht auf und hat eine gute Stimme. Der erste Schritt auf der Karriereleiter könnte die Teilnahme am DSC sein. Das ist zwar nicht der Eurovision, sondern nur der Deggendorfer Song Contest, aber selbst die Beatles haben klein angefangen. Auch Gerrys und Stellas Band Family Strike ist eine Vierer-Combo, die komplettiert wird vom psychisch angeschlagenen Zausel Micha (Lars Rudolph) und dem gutaussehenden Koch Big B (Noah Tinwa). Bis zum Finale ist es ein langer Weg – zumal sich die Vier immer wieder selbst im Weg stehen. Aber auch Becky und Helli (Caro Cult), das Mädchen für alles, bremsen die Truppe immer mal wieder aus. Vor allem aber ist es Gerry, der vermeintliche Macher, der den möglichen Erfolg gefährdet. Mal legt er sich politisch unkorrekt mit dem kleinwüchsigen Herrn Möller (Peter Brownbill) an, der blöderweise DSC-Juror ist, und auch den zweiten Entscheider, Ronny Harder (Ben Becker), stößt er vor den Kopf. Alles, was er anpackt, geht nach hinten los.
Foto: Amazon Prime Video
Dass „Gerry Star – der schlechteste beste Produzent aller Zeiten“ im Stile einer Mockumentary erzählt wird, mag ob der vielen Vorgänger-Serien zwar wenig innovativ erscheinen, passt aber ähnlich wie in „Stromberg“ perfekt zum Kern der Geschichte(n). Durch die Statements, die die Figuren in die fingierte Doku-Kamera sprechen, wird das Bild vermittelt, das jeder Einzelne der „Belegschaft“ von Betty’s Bowlingbahn von sich abgeben möchte. Jeder, vor allem Gerry, möchte im besten Licht dastehen. Die meisten reden sich die Situation schön. Allein der liebeskranke Waldschrat Micha, den Lars Rudolph im Ralf-Wolter-Gedächtnis-Look verkörpert, ist nicht nur eine treue Seele, auch Ehrlichkeit geht ihm über alles. Und die Chefin, die offenbar in ihrem früheren Leben Prostituierte war, hat es nicht nötig herumzulavieren: Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Andrea Sawatzki verkörpert diese Becky unnachahmlich: knackig, zackig, biestig. Die Jungen hingegen haben ihren Weg noch nicht gefunden. Sie träumen, sind desillusioniert oder machen sich was vor. Und Gerry? Der sagt einmal, bevor er sich bei einem DSC-Kennlerntag mal wieder danebenbenehmen wird: „Geistig bin ich ja eher jünger als die anderen.“ Und damit liegt er gar nicht mal so falsch: Er ist zwar doppelt so alt wie Stella, Helli und Big B, mit seinem Lebensplan ist er aber keinen Schritt weiter als sie. Die Komik dieser Comedy in acht Folgen à 20 Minuten entsteht vor allem durch die Diskrepanz zwischen dem, was Gerry & Co sagen, und dem, was sie wirklich tun, zwischen Wunsch und Realität.
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Die Handlung verläuft nach dem Prinzip „Ein Problem kommt selten“ allein. Gerrys Weg wird gepflastert von Pleiten, Pech und Pannen, die so gut wie immer selbstverschuldet sind. Dramaturgisch zieht jedes Problem ein weiteres nach sich. Dass es trotzdem in Richtung DSC-Finalteilnahme weitergehen kann, das sind Zufälle oder glückliche Fügungen, beispielsweise ein Schlaganfall oder der Wankelmut der beiden Juroren, die sich die Autoren Tom Gronau und Max Wolter (beide auch Regie), ausgedacht haben. In der ersten Folge verlieren sich Timing und Tempo noch allzu oft in szenischer Kurzatmigkeit. Für Macher, die monatelang mit den Charakteren und Plots im Kopf gelebt haben, mag das eine stimmige Exposition sein. Für Zuschauer mit null Vorwissen, die den Verlauf der Handlung nur erahnen können (da hat der Krimi gegenüber der Comedy deutliche Vorteile), sehen die ersten 20 Minuten möglicherweise wie eine Comedy-Sketch-Parade aus. So richtig Spaß macht „Gerry Star“ erst, wenn der DSC-Plot Fahrt aufnimmt, wenn jede Folge neben dem köstlichen Nebengeplänkel einen zentralen Konflikt besitzt. Ab der zweiten Folge wird immer deutlicher, dass man diesen Gerry nicht ernst nehmen kann: Wie er den Wagen der schönen Video-Regisseurin Merle (Vivien König) schrottreif einparkt, das demaskiert den ewigen Aufschneider, zeigt aber auch, dass diese Figur eher wie ein unbelehrbarer Comedy-Kindskopf, ein Oliver Hardy im Porzellanladen, funktioniert und weniger als ein psychologisch komplexer Komödien-Charakter. Laut Betty ist Gerry „eine absolute Vollpfeife“.
„Gerry Star“ wurde von Pyjama Pictures produziert, die Firma, die auch Serien wie „Jerks“, „Die Discounter“ oder „Players of Ibiza“ zu Publikumserfolgen machte. Setting, Locations und Dramaturgie des neuen Loser-Streichs kommen der Prime-Video-Supermarkt-Serie am nächsten, die Typenkomik der Titelfigur erinnert eher an „Stromberg“. Mit dem Unterschied: der eine hat es in einer Versicherungsfirma zu ein bisschen was gebracht, während der andere immer ein Verlierer bleiben wird. Weil er einfach nichts auf die Reihe kriegt und unter maßloser Selbstüberschätzung leidet. Trotz dieser Prämisse, die eine gewisse Gleichförmigkeit der Konfliktauflösung impliziert, funktioniert die Serie komischerweise von Folge zu Folge besser. Man fragt sich: Was wird dieser Maulheld, dieser Vollpfosten auf zwei Beinen, wohl diesmal verbocken? Hinzu kommt, dass Brüche mit den gesellschaftlichen Konventionen, Tritte gegen politische Korrektheit, guten Geschmack und moralischen Konsens zu einer guten Comedy gehören wie Mord zum Krimi oder der Kuss zur romantischen Komödie. Und wie bei allen PP-Comedys gehört Fremdschämen zum Programm. Das ist nicht so schmerzhaft wie bei „Jerks“. Diese Momente werden zwar angekündigt, doch nicht so peinlich akzentuiert ausgespielt. Außerdem dürften es „Christian Ulmen“ und „Fahri Yardim“ bei aller peinlichen Trotteligkeit auf höhere Sympathiewerte (um nicht zu sagen: Identifikationspotenziale) bringen als Gerry Star, der grandiosen Performance von Sascha Nathan zum Trotz, dem man mit mehr Distanz begegnet – und begegnen wird: Fortsetzung dürfte folgen.