Gefangen

Wolfram Koch, Antje Traue, Elke Hauck. Jenseits konventioneller Fernsehfilmkost

Foto: WDR / unafilm
Foto Thomas Gehringer

Dramatisch, poetisch und ein bisschen unheimlich – so erzählt Elke Hauck die Geschichte eines Polizisten, den der Schock eines von ihm als Ersthelfer erlebten Verkehrsunfalls immer stärker gefangen nimmt. „Gefangen“ (WDR / unafilm) ist auch der Titel des Fernsehfilms mit einem herausragenden Wolfram Koch und einem abgelegenen Haus in den Hauptrollen. Der Polizist verdrängt, scheint aber bald wie magisch angezogen von dem Ort, an dem die ausgelöschte Familie lebte. Haucks Inszenierung setzt auf Atmosphäre und visuelle Ausdruckskraft statt auf Realismus und Erklärdialoge. Eine Filmparabel über Familie, Liebe und Tod, der dem Publikum viel Raum für eigene Gedanken und Interpretationen lässt.

Das ist mal eine nette Verkehrskontrolle. Die Polizisten Harry (Wolfram Koch) und René (Sebastian Schwarz) drücken nicht nur beide Augen zu, obwohl der Fahrer am Steuer mit seiner Frau telefoniert hat. Harry gibt dem reumütigen Verkehrssünder nach freundlicher Befragung auch zwei Ratschläge mit auf den Weg: Ronald (Godehard Giese) möge seiner Frau Blumen mitbringen und einfach mal ins Reisebüro fahren, um ihre Wunschreise nach Tunesien zu buchen. Online funktioniert das leider nicht, denn Ronald, Monika (Susanne Wuest) und ihre beiden Töchter wohnen recht idyllisch, aber abgeschieden in einem allein stehenden Haus ohne Internet-Anschluss. Im Wildgehege nebenan leben Wölfe, und im Zaun, über den Ronald den Kompostmüll wirft, „ist ein Loch, oder?“, wie eine der Töchter wissen will.

GefangenFoto: WDR / unafilm
Für den „Helden“ ein magischer Moment: Der Familienvater (Godehard Giese) stirbt noch am Unfallort in Harrys (Wolfram Koch) Armen. So nimmt er es jedenfalls wahr.

Ausgangspunkt der filmischen Parabel ist der folgende Alptraum: Ronald befolgt Harrys Ratschläge. Er kauft seiner Frau Blumen und macht sich mit der gesamten Familie auf den Weg, um im Reisebüro die ersehnte Reise zu buchen, doch das Quartett verunglückt mit dem Auto. Harry und René, die beide von einer Hochzeit kommen und auf dem Weg zur Arbeit sind, sind Augenzeugen und die ersten Helfer. Der Unfall selbst wird nicht explizit gezeigt, und der Einsatz der Ersthelfer hält ohne Wiederbelebungsversuchen sicher auch keinen realistischen Maßstäben stand. Stattdessen inszeniert Drehbuch-Autorin und Regisseurin Elke Hauck („Karger“, „Der Preis“) die Schlüsselszene konsequent aus Harrys Perspektive. Der Polizist erkennt Ronald wieder, außerdem scheinen alle Opfer nur noch auf ihn gewartet zu haben, ehe sie die Augen für immer schließen. Was das Publikum – nicht zum letzten Mal – sieht, ist nur bedingt Realität, sondern vor allem Harrys Wahrnehmung.

Am Anfang stehen zudem humorvolle Anspielungen: Polizisten den Namen Harry zu geben, kann in Deutschland eigentlich nicht arglos geschehen. Da schwingt unweigerlich „Derrick“ mit. Die sprechende Polizei-Puppe auf dem Rücksitz von Ronalds Wagen wiederum erinnert an klassische Cop-Filme: „Police! Put the gun down – now!“, befiehlt die Figur, die ein bisschen wie Tom Selleck aussieht. Der Wolfram-Koch-Harry aus „Gefangen“ dagegen ist weder ein Kriminalkommissar, noch pflegt er den Ton eines amerikanischen Straßencops. Im Gegenteil: Harry ist ein sympathischer Polizist aus Berufung, der nach seiner Zeit beim Staatsschutz und beim SEK nun wieder auf Streife geht, deshalb aber keineswegs Frust schiebt. Eine Rolle spielt noch ein ehemaliger Kollege (Thomas Lawinky), der einen einsamen Security-Posten in einem Flugzeug-Hangar inne hat. Doch statt um Polizeialltag und Karriere geht es hier um Familie und den zweiten Frühling eines Mannes im fortgeschrittenen Alter. Harrys neue Lebensgefährtin, Polizei-Ausbilderin Ellen (Antje Traue), ist schwanger. Und während Harrys erwachsener Sohn aus erster Ehe sein eigenes Leben führt, würde Tochter Vicky (Lola Liefers) gerne bei ihrer Mutter aus- und bei Ellen, ihrem Vater und dem zu erwartenden Geschwisterchen einziehen. Das Erlebte tut Harry als normalen Polizeialltag ab, sein neues Glück soll der schreckliche Unfall nicht beeinflussen. Das hat sich Harry, wie ein Gespräch mit der Polizeipsychologin (Meral Perin) deutlich macht, fest vorgenommen.

GefangenFoto: WDR / unafilm
Eine filmische Parabel wird zu einem Alptraum. Polizist Harry (Wolfram Koch) ist überzeugt, dass das Haus der Toten das neue Zuhause für seine Familie werden soll.

Die zweite Hauptrolle in „Gefangen“ spielt das Haus der bei dem Unfall ausgelöschten Familie, ein von außen idyllisch wirkendes, von Natur umgebenes Anwesen. Das geheimnisvolle Wildgehege nebenan trägt sein Übriges zu der leicht surrealen, aus der Zeit gefallenen Atmosphäre bei, die auch im Inneren des Anwesens herrscht. Harry, der wortlos den erlebten Schrecken verdrängt, wird auf unerklärliche – und im Film auch unerklärte – Weise angezogen von diesem Ort. Will er sich das Haus aneignen, oder ist es das Haus, das ihn gefangen nimmt? Will er das Leben der toten Familie fortsetzen – als Akt der Wiedergutmachung für die von ihm erteilten, verhängnisvollen Ratschläge? Will er sich mit ihrer Gegenwart konfrontieren, um das eigene Trauma zu bekämpfen? Elke Hauck setzt die Reise in die Gefühlswelt des Polizisten in einer Mischung aus Familiendrama und Horrorfilm in Szene, ein bisschen poetisch und verträumt, ein bisschen gespenstisch, aber ohne die ganz großen Schockmomente, auch wenn ein Wolf am Ende eine gewisse Rolle spielt.

Atmosphäre und visuelle Ausdruckskraft (Kamera: Patrick Orth) gehen hier vor strikten Realismus und Erklärdialogen, insofern hebt sich „Gefangen“ von konventioneller Fernsehkost ab. Wer einen Film mit eindeutiger Auflösung erwartet, der wird nicht zufrieden sein. Dafür lässt Hauck dem Publikum viel Raum für eigene Gedanken und Interpretationen – und insbesondere dem vielseitigen Wolfram Koch (Grimme-Preis für „Dead Man Working“) viel Raum, sein Können zu beweisen. Koch, der ja nicht nur „Tatort“-Kommissar ist, sondern auch eine eindrucksvolle Theater-Karriere vorweisen kann, gibt hier souverän und unaufgeregt den Streifen-Polizisten, der verdrängt und neuen Halt sucht. Und die immer etwas geheimnisvolle Antje Traue bildet mit ihrer Ausstrahlung einen schönen Kontrast zum eher bodenständigen Typus Wolfram Koch. (Text-Stand: 9.3.2021)

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Fernsehfilm

WDR

Mit Wolfram Koch, Antje Traue, Sebastian Schwarz, Lola Liefers, Godehard Giese, Susanne Wuest, Thomas Lawinky, Meral Perin, Anna Böger

Kamera: Patrick Orth

Szenenbild: Sonja Jovanovic

Kostüm: Manfred Schneider

Schnitt: Beatrice Babin

Musik: Tobias Wagner

Redaktion: Lucia Keuter

Produktionsfirma: unafilm

Produktion: Titus Kreyenberg

Drehbuch: Elke Hauck

Regie: Elke Hauck

Quote: 4,99 Mio. Zuschauer (16% MA); Wh. (2024): 2,96 Mio. (11,8% MA)

EA: 07.04.2021 20:15 Uhr | ARD

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