Gefährliche Freundin

Harfouch, Thalbach, Rohde, Kurzawa, Huntgeburth. Im Wechselbad der Gefühle

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Foto Rainer Tittelbach

Katharina Thalbach und Corinna Harfouch sind Hanna und Bibi in Hermine Huntgeburths Fernsehfilm „Gefährliche Freundin“. Zwei ungewöhnliche Frauentypen, zupackend und bodenständig, zwei Heldinnen, wie man sie selten sieht im Fernsehen der 90er Jahre. Sie scheinen eher dem englischen Working-Class-Kino eines Ken Loach oder Mike Leigh entsprungen zu sein. Die beiden Schauspielerinnen verlassen sich nicht auf dramaturgische Wirkung, sie erspielen sich ihre Charaktere, spüren deren psychologische Entwicklung nach – physisch, sinnlich, 90 Minuten in Bewegung. Dafür bekamen beide den Grimme-Preis!

Zwei Frauen, Anfang 40, geschieden. Die eine träumt von einer Kneipe, die andere von Männern. Gelangweilt arbeiten sie in den Tag hinein, die eine als Sekretärin, die andere als Packerin. Und abends schleift die abenteuerlustige Bibi die ewige Zweite Hanna zu allerlei dumpfen Vergnügungen. Als Hanna ihren Job verliert und ihre Tochter auszieht, ist mal wieder ein Besäufnis angesagt. Sie gabeln sich zwei Fernfahrer auf – und am Ende liegt einer tot in Bibis Bett. Bibi, die sich an nichts erinnern kann, wandert in den Knast, Hanna, die Mörderin, bekommt eine Bewährungsstrafe. Sie verkauft ihre Geschichte an eine Zeitschrift und ersteht vom Honorar eine Kneipe. Doch dem kleinen Glück stellt sich Bibis Ex entgegen. Als Bibi frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird, nimmt sie die Sache in die Hand.

Zwinkert Hanna dem Zuschauer durchs Gefängnisgitter auch zu, mit dem Glück war’s wieder nichts. „Wenn Schreckliches passiert, muss auch Humor in einen Film – sonst hält man das Ganze nicht aus.“ So banal dieser Satz von Regisseurin Hermine Huntgeburth, so treffend charakterisiert er doch das Geheimnis von „Gefährliche Freundin“, diesem starken Stück aus der „Wilde Herzen“-Reihe in der ARD, einer Tragikomödie um Neid und Zuneigung, Schuld und Treue und um das Glück, das man sich mit Gefängnis erkaufen muss. Wie an einem Rettungsanker kann sich der Zuschauer am vereinzelt schwarzen Humor und den Signalen sozialkritisch unterfütterter Ironie festhalten, um nicht im Strudel des Unerträglichen unterzugehen. Dankbar ist man über Marianne Rosenbergs Soundtrack zum Plastiksackmord („Marlen, einer von uns beiden muss jetzt gehn“) oder die köstliche Abba-Parodie in der ekligen Sauf-&-Fick-Szene; erheiternd aber auch die Männerentsorgung per Einkaufswagen.

Gefährliche FreundinFoto: WDR
Für die Ladys ruft der Knast, und die Männer (u.a. Armin Rohde) kriegen ganz schön was ab von den gefährlichen Freundinnen.

Grimme-Preis Spezial: Katharina Thalbach & Corinna Harfouch
Die Begründung (tit.)

Zwei Frauen, die voll im Leben stehen und die nicht jeder sofort ins Herz schließt. Sie zeigen beide den Männern, wo es langgeht. Die eine mit Perücke, Tiger-Top und frecher Schnauze, die andere trotzig patent, im Stile einer grauen Maus. Zwei Frauen und der Traum vom Glück. Freundschaft, Eifersucht, Maloche, Lebenslust, Erotik – alles schwingt mit. Hinzu kommen zwei Männerleichen und gelegentlich ein ironisches Augenzwinkern.

Katharina Thalbach und Corinna Harfouch sind Hanna und Bibi in Hermine Huntgeburths Fernsehfilm „Gefährliche Freundin“. Zwei ungewöhnliche Frauentypen, zupackend und bodenständig, zwei Heldinnen, wie man sie selten sieht im Fernsehen der 90er Jahre. Sie scheinen eher dem englischen Kino eines Ken Loach oder Mike Leigh entsprungen zu sein. Die beiden Schauspielerinnen verlassen sich nicht auf dramaturgische Wirkung, sie erspielen sich ihre Charaktere, spüren deren psychologische Entwicklung nach – physisch, sinnlich, als heißer Draht zwischen Geschichte und Zuschauer, 90 Minuten in Bewegung. Die Harfouch einmal nicht die zerbrechliche Frau mit Tiefgang: Grell, ordinär, geschmacklos: Sie verkörpert ihre Bibi, als habe es für sie nie eine andere Rolle gegeben. Denn sie spielt diese Derbheit nicht mit Ausrufezeichen, bewegt sich nie in Richtung Karikatur. Sensibel zeichnet sie einen auf Urbedrfnisse reduzierten Menschen. Eindrucksvoll: die Harfouch in Action; in Erinnerung bleiben vor allem die vielen Schläge, die sie auf Filmpartner Armin Rohde niederprasseln lässt. Die Thalbach hingegen bricht ihr Kindfrau-Image nicht, sie variiert es zum durchtriebenen Aschenputtel, einer unerwartet doppelbödigen Figur. Bei ihr spiegelt sich die Geschichte in ihrem Gesicht, dem unnachahmlichen Spiel ihrer Augen. Als Hanna sucht sie die Grimasse, eine Art Schutzschild gegen die kleinen Angriffe ihrer Umwelt. Zwei starke Frauen, die sich ergänzen, die sich brauchen – nicht dramaturgisch wie beim modischen Buddy-Genre, sondern menschlich.

Die beiden Schauspielerinnen hatten Glück: Das Drehbuch ist präzise, die Regie schnörkellos, und die Dialoge, die ihnen Lothar Kurzawa in den Mund legte, sind knapp und punktgenau. Da, wo sich vermeintliche Authentizität mit der schauspielerischen Ausgestaltung eines Charakters treffen, wo Wahrheit aus lustvollem Spiel erwächst – dort ist der Ort, wo zwei hochkarätige Miminnen, Harfouch und Thalbach alias Bibi und Hanna, zu sich kommen. Zwei gefährliche Freundinnen, zwei Schauspielerinnen im Kampf gegen das Fernsehmittelmaß.

Gefährliche FreundinFoto: WDR
Manchmal kriegen die Ladys auch ein Stückchen von den Männern ab. Harfouch & Katharina Thalbach in „Gefährliche Freundin“

Corinna Harfouch spielt Bibi, mit Perücke, Tiger-Top und frecher Schnauze. Immer ein bisschen zu laut, zu grell, zu exaltiert ist diese Frau, ihre Darstellerin trifft das punktgenau, übertreibt nie und verrät so ihre Figur nicht. Der Knast verändert diese überaus bodenständige Person, macht sie nachdenklicher, ruhiger, sensibler. Ihre Darstellerin arbeitet nun weniger mit ihrem Körper, mehr mit Mimik, den kleinen Gesten – bis sie freilich im Kampf mit ihrem Ex-Mann wieder zu alter Form aufläuft und all ihre Kräfte mobilisiert. Souverän bewegt sich Harfouch durch alle Stimmungslagen. Katharina Thalbachs Hanna verändert zwar ihr Leben, ihr Wesen aber verändert sich nicht grundlegend. Immer etwas trotzig, stets das letzte Wort und nie ganz das hässliche-Entlein-Image loswerdend, spiegelt sich Hannas Geschichte vor allem in dem Gesicht ihrer Darstellerin. Das Spiel der Kulleraugen, das grimassenhafte Mienenspiel, dieses Markenzeichen der Thalbach ist eine Art Schutzschild Hannas gegen die kleinen Angriffe ihrer Umwelt. „Hast Du den Fernfahrer umgebracht?“, fragt Bibi. Hanna verzerrt nur ihr Gesicht, macht große Augen – Themenwechsel. Große Klasse auch die anderen Darsteller: Armin Rhode als kölscher Fiesling, als Bilderbuch-Proll, hinter dessen Brutalität und Penetranz noch der Mensch sichtbar wird. Nikolaus Paryla als Pingo, ein ewig vom Leben Gebeutelter, Michael Gwisdek, mit zwanzig Sätzen gibt er einen Chef, für den andere einen ganzen Film brauchen. Dasselbe gilt für Mechthild Großmann, die mit Mut zur Hässlichkeit und dem Blick des geschlagenen Tiers Bibis Zellengefährtin spielt. Stimme, Körpersprache, Gang, Verhalten – alles passt. Die Mensch gewordene Knasterfahrung.

„Gefährliche Freundin“ ist ein Schauspielerfilm. Doch dieses für das Fernsehen der Neunziger ungewöhnliche Frauenstück ist auch vorzüglich von Lothar Kurzawa geschrieben. Präzise, schnörkellos, gebaut aus einer Vielzahl kurzer prägnanter Szenen, werden die Figuren zunächst in ihrem sozialen Umfeld gezeigt. Die Dialoge sitzen. „Das ist ’n Witz“, feixt Bibi. „Und warum lach‘ ich dann nicht?“, fragt Hanna, auf deren Kosten sich ihre Freundin mal wieder amüsiert hat. Gute Vorlagen für die Schauspieler sind auch die dialogischen Pingpong-Spielchen („Kommst Du mit? – „Mmh, ja.“ – „Wann? – „Heute.“ – „Gut.“ – „Schön.“), die Raum lassen für nonverbale Einlagen. Unaufhaltsam treibt die Szenenfolge später dann in Richtung Thriller-Geschehen, ohne auf die sozialen Zwischentöne zu verzichten. Untersttzt wird diese Logik von Huntgeburths Bildern. Sie sind streng cadriert, ohne modischen Schnickschnack, die Kamera ist stets auf die Schauspieler gerichtet. Entsprechend die Farben: der Hintergrund ist blass, umso knalliger wirken die Heldinnen. So gelungen „Gefährliche Freundin“ auch ist, etwas mehr Augenzwinkern und Leichtigkeit hätte er noch vertragen.

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Fernsehfilm

WDR

Mit Corinna Harfouch, Katharina Thalbach, Anna Thalbach, Nikolaus Paryla, Armin Rohde, Michael Gwisdek, Roman Rien, Mechthild Großmann

Kamera: Martin Kukula

Szenenbild: Florian Haarmann

Kostüm: Rose Koller

Schnitt: Bettina Böhler

Musik: Otmar Jenner, Folke Jensen

Produktionsfirma: Tag/Traum Filmproduktion

Drehbuch: Lothar Kurzawa

Regie: Hermine Huntgeburth

EA: 20.11.1997 20:15 Uhr | ARD

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