Für meine Tochter

Dietmar Bär, Schnier/Helfrich, Lacant. Nicht aus der deutschen Innen-Perspektive

Foto: ZDF / Moritz Schultheiß
Foto Thomas Gehringer

Der Krieg in Syrien kommt dem Apotheker Benno Winkler plötzlich ganz nahe. Der Deutsche, der gerade seine Frau verloren hat, bangt um seine vermisste Tochter Emma, die sich zuletzt in einer syrischen Stadt nahe der türkischen Grenze aufgehalten hat. „Für meine Tochter“ (ZDF / Bavaria Fiction) erzählt die abenteuerliche Odyssee eines gutbürgerlichen Deutschen durch das Kriegsgebiet als packendes Überlebensdrama und verknüpft das Motiv der großen Vater-Liebe mit den realen Tragödien geflüchteter Familien. Damit erinnert der Film gerade zur rechten Zeit an das wahre Drama in Syrien; leider bleiben die Syrer mangels einer interessanten Nebenfigur nur Opfer. Dafür wird Winkler selbst zum Flüchtling. Dietmar Bär spielt diesen Mann, der über sich hinauswächst, bravourös und ohne Helden-Pathos.

Für den trauernden, in sich gekehrten Apotheker Benno Winkler (Dietmar Bär) ist der Krieg in Syrien weit weg. Er hat zugestimmt, die Kleider seiner verstorbenen Frau den Geflüchteten zu spenden, doch dass die nun vor den Augen der Kunden abgeholt werden sollen, ist ihm unangenehm. Winkler ist in Gedanken woanders. Kurze Rückblenden mit Bildern aus glücklichen Tagen von seiner Frau und Tochter Emma (Anna Herrmann) deuten an, dass dieser Mann mehr in der Vergangenheit lebt als im Heute. Das ändert sich mit einem Anruf: Emmas Reisepass sei in der Türkei bei einer Syrerin aufgetaucht, die nach Deutschland flüchten wollte. Es stellt sich heraus, dass Benno Winkler gar nicht genau weiß, wo sich seine erwachsene Tochter gerade aufhält. Sauer ist er im ersten Augenblick trotzdem: „Vor einem halben Jahr lässt sie sich das Handy klauen und jetzt den Pass“, knurrt er. „Papa wird’s schon richten.“ Jedenfalls versucht er es, reist nach Berlin, findet Hinweise in Emmas Studenten-Bude, sucht einen Hunger streikenden Syrer im Krankenhaus auf. Das letzte Lebenszeichen ist ein Handyvideo, das Emma und ihren Freund Max (Merlin Rose) in Syrien zeigt.

Für meine TochterFoto: ZDF / Moritz Schultheiß
Emma Winkler (Anna Herrmann) hat in Syrien viel Grauen erlebt. Irgendwann will sie mit ihrem Freund in die Türkei zurück. Wenn das nur so einfach wäre…

Überlebensdrama in der Wüste und im IS-Lager
„Für meine Tochter“ verknüpft das emotionale Motiv großer Vaterliebe mit der Realität des syrischen Bürgerkriegs, die am Ende von Regisseur Stephan Lacant auch kurz und heftig inszeniert wird. Apotheker Winkler reist in die Türkei, sucht in einem Flüchtlingslager nahe der syrischen Grenze nach Menschen, die Emma und Max gesehen haben – und tappt naiv in die Falle. Er vertraut dem Erstbesten, der ihn nach Syrien bringen will, wird niedergeschlagen, ausgeraubt und ohne Geld, Papiere und Schuhe in einer Geröllwüste zurückgelassen. Der Film wird nun zum Überlebensdrama, Winkler wankt zwei Tage und Nächte durch die Hitze, ehe ihn ein Trupp von Kämpfern findet, mutmaßlich Anhänger des Islamischen Staats. Intensive, überbelichtete Bilder und die zunehmende Spannung nach einem eher ruhig aufgebauten Handlungsbeginn helfen ein wenig darüber hinweg, dass an der ein oder anderen Stelle nicht immer alles glaubwürdig erscheint. Jedenfalls überlebt Winkler auch das Intermezzo im IS-Lager und trifft bei seiner Flucht am Grenzzaun zufällig auf eine Gruppe von Syrern, denen er zurück in die Türkei folgt. Nun ist Benno Winkler selbst zum Flüchtling geworden, der ohne Geld und Papiere nicht im Flüchtlingslager aufgenommen wird. Als ein türkischer Soldat das Gewehr auf ihn richtet, empört sich der Apotheker, der sich sonst auf Englisch und mit ein paar Brocken Türkisch verständigt, in seiner Muttersprache: „Sag mal, spinnst du? Ich bin deutscher Staatsbürger.“

Ein Vater, getrieben von der Sorge um seine Tochter, wächst über sich hinaus
Dietmar Bär ist eine prominente, aber auch erstklassige Besetzung. Nicht nur, weil seine gemütliche Körperlichkeit hier über die üblichen Grenzen geführt wird. Die Rolle ist physisch, aber auch in ihren inneren Konflikten intensiv. Und Bär ist ein erfahrener Schauspieler, der die ja nicht sehr wahrscheinliche Entwicklung vom gutbürgerlichen, eher bedächtig wirkenden Apotheker zum entschlossenen Vater, der sich von nichts aufhalten lässt, überzeugend verkörpert. Getrieben von der Vater-Sorge um das Kind („der einzige Mensch, der mir noch geblieben ist“), setzt sich Benno Winkler einer Wirklichkeit aus, die er sonst nur aus sicherer Entfernung am Rande wahrnimmt. Er erlebt und durchleidet existenzielle Situationen, Hunger, Durst, Todesangst, und wird zu Handlungen getrieben, die er sich kurz zuvor kaum hat vorstellen können. Bär spielt diesen einsamen Mann, der über sich hinaus wächst, ohne jedes Helden-Pathos.

Für meine TochterFoto: ZDF / Moritz Schultheiß
Vom Regen in die Traufe: Benno (Dietmar Bär) ist in Syrien in die Hände von Kämpfern gefallen und bangt um sein Leben. Der Deutsche wird auf seiner Odyssee selbst zum Flüchtling.

Ein Film als „Plädoyer für die Menschlichkeit“
Während zurzeit vor allem über Abschottung diskutiert wird und sich ein Bundesinnenminister demonstrativ über 69 Abschiebungen an seinem 69. Geburtstag freut, erscheint es besonders angebracht, dass ein Film nicht aus der deutschen Innen-Perspektive erzählt, sondern an das wahre Drama in Syrien und an das Leid der Geflüchteten erinnert. „Für meine Tochter“ formuliere „ein leidenschaftliches Plädoyer für das, was bei allem Reden über Maßnahmen im Sommer 2018 nicht verloren gehen darf: die Menschlichkeit“, schreiben Alexander Bickel und Thorsten Ritsch in einem „Statement der Redaktion“. Dem kann man nur zustimmen, und die Botschaft drängt in dieser spannenden väterlichen Odyssee auch nicht plakativ in den Vordergrund oder wird in Dialogen vor sich her getragen. Sondern ergibt sich aus der Erzählung – wie in der zentralen Szene im Flüchtlingslager: Benno Winkler wird dort von einem älteren Mann in dessen Zelt eingeladen. Man trinkt Tee, auch zwei Kinder sind da, und so wie der Deutsche ein Foto seiner Tochter zeigte, holt nun auch der Syrer Fotos hervor. Fotos von seiner Frau und zwei Kindern, die getötet wurden. Drei Restaurants habe er in Homs geführt, sagt der Mann, worauf Winkler schwer beeindruckt reagiert. Kein Wunder, denn der Mann ist ihm (und dem Publikum) ja nicht auf Augenhöhe, sondern nur als bemitleidenswerter Flüchtling begegnet. Als Winkler seine syrischen Gastgeber verlässt, zieht die Kamera auf und lässt den Blick von oben über eine große Anzahl weißer Zelte schweifen. In jedem Zelt eine Familie mit einer ähnlichen Geschichte – eine klare visuelle Botschaft, die keines weiteren Kommentars bedarf.

Keine Geflüchteten, die mehr sind als reine Opfer
Den Einwand, den man gegen solche gut gemeinten Filme aber doch erheben muss: Es fehlen unter den Geflüchteten interessante, differenzierte Nebenfiguren, die mehr sind als reine Opfer. Immerhin gibt es in der Türkei unter den Einheimischen Ilkay (Adam Bay), der zwar wie aus dem Nichts in der Handlung auftaucht, sich aber als verlässlicher Helfer entpuppt. Der Rollentausch – Deutsche werden selbst zu Flüchtlingen – ist hier weniger plakativ und auch packender erzählt. Dennoch ist es ein bisschen so wie in dem dystopischen ARD-Drama „Aufbruch ins Ungewisse“: Vor allem das Schicksal einer deutschen Familie lässt uns Zuschauer mitfiebern, und, um es zynisch auszudrücken: Vielleicht fällt auf diesem Umweg auch etwas Verständnis für die Geflüchteten ab. (Text-Stand: 20.7.2018)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Dietmar Bär, Anna Herrmann, Merlin Rose, Adam Bay, Anja Schneider, Mohammad Alkeel, Nisrine Adam, Hiba Idrissi, Hind Kachaoui

Kamera: Moritz Schultheiss

Szenenbild: Marco Trentini

Kostüm: Ingrida Bendzuk, Zakia Essouci

Schnitt: Monika Schindler

Musik: René Dohmen, Joachim Dürbeck

Redaktion: Alexander Bickel, Thorsten Ritsch

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Ivo-Alexander Beck

Drehbuch: Sarah Schnier, Michael Helfrich

Regie: Stephan Lacant

Quote: 3,26 Mio. Zuschauer (12,5% MA)

EA: 08.08.2017 20:15 Uhr | ZDF

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