Für immer im Herzen

Wörner, Jäger, Zischler, Miguel Alexandre. Krebs-Melodram der etwas anderen Art

Foto: Degeto / Andrea Enderlein
Foto Tilmann P. Gangloff

„Für immer im Herzen“ – der Titel ist abschreckend. Und die Geschichte erst: Kleiner Junge erkrankt an Knochenkrebs, Karrierefrau besinnt sich darauf, was wirklich wichtig ist im Leben… Doch mit Miguel Alexandre (Regie), Martin Rauhaus (Buch) und mit einer Top-Besetzung um Natalia Wörner und Julia Jäger gelingt es, das potenzielle Taschentuch-Melodram ohne Bambi-Effekte zum Sterbefinale zu führen. Dann darf geheult werden.

„Für immer im Herzen“ – der Titel ist eher abschreckend. Und erst die Geschichte: Kleiner Junge erkrankt an Knochenkrebs, Karrierefrau besinnt sich darauf, was wirklich wichtig ist im Leben; am Ende stirbt der Junge zwar, doch sie hat dem schnöden Mammon und dem flüchtigen Erfolg abgeschworen. Andererseits hat immerhin Miguel Alexandre, für „Grüße aus Kaschmir“ mit einem Grimme-Preise geehrt, Regie geführt. Und am Drehbuch war neben Carola Wedel auch Martin Rauhaus („Winterreise“) beteiligt. Trotzdem stellt man sich bei einem solchen Stoff unwillkürlich darauf ein, permanent gegen Angriffe auf die Tränendrüse gewappnet sein zu müssen. Aber selbst wenn die Geschichte traurig ist und zu Herzen geht: Richtig heulen muss man erst am Schluss, als eigentlich alles vorbei ist.

Clever ist die Idee, in den Mittelpunkt der Handlung nicht Stefans Mutter, sondern seine Tante zu stellen. Das erhöht den Identifikationsgrad enorm: Müttern geht die Geschichte ohnehin nahe, doch nun können auch die Single-Frauen nicht so tun, als ginge sie das alles nichts an. Zumal Natalia Wörner selbstredend ein Prachtexemplar spielt: erst als Verlagsleiterin, dann als Mutterersatz. „Provokant, innovativ, sexy“, beschreibt Julia Berger (Wörner) einmal eine neue Buch-Reihe. Die Attribute könnten genau so gut ihr selbst gelten. Julia hat eine klasse Karriere gemacht, aber kein Privatleben mehr. Sarkastisch könnte man anmerken: Damit sie wieder lernt, was wirklich zählt im Leben, muss ihr Neffe Stefan Krebs bekommen. Die Diagnose erschüttert die Familie aus heiterem Himmel. Stefans überforderte Mutter (Julia Jäger) hat erst mal einen Nervenzusammenbruch, kommt in eine Klinik und ist damit aus dem Rennen, der Vater der beiden Schwestern (Hanns Zischler) verabschiedet sich mit seiner jungen Frau in den Urlaub. Also bleibt alles an Julia hängen, die auch noch die Fusion mit einem amerikanischen Verlag regeln muss; außerdem macht ihre einzige Bestsellerautorin Zicken.

Für immer im HerzenFoto: Degeto / Andrea Enderlein
„Für immer im Herzen“ – die beiden Schwestern. Julia Jäger und Natalia Wörner. Die reinigende Kraft fiktionaler Gefühle

Nun hat Natalia Wörner schon ganz andere Herausforderungen gemeistert, und auch diesmal gehen die 36-Stunden-Tage an ihr vorüber, ohne nennenswerte Spuren zu hinterlassen. Während sie von der Rollenfacette „Power-Frau“ darstellerisch tatsächlich nicht weiter gefordert wird, ist sie als Tante durchwegs überzeugend, zumal Patrick Baehr einen patenten Neffen spielt. Beide profitieren zudem von den Szenen in der Kinderkrebsabteilung. Alexandre und Kameramann Jörg Widmer haben den Bildern viel von ihrer potenziellen Depressivität genommen, indem sie die Krebsstation in warmen Farben als Hort der Fröhlichkeit zeigen. Deshalb muss eins der Kinder auch schon mal einen schlimmen Hustenanfall bekommen, damit man nicht vergisst, dass sich der Tod durch bunte Behaglichkeit nicht täuschen lässt.

Natürlich ist auch der behandelnde Arzt ein lieber Onkel; Hannes Jaenicke spielt ihn, als stamme er direkt aus der „Schwarzwaldklinik“. Aber das macht nichts, denn die Botschaft kommt auch so rüber: Wenn die Kinder schon dem Tod geweiht sind, sollen ihre letzten Tage so unbeschwert wie möglich sein. Dass die Krankenhausszenen vergleichsweise nüchtern sind, liegt nicht zuletzt an Patrick Baehr. Gelegentliche Bambi-Effekte (einmal streckt der Junge seine Hände hilfesuchend ins Leere) oder Totschlagsätze wie „Ich sterb’ doch nur einmal“ wirken fast wie Ausrutscher; ansonsten hat Alexandre darauf verzichtet, den Jungen allzu sehr als Opfer zu inszenieren. Am Ende darf Julia dem Publikum noch einen Rat fürs Leben ins Stammbuch diktieren: „Man denkt immer, man muss so wahnsinnig viel tun, um glücklich zu sein, und in Wahrheit muss man gar nichts tun“. Dann stirbt Stefan, und als Baehr aus dem Off einen letzten Brief an Julia verliest, darf man endlich heulen.

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Natalia Wörner, Julia Jäger, Hanns Zischler, Hannes Jaenicke, Patrick Baehr, Horst-Günter Marx, Petra Kelling, Thomas Kügel

Kamera: Jörg Widmer

Schnitt: Carolyn Haag

Musik: Dominic Roth

Produktionsfirma: Taunus Film

Drehbuch: Martin Rauhaus, Carola Wedel

Regie: Miguel Alexandre

EA: 03.09.2004 20:15 Uhr | ARD

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