Das Haus auf dem Land ist verkauft, die Stadtwohnung frisch bezogen. Nicht länger nur Eltern sein, sondern endlich auch wieder Mann und Frau! Was lange Zeit ein Traum war, das können Michael (Devid Striesow) und Anja Wagner (Anja Schneider) nun verwirklichen. Die Kinder sind selbstständig. Niklas (Max Schimmelpfennig) steht kurz vor dem Abschluss seines Referendariats, und Stella (Pauline Fusban) hat einen Top-Job im Aus-land. Doch dann fliegt der Lehreranwärter hochkantig aus seiner WG, eine Woche vor einer wichtigen Prüfung. Klar, dass die Eltern ihn bei sich wohnen lassen, „ist ja nur für ein paar Tage“. Dann kommt eins zum anderen. Erst wird die Wohnung zum Zwischenlager für den ganzen Krempel des jungen Mannes, und dann will sich auch noch Max‘ forsche neue Freundin Alina (Anouk Elias) bei den Wagners einnisten. Dass er kein Ordnungsfanatiker ist, das wissen die Eltern natürlich, und dass er zum Lernen die Wohnküche blockiert, geschenkt, die paar Tage. Doch nachdem bei der Unterrichtsprobe einige äußerst unpassende Bilder in die Präsentation ge-rutscht sind, könnten es nun ein paar Tage mehr werden. Die Wohnungssuche in München verspricht jedenfalls wenig Aussicht auf Erfolg. Aber vielleicht kann Karl (Shenja Lacher), ein Freund der Familie und enger Vertrauter von Anja, was drehen beim Kultusministerium? In der Zwischenzeit macht sich nun endlich auch Niklas Gedanken über seine Zukunft.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Während typische Unterhaltungsfilme Familien gern vor große Aufgaben (Sorgerechtsfragen, Familie vs. Karriere, Pflege) stellen, bricht „Für immer Eltern“ die Konflikte der Wagners aufs Alltägliche herunter, auf Situationen des täglichen Lebens, in denen sich die Grundprobleme dieser ganz normalen Familie spiegeln. Die Eltern wünschen sich den Aufbruch in eine neue Lebensphase, der Sohn, ein Spätstarter, der bereits als Kind unter Dyskalkulie litt, einer Lernschwäche bezogen auf den Umgang mit Zahlen, liebt es bequem. Es war ja bisher nie anders. Die Eltern waren stets zur Stelle. Und so rutschen auch jetzt wieder alle in ihre angestammten Rollen. Einmal Helikopter-Eltern, immer Helikopter-Eltern! Da wird bemuttert, aus der Patsche geholfen – und der Sohn, „eher der Nichtenergietyp“, so seine Freundin, bald Ex-Freundin, lässt es lange einfach so laufen. Wenn der sonst so antriebsschwache junge Mann mit jenem Power-Girlie Alina ungewohnt ausgelassen und oben ohne durch die Straßen von München tollt, fühlt man sich – auch was die filmische Umsetzung angeht – ein wenig erinnert an Werner Enkes Faulenzer aus „Zur Sache, Schätzchen“ oder „Nicht fummeln, Liebling“. In den Sixties nannte man sowas Lebenskünstler, heute, in Zeiten von Bashing-Lust und fetischisierter Selbstoptimierung, ist dagegen eher die Rede vom „Loser“.
Grimme-Preisträger Peter Probst („Die Hebamme – Auf Leben und Tod“) geht es allerdings nicht um die Bewertung der Situation und der Rollen. Beziehungen wachsen, die daraus entstehenden Muster sind oft stärker als der Wille. Der Drehbuchautor macht aus seiner Geschichte weder ein Drama des Eltern-Seins, noch lenkt er die Konflikte deutlich ins Komödiantische. Die Handlung orientiert sich am Alltag: Erzählt wird eine Episode aus der nie endenden Eltern-Kind-Beziehung. Die vom Autor angebotene Lösung für die Abnabelungs- und Selbstfindungsschwierigkeiten der Wagners bietet kein kleinmütig pragmatisches Happy End an, bewegt sich aber dennoch in einem realistischen Rahmen. Natürlich muss der Sohn mit Mitte 20 selbst in die Pötte kommen. Was er sich da ausgedacht hat, vereint seine Kreativität mit dem Wunsch, „was mit Jugendlichen“ machen zu wollen. Von wegen „Niki ist der geborene Lehrer.“ Zu lange hat sich der überbehütete Chaot, der offensichtlich keinen Grund sah, erwachsen zu werden, an die Tipps seiner Eltern gehalten. Die Vision des jungen Mannes bekommt auch filmisch – es geht in die Berge – einen klugen Dreh. Niki geht seinen eigenen Weg, wohlwollend von den aufatmenden Eltern begleitet.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Das alles mögen die Botschaften des erzählerischen Subtextes sein, dem Fernsehfilm „Für immer Eltern“, eine Ko-Produktion von ZDF und Arte, geht es aber nicht vornehmlich um die Behandlung eines Themas. Die Geschichte ergibt sich aus den Beziehungen, konzentriert sich dabei auf wenige Figuren, und von Anfang an schiebt sich bei dem Film von Florian Schwarz, ebenfalls und sogar doppelter Grimme-Preisträger mit zwei TV-Großtaten, dem „Tatort – Im Schmerz geboren“ mit Ulrich Tukor und dem Cyber-Grooming-Drama „Das weiße Kaninchen“ mit Devid Striesow, deutlich der frische Erzählton in den Vordergrund. Nicht nur Ellipsen zur rechen Zeit sorgen für einen flotten Rhythmus. Das Tempo ist durchweg hoch. Ausschnitthaft werden die realistischen Situationen aneinandergereiht. Ebenso leichtgewichtig wie unaufhaltsam rückt das Unvermeidliche näher. Geht es in der Narration um Bewegungen innerhalb der Familie (um Annäherungs- und Loslass-, um Selbstfindungs- und Eifersuchts-Prozesse), so übersetzt Regisseur Schwarz diese in (film)ästhetische Bewegungen.
Die Kamera von Philipp Sichler kommt – selbst in In-door-Szenen – selten zur Ruhe, sie folgt den Charakteren, dem lange Zeit durch den Film schlurfenden Max Schimmelpfennig genauso wie den sehr viel agileren Devid Striesow und Anja Schneider; alle drei im Übrigen ideal besetzt. Viele Szenen strahlen etwas Flüchtiges aus. Das Leben ein ewiger Fluss. Lange nachdenken oder sich hinterfragen sind ein Luxus, den man sich kaum leisten kann. Für einen figurenorientierten Fernsehfilm besitzt die Kamera ziemlich viel Eigen-Sinn. Mal gleitet sie durch die Wohnung und lässt dabei nicht nur Zeit vergehen, nein, sie schaut regelrecht der Zeit beim Vergehen zu. Großartig ist auch der häufig angejazzte, gelegentlich minimalistisch instrumentierte Score von Florian Van Volxem und Sven Rossenbach. Und geredet wird, wie man eben so redet unter vermeintlich hippen jungen Erwachsenen und in Kreisen urbaner fortysomethings, die cool und nicht wie unlockere Spießer wirken wollen. Besonders unterhaltsam wird es aber, wenn das Ehepaar mal für längere Zeit nicht miteinander spricht. Erwartungsgemäß wurde durch den Dauerkonflikt mit dem Sohn auch die Beziehung der Eltern in Mitleidenschaft gezogen. Dem Vater wird es irgendwann zu bunt. Die Mutter quittiert das mit konsequenter Nichtbeachtung. Man geht sich in der Wohnung aus dem Weg, schreibt sich Zettel – und schweigt. Das passt wunderbar zu einem Film, der seine Geschichte spielerisch angeht. „Für immer Eltern“ ist einfach gut erzählt, federleicht und lebensklug, sich seiner Mittel bewusst – entsprechend groß der Spaß beim Zusehen. (Text-Stand: 23.2.2021)
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk