Familie wird zeitgemäß definiert, Liebe & Beziehung werden alltagsnah ausgelebt
Es ist kein Zufall, dass Katja Baumann bei ihrem Einstand in „Für immer Frühling“ im Jahre 2011 zunächst noch als Krankenschwester ihren Dienst tat. Denn die weiblichen TV-Helfer blieben jahrzehntelang – neben den Gottesfrauen – auf eben diesen Berufsstand reduziert. Doch die von Simone Thomalla verkörperte Mittvierzigerin, zu empathisch für den Klinik-Alltag und auch privat auf dem Absprung in ein neues Leben, fühlte sich zu Höherem berufen – und so schulte sie erfolgreich zur Dorfhelferin um. Dass bis 2017 dreizehn weitere Filme folgen würden, war so nicht abzusehen. Die konstant guten Einschaltquoten spielten da sicherlich für das ZDF eine größere Rolle als der wegweisende Versuch, eine Unterhaltungs-Reihe einmal nicht streng episodisch zu erzählen, sondern sich in ihrer moderat horizontalen Erzählweise eher an seriellen Klassikern wie „Diese Drombuschs“ oder „Schwarzwaldklinik“ zu orientieren. Und sich zugleich auch von den Sonntagsromanzen des „Zweiten“ deutlich zu distanzieren: Familie wird in der „Frühling“-Reihe zeitgemäß definiert, Liebe und Beziehung entsprechend alltagsnäher ausgelebt. Vor allem geht es um eine Frau, die nicht unbedingt einen Mann zum Glück braucht. Das lässt sich als Zeitgeist-Reflex verstehen, hat aber auch eine dramaturgische Funktion: So blieb die Vorstellung, dass Tierarzt Mark und Katja doch noch zusammenkommen, zumindest im Bereich des Möglichen und die Reihe behielt so ein Stück weit ihren „Herzkino“-Kitzel. Dann kam mit Cem eine Fernbeziehung ins Spiel, wodurch das Verhältnis Katja/Mark zu besten Freunden umgeschrieben wurde. Dass nun zum Auftakt der 2018er-Episoden doch noch sexueller Vollzug gemeldet werden darf, bedeutet nun aber nicht Zweisamkeit bis ans Ende ihrer Tage. Im Gegenteil. Den Tierarzt zieht es nach Leipzig, zu seinem dementen Vater. Ausgerechnet jetzt, wo alles so schön hätte werden können.
Die Sterne-Vergabe im Detail: Der Auftakt, „Mehr als Freunde“, hat sich 4 Sterne verdient. „Wenn Kraniche fliegen“ und „Am Ende des Sommers“ sind für 3,5 Sterne gut, „Gute Väter, schlechte Väter“ kommt dagegen nur auf drei Sterne.
Mark zieht weg – und was sich noch so alles tut in den neuen „Frühling“-Episoden
Dafür steht nun ein neuer Mann auf der Matte: ein ehemaliger Architekt, der Marks Haus gekauft hat – und sich genregemäß erst mal kräftig mit Katja Baumann zanken darf. Beide sind in derselben Stadt groß geworden, gingen auf dieselbe Schule. Sie erinnert sich sofort, er nicht. Offenbar war jener Jan Steinmann (Christoph M. Ohrt) damals das Objekt Katjas heimlicher Begierden. Irgendwie scheint die Heldin selbst nach über 30 Jahren noch nicht ganz drüber zu stehen. Richtig geklärt wird die Sache von damals allerdings in den vier neuen Folgen nicht. Dass sich hier eine Romanze anbahnen könnte, ist bislang eher weniger wahrscheinlich. Denn Jan hat Marks Haus gekauft und zieht nun mit seinem zuletzt aufs Internat abgeschobenen „Problemsohn“ Adrian (stark: Kristo Ferkic) dort ein. Für Katja ist da kein Platz mehr, weil Jan seinen Jugendschwarm Lala (Birge Schade), eine erfolgreiche Politikerin, gerne öfter in seinem Haus zu Gast hätte. Und obwohl sich Katja mit Adrian recht gut versteht, liegt mitunter eine ungute Stimmung in der Luft, sodass auch die Heldin gerne ausziehen würde. Es ist also einiges angerührt für die nächsten Episoden. Eine weitere Neuerung, die absehbar war: Die junge portugiesische Tierärztin Filippa (Cristina do Rego) gehört nun zum Kreis der tragenden Charaktere. Nach dem Ausstieg von Carolyn Genzkow, die Baumann-Tochter Kiki verkörperte, war es nötig, wieder eine junge Frau einzubauen. Do Regos Figur sorgt mit viel Charme & lustigem Deutsch für die kleinen komödiantischen Elemente. Eine ähnlich gute Entscheidung war es, mit dem neuen Jungspund im Haus gleichzeitig ein Bein in der Jugendszene und eine Figur im Schulmilieu zu haben. Bei den Familienkonflikten, die in „Mehr als Freunde“, „Wenn Kraniche fliegen“ und „Am Ende des Sommers“ erzählt werden, war das eine gute Voraussetzung für eine dichte Dramaturgie.
Gute Programmierung: Die Filme laufen an vier aufeinanderfolgenden Sonntagen
Das große Plus dieser Reihe ist seit jeher der konsequent erzählte Mikrokosmos, dieses überschaubare fiktive Örtchen Frühling, wozu auch die gute Vernetzung der Hauptfigur gehört. Immer wieder tauchen Personen am Rande auf und unterstützen beiläufig den Realismus-Eindruck: die Lehrerin (Johanna Klante), die Krankenhausärztin (Caroline Ebner), die Dorfbäckerin (Bettina Mittendorfer). Bei Sattmanns Klinikprofessor und Möllekens Ex-Freund von Kiki ist es gerade mal eine Szene, in denen sie zu sehen sind. Und selbst Marco Girnth kriegt nach dem Abgang seines Mark nur noch wenige kurze Solo-Auftritte. Dass es diese Telefonate aber zwischen ihm und der Heldin gibt, sind produktionstechnische Details, die sich letztlich stark auf die Stimmigkeit der Geschichte(n) auswirken. Nach ähnlichem Muster verlaufen seit geraumer Zeit auch einige Versuche der Degeto, das Helfersyndrom ins Reihen-Gewand zu zwingen. So konsequent horizontal wie bei der „Frühling“-Reihe ging man allerdings bei „Reiff für die Insel“ nicht zu Werke und einen so langen Atem wird die ARD bei „Die Eifelklinik“ und „Praxis mit Meerblick“ ganz gewiss nicht haben, und auch die neue Mutter-Teresa-Reihe im ZDF, „Tonio & Julia“, verfällt mehr als einige (überdramatisierte) „Frühling“-Episoden auf alte dramaturgische Untugenden. Acht Produktionsjahre – die Kontinuität, die sich zunehmend verdichtenden Figurenprofile – spricht mehr denn je jetzt wieder für Katja Baumann & Co. Während die Reihe, insbesondere die Fallgeschichten, zwischenzeitlich Abnutzungserscheinungen aufwies und die beliebig wirkende Ausstrahlungspolitik den horizontalen Geschichten nicht guttat, sendet das ZDF dieses Jahr die auf vier Episoden pro Jahr aufgestockte Reihe an vier aufeinanderfolgenden Sonntagen. Erst so lassen sich die beschriebenen Kurzauftritte, die kleinen Alltagsmomente, aber auch die elementareren narrativen Bezüge zwischen den einzelnen Episoden vom Zuschauer erkennen. Produzentin Natalie Scharf, die auch – außer der zweiten 2018er-Episode – bisher alle „Frühling“-Drehbücher geschrieben hat, behandelt erstmals eine Geschichte, das Drama einer Familie, schwerpunktmäßig in zwei Episoden. So darf eine Selbstmordkandidatin (großartig: Adina Vetter) sich zum Auftakt von der Richtigkeit eines Psychiatrie-Aufenthalts überzeugen lassen, um in der Schlussepisode 2018 allen (und damit auch dem Zuschauer) neue Rätsel aufzugeben. Der Mut zur Offenheit in diesem Plot, keine verbindlich-versöhnlichen Erklärungen für alles zu bekommen, das ist positiv zu sehen, während die hochdramatische Entwicklung, die diese Geschichte zwischenzeitlich nimmt, eine Geschmackfrage sein dürfte.
Zwei Tendenzen: der Alltag & seine Struktur, das Drama & die Moral
Immer dann, wenn „Frühling“ in den Alltagserzählrhythmus schaltet, wenn das horizontale Erzählen ausgereizt wird, wenn der Umgangston „realistisch“ ist und nichts Belehrendes oder nur in Maßen Küchenpsychologisches an sich hat, entfaltet die Reihe ihre Besonderheit. Doch oft wird zu beredt geholfen. Manchmal werden generelle Lebensweisheiten oder individuelle Erkenntnisse in visuelle Metaphern übersetzt oder eher beiläufig vom Nebenplot gedoppelt: Das ist auf jeden Fall besser, als die Moral auszusprechen, wodurch sie ganz schnell zur Binsenweisheit wird. „Je größer die Dramatik, umso besser“ – diese Ansicht gibt es auch. Doch wie kann man solche existentiellen Probleme im Rahmen einer Unterhaltungsreihe angemessen spielen? Für meinen Geschmack wird in „Am Ende des Sommers“ zu viel Trauer getragen. 1:1 dargestellter Schmerz ist in einem solchen Genre allenfalls eine Aufforderung zum Mitgefühl (man tritt mit den Figuren auf der Stelle), die Geschichte aber bringt das Leiden nicht weiter.
Der sehr dichte Auftakt, „Mehr als Freunde“, gehört zu den Highlights der Reihe
Und so gefällt dem Kritiker von den vier neuen Filmen 2018 der erste, „Mehr als Freunde“ am besten. Eine Kuh marschiert durch ein Wohnzimmer, deckt mal eben den Tisch ab, Adina Vetter wartet auf mit einer außergewöhnlich feinen, nuancierten Darstellung einer seelisch angeschlagenen Frau und wie dies eine Familie aus dem Gleichgewicht bringt, das wird – gemessen am Genre – keinesfalls nur oberflächlich dargestellt. Auch dramaturgisch ist diese Episode extrem dicht, und die Inszenierung, die früher durch ihre Gleichförmigkeit manchmal etwas Belangloses bekam (was dann auf die Geschichten abfärbte), wirkt hier konzentrierter, sicherlich auch, weil einfach vieles und viel Grundlegendes erzählt wird. Besonders das Zusammenspiel von Musik und Bewegung (Kamera, Schnitt, Autofahrten durch die Natur), immer schon ein Markenzeichen der Reihe, trägt maßgeblich zur lockeren Stimmung des Films bei. Manchmal hat es den Anschein, als würde hier das Filmische, der leichte Fluss, ganz bewusst gegen die Schwere des Psycho- und Krankheits-Plots gesetzt. Andererseits bekommt diese Episode in der zweiten Hälfte ohnehin eine unbeschwertere Note – durch Katjas Jugendschwarm, durch Filippa sowieso, auch der Sex mit dem besten Freund ist eher undramatisch. Und dass nach der Nacht der Nächte der Fernbeziehungslover Cem zur Stelle ist, macht beide nachdenklich, als Zuschauer nimmt man’s eher mit einem Schmunzeln.
Was einen in „Gute Väter, schlechte Väter“ & „Wenn Kraniche fliegen“ erwartet
In „Gute Väter, schlechte Väter“ steht ein Extremkletter (Simon Böer) im Mittelpunkt, der immer noch unter seinem Vater (Michael Mendl) leidet. Nicht nur, dass er sich und seine Frau durch seine Gewalttouren in Gefahr bringt, die ganze Familie mit zwei Kindern leidet unter seiner Obsession. Filmisch ähnlich luftig wie „Mehr als Freunde“ ist dieser Konflikt weniger gut nachvollziehbar in seinen psychischen Nuancen – und so löst er sich urplötzlich unter dem Druck einer Extremsituation auf. Besser als die schematische Dramaturgie funktioniert in dieser Episode die private Ebene: Die Heldin erinnert sich einmal mehr an ihren Vater, den sie nie kennengelernt hat. Sie weiß mittlerweile, wo er lebt, und sie will ihn besuchen. Derweil versucht Katjas Noch-Mitbewohner Jan, ein besserer Vater zu sein als früher. In Episode 3, „Wenn Kraniche fliegen“, bekommt es Katja Baumann mit einer seltsamen Familie zu tun, die nicht nur weitgehend autark in einem einsam gelegenen Bauernhaus vor sich hinlebt, sondern deren Vater (Stephan Grossmann) selbst nach einer schweren Pilzvergiftung nichts von einem Aufenthalt im Krankenhaus hält und der sich weigert, seine Tochter in die Schule zu schicken. Ein angenehmer Kontrapunkt ist die Geschichte von Adrian, der sich in Nora (Aniya Wendel), die Tochter der psychisch kranken Frau aus Episode 1, verguckt und mit ihr anfreundet. Themen wie leukämiekranke Kinder, Kindeswohl & Krankenhauskeime werden gestreift, auch geht es mal wieder ums „Loslassen“, jedoch leise und ohne Zeigefinger, dafür nicht ohne Kalenderspruch („Man darf niemals aufhören, an Wunder zu glauben“). Die Episode lebt von Stephan Grossmanns und Julia Jägers starker Präsenz; erfreulich, dass deren sich fahrlässig verhaltenden Charaktere weder desavouiert noch völlig missioniert werden.
Mit horizontalem Erzählkonzept & tollen Schaupielern lässt sich noch mehr wagen…
Überhaupt, die Schauspieler. Simone Thomalla überzeugte im Gegensatz zu ihrem Einsatz als „Tatort“-Kommissarin von Beginn an in der Rolle als Dorfhelferin. Frauenschwarm Marco Girnth machte sich auch stets gut in der Rolle des ewigen Nur-Freundes. Besonders Carolyn Genzkow (was auch an der vielschichtigen Rolle ihrer Kiki lag) bereicherte die Reihe von Episode 2 bis 13. Ein Teil ihrer Funktion übernimmt in den neuen Episoden Kristo Ferkic, der durch seine Rolle als Adrian in allen möglichen Tonlagen unterwegs ist. Weniger Drama-tauglich ist Cristina do Rego in ihrer Rolle als Filippa, aber Bereicherung ist sie allemal. Christoph M. Ohrt passt auch nicht schlecht in die Rolle des neuen Mannsbilds in Frühling, ein sogenannter Mann in den besten Jahren. Und wirft man mal einen Blick zurück auf den Gäste-Cast der Reihe, sieht man da eine gute Mischung aus alten Premium-Hasen (Cornelia Froboess, Erni Mangold, Peter Mitterrutzner), Drama- und Dramödien-Gesichtern (Jean-Yves Berteloot, Maria Simon, Kai Wiesinger, Annika Kuhl, Aglaia Szyszkowitz) und guten, jungen Nachwuchskräften (Merlin Rose, Flora Thiemann, Zsa Zsa Inci Bürkle, Hanna Binke). Mit solchen Schauspielern sollte man in der „Frühling“-Reihe künftig noch ein bisschen mehr „wagen“. Während das konsekutive Erzählen zwischen den Episoden so wunderbar funktioniert, wirkt die Dramaturgie innerhalb einer Episode doch reichlich konventionell. Vielleicht sollte man die Heldin wie in „Am Ende des Sommers“ öfter mal an ihre Grenzen stoßen lassen. Es muss nicht gleich eine völlige Fehleinschätzung der Lage sein, kein Verhalten, das die Handlung künstlich dramatisiert, sondern ein Verhalten, das die Heldin etwas weniger souverän erscheinen lässt. In den privaten Geschichten sind Ansätze dazu seit Jahren vorhanden – allein beruflich ist Katja Baumann bisher die unfehlbare Dorfhelferin.