Jeder Mensch hat Geheimnisse und ein Recht darauf, sie mit ins Grab zu nehmen. Mit dieser Überzeugung steigt Bestatter Wolfgang Habedank (fein: Holger Stockhaus) in die digitale Nachlassverwaltung ein. Seinen Kunden garantiert er die Löschung ihrer Spuren im Netz. Nach dem Mord an Klientin Anneke Schwidden (Judith Jakob) wird jedoch klar, dass Habedank seine Geschäftsidee rechtlich nicht gründlich genug abgesichert hat. Zusätzlich sorgt ein als Erpresserbrief formulierter Werbegag seines Mitarbeiter Yunus Özlugül (Yunus Cumartpay) für Ärger. Höchste Zeit für einen Einlauf. Der kommt von Özlugüls Schwester. Polizistin Süher Özlugül (Sophie Dal) ist alarmiert, weil am Tatort der vergifteten Frau Schwidden die Fingerabdrücke ihres Bruders Yunus auftauchen. Im Lauf der Ermittlungen gilt es, nicht nur den eigenen Bruder aus der Schusslinie zu bringen. Die Kommissare in Leer müssen auch verknusen, dass BKA-Ermittlerin Danneberg (Eva Meckbach) den Schreibtisch von Kommissar Brockhorst (Felix Vörtler) für sich beansprucht. Danneberg hegt einen Verdacht gegen Habedank, der weit über dessen unausgegorene Geschäftsidee hinausgeht. Sie irrt. In bewährter Krimi-Tradition ignoriert das BKA aber die Hinweise der örtlichen Polizei. Das garantiert das unterhaltsame Nebeneinander paralleler Handlungsstränge und die üblichen Zickereien um Hierarchie und Geheimhaltungstaktiken der Behörden.
Autor Markus B. Altmeyer unterfüttert die Figuren mit den ihnen von Reihenstart an zugeschriebenen Attributen. „Komm, wir gehen da jetzt rüber“ lautet in dieser Logik der erste Satz der beherzten, auf ihre Intuition setzende Polizistin Süher alias Sophie Dal. Maxim Mehmet als ihr Kollege Henk Cassens bleibt blass, und Dezernatsleiter Brockhorst wird seinem kantigen Namen gerecht. Dank eines alkoholbedingten Blackouts nach einer Reviersause vermisst er seine Waffe und wirkt dauerverkatert. Ohne Gegenwehr räumt er den Schreibtisch für die Frau vom BKA und muss dann auch noch Cassens Stuhl hochfahren, um vom neuen Platz aus, den Chef zu markieren. Felix Vörtler wäre zu wünschen, in einer der nächsten Episoden nicht nur der Idiot zu sein. Allein, man hat das Gefühl, an den Figuren will keiner rütteln. Beim Apothekerinnen-Duo Insa Scherzinger (Theresa Underberg) und Melanie Harms (Tina Pfurr) muss das auch nicht sein. Die stillen Heldinnen jeder Ermittlung funktionieren mal als streitlustiges Doppel, dann wieder als durch Neugier vereintes Team, das im Hinterzimmer der Apotheke forensische Vorarbeit leistet. Während Underberg die friesisch Frische verkörpert, erinnert Pfurr an die resoluten Damen der Rosenheim-Cops. In ihrer Gegensätzlichkeit schaffen es Underberg und Pfurr, nicht nur durch übertrieben erboste Blicke und Hand in der Hüfte schnippisch zu wirken. Dass sie es feiner können, zeigt diesmal schon ihr erster Auftritt. Während Eva Meckbach als forsche BKA-Beamtin neben einem Hauch von Action und Weiter Welt für ein paar amüsante Szenen mit Bestatter Habedank sorgt, überzeugt Aljoscha Stadelmann in der Episoden-Hauptrolle des Witwers Hinnerk Schwidden. Profil verleiht Stadelmann („Harter Brocken“) seiner Figur allein schon durch den ihm eigenen Sprachduktus und die Zerrissenheit zwischen Trauer und Selbstjustiz.
Foto: ZDF / Willi Weber
Wie schon in früheren Episoden versucht auch „Friesland – Unter der Oberfläche“ mehrere Erzählstränge dramaturgisch zu verlinken. Die BKA-Ermittlungen und die Suche nach einem in der ostfriesischen Provinz versteckten Cyber-Bunker docken an die eigentlichen Mordermittlungen an. Am Ende enttäuscht jedoch ein Täter, dem man weder einen Mord noch eine international operierende Verbrechensplattform zutraut. Die zweite Erzählung um einen Witwer (Stefan Konarske) auf der Suche nach dem schönsten Grab für seine tödlich verunfallte Frau verläuft im (Dünen-)Sande und endet tragisch. Hier menschelt es, wie es sich für einen Regionalkrimi gehört. In der Gesamtschau führt der Erzählstrang zu ein paar Schauplatzwechseln, Strandbildern und Friedhofsgesprächen. Damit wird er der ihm eigenen Tragik jedoch nicht gerecht, bleibt vom eigentlichen Fall losgelöst und zu blass, um die in die Handlung involvierten Charaktere zu vertiefen.
Außerdem: Bilder allein können manchmal am besten menscheln. In Friesland braucht es dazu nicht mal Musik. Ohnehin wirkt David Bowie im Vorspann deplatziert. „Suffragette City“ hat mit Leer und Ostfriesland nun wirklich nichts gemeinsam. Danach kommen Wind und Möwen. Auf die ist Verlass. Tiefblauer Himmel am Strand, blankgeputzte weiße Häuschen in der Stadt, die Farbsättigung ist wie immer auf Anschlag gestellt. Bis zum letzten Hinterhaus, in dem Polizistin Süher ihren Bruder aufstöbert, wirkt im (auffällig menschenleeren) Leer alles sauber, hell und aufgeräumt. „Unter der Oberfläche“ steht zwar im Titel, kommt im Film aber so gut wie nicht vor. Das ist gar kein Manko. Ebenso wie der Verzicht auf klimpernde Musikuntermalung. Auch hier gibt sich „Friesland – Unter der Oberfläche“ aufgeräumt und reinlich. Nur wenn die Spannungs-Tide steigt, schwellen auch ein paar dunkle Töne an. Keine Angst: Eine Sturmflut ist hier nicht zu erwarten. (Text-Stand: 4.1.2022)