Freundinnen – Alle für eine

Katja Riemann, Nicolette Krebitz, Sophie von Kessel. Von wegen Drei ist einer zu viel!

Foto: Degeto / Frank Dicks
Foto Rainer Tittelbach

Drei Frauen zwischen Mitte und Ende 40 beleben ihre Freundschaft und ihren alten Traum vom gemeinsamen Musikmachen. Der Grund ist ein trauriger: eine der Frauen hat Brustkrebs und sie weiß nicht, wie viel Zeit ihr noch bleibt. Doch die wiedergefundene Nähe tut allen gut – denn auch die beiden anderen haben Probleme und proben den Neuanfang… „Freundinnen – Alle für eine“ bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen fernsehtypischem Themenfilm und ästhetisch offener, stimmungsvoller Beziehungsdramödie, wie man sie aus dem Kino kennt. Ein ungewöhnlicher Mix für einen ARD-Freitagsfilm. Katja Riemann, Nicolette Krebitz, Sophie von Kessel & eine tolle Musik-Dramaturgie verführen zu diesem lustvollen Wechselbad der Gefühle mit Anflügen von Nostalgie, die man selten so unpeinlich gesehen hat.

Zwei Schwestern erfüllen ihrer kranken Freundin einen Herzenswunsch
Karla (Katja Riemann) und ihre Schwester Alice (Sophie von Kessel) gehen auf die 50 zu – und noch immer sind reichlich Rechnungen aus der Jugend zwischen ihnen offen. Beide sind gleichermaßen beste Freundinnen von Sascha (Nicolette Krebitz). Vor 25 Jahren waren die drei die legendäre Girl-Band ChiX. Die Musik hingen sie an den Nagel, weil ihnen der Ernst des Lebens dazwischenkam: Karla bummelte, ihre Schwester, das Modell, jettete durch die Welt und Sascha hatte als alleinerziehende Mutter vergleichsweise das schwerste Los. Der Grund, weshalb sich die Frauen nun wieder öfter treffen und bald sogar zusammenwohnen, ist ein trauriger: Sascha hat Brustkrebs, die Therapien haben nicht angeschlagen und sie weiß nicht, wie viel Zeit ihr noch bleibt. Sie, die Träumerin, für die immer schon die Musik das bessere Leben war, hat einen Herzenswunsch: mit ihren Freundinnen wieder die alten Songs spielen, ja vielleicht sogar noch einmal auftreten. Die Schwestern sind dabei, und es ist mehr als ein (letzter) Freundschaftsdienst. Die wiedergefundene Nähe tut allen gut – auch der offenbar so toughen, unglücklich kinderlosen Karla: Bei ihr hat sich die Menopause angekündigt und ausgerechnet jetzt hat ihr Mann (Thomas Huber) eine 19-Jährige (Sinje Irslinger) geschwängert. Aber auch Alice lebt nicht, wie ihre Schwester lästert, im Wunderland: Der berufliche Druck nimmt zu, sie fühlt sich in ihrem eigenen Haus überflüssig, Mann (Martin Lindow) und Kinder haben sich von ihr entfremdet. Zeit zum Umdenken also. Auch für Sascha. Denn sie kann die Krankheit nicht länger vor ihrem Sohn (Damian Hardung) verheimlichen. Zu klären gäbe es auch noch die Sache mit Clubbesitzer Roy (Ben Becker).

Freundinnen – Alle für eineFoto: Degeto / Frank Dicks
Zwei Schwestern, die sich herzlich wenig zu sagen haben. Beide laborieren noch immer an ihren Rollen aus der Kindheit. Karla (Katja Riemann) war der „Junge“, Alice (Sophie von Kessel) das „Püppchen“.

Zwischen Kino-Emotion & Themenfilm – Gratwanderung mit kleinen Tücken
2017 war aus Kritikersicht bisher noch kein gutes Jahr für den ARD-Freitagsfilm. „Freundinnen – Alle für eine“ ist nun der erste Ausreißer aus dem Lebenshilfe-Biedermeier à la „Die Eifelpraxis“, in das man bei der Degeto offensichtlich die Zuschauer wieder einlullen möchte. Der Film von Jan Ruzicka nach dem Drehbuch von Hardi Sturm bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen fernsehtypischem Themenfilm und ästhetisch offener, stimmungsvoller Beziehungsdramödie, wie man sie aus dem Kino kennt. Je nachdem, von welcher Seite man den Blick auf diese Frauengeschichte(n) wirft, gibt es schon ein bisschen was zu meckern. So sind die Gegensätze zwischen den Frauen etwas überdeutlich und grob gemeißelt ihre weiblichen Rollenbilder: hier die Trotzige, die immer das letzte Wort haben muss, dort die Stille, die sich in ihrem Leben nicht traut, etwas zu Ende zu bringen, schließlich die Ja-Sagerin, die nicht länger das Püppchen sein will. Alle drei haben sich und ihren Liebsten, ihren Männern und ihren Kindern, offenbar in den letzten Jahren viel vorgemacht, haben aneinander vorbei gelebt, und jeder hat sich ganz andere Vorstellungen davon gemacht, was der andere denkt. Drei Lebensgeschichten, an der Oberfläche völlig verschieden, vom psychologischen Prinzip her aber ähnlich. Vielleicht etwas viel gestörte Selbstwahrnehmung und Entfremdungsbotschaften für 90 Minuten, könnte man auf meinen.

Freundinnen – Alle für eineFoto: Degeto / Frank Dicks
Noch ist alles gut, doch irgendwann fühlt sich Sascha (Nicolette Krebitz) inmitten des ständigen Gezänks zwischen den beiden Schwestern „wie ein Scheidungskind“. Soll sie sich für „Papa“ (Riemann) oder für „Mama“ (von Kessel) entscheiden?

Nicolette Krebitz über die Tonlage von „Freundinnen – Alle für eine“:
„Wir hatten die Idee, der Tragik der einzelnen Biografien immer auch mit Humor zu begegnen. Wir wollten auf keinen Fall sentimental werden, sondern stattdessen dem Zuschauer die Möglichkeit geben, Gefühle für die einzelnen Charaktere zu entwickeln, ohne sie mit Emotionen zuzuballern. Aber wir wollten trotzdem dem Thema gerecht werden, jeder einzelnen Geschichte ihre Wichtigkeit lassen. Und nie sagen, das ist ein schlimmeres Schicksal als dieses oder jenes, also nie urteilen. Für jeden einzelnen ist eine Not immer eine Not.“

Problemlast oder Freundschaftsthema – alles eine Frage der Wahrnehmung
Das Wagnis, das der Fernsehfilm „Freundinnen – Alle für eine“ mit dem Tonlagen-Mix aus TV-Drama und Kino-Emotionalität eingeht, wird von Buch und Regie an die drei Hauptdarstellerinnen weitergegeben. Und Katja Riemann, Sophie von Kessel und ganz besonders Nicolette Krebitz meistern ihren Drahtseilakt auf hinreißende Weise. Setzt man die Brille ihrer Charaktere auf, nimmt man die Problempäckchen und Sorgenpakete, die jede der drei Heldinnen zu schultern hat, plötzlich nicht mehr als dramaturgische Stolpersteine wahr, sondern man sieht drei lebendige Frauen, die ihre Freundschaft wahrhaftig wieder aufleben und sich ein Stück weit auch von den beiden anderen den Spiegel vorhalten lassen. Auch wenn der Film darauf verzichtet, die Schwere der Probleme gegeneinander aufzurechnen, so bestimmen doch Saschas schmerzliche Erfahrungen das Verhalten der Freundinnen und sie lenken deren Leben in neue Bahnen. Auch für den (nicht nur weiblichen) Zuschauer dürfte es Momente zum Andocken geben – doch der Film erzählt in erster Linie eine Geschichte von drei Frauen und kommt nicht sofort mit einer wohlfeilen Botschaft um die Ecke. Darin unterscheidet er sich vom Degeto- und „Herzkino“-Bügel-TV, von den typischen Fiction-Frauen-Unterhaltungsprogrammen, die immer so ein bisschen danach aussehen, als müssten solche Stoffe stets in einem Selbstfindungsdrama gipfeln und optisch daherkommen wie gutgelaunte Ratgebersendungen. Romantisierung gibt es auch bei diesen coolen Freundinnen und auch der Film ist nicht ganz frei von jenen Anflügen von Nostalgie, gegen die keine Generation gefeit ist. „Forever young“, da kriegt selbst der Intellekt ziemlich feuchte Augen.

Freundinnen – Alle für eineFoto: Degeto / Frank Dicks
Freundschaft, Musik, Glück. Beim Musikmachen ist das bei den ChiX so ähnlich wie bei Oasis. Der Zoff zwischen den Brüdern bzw. den Schwestern belebt die Musik.

Bereits im Herbst 2015 erhielt Brit Possardt (Calypso Entertainment) beim Hamburger Filmfest den Produzentenpreis der Hansestadt. Hier ein Auszug aus der Begründung der Jury:
„Eine kluge Tragikomödie über zwei Schwestern und ihre krebskranke Freundin, die ein sehr ernstes Thema verhandelt und es schafft, im Angesicht des Todes das Leben zu feiern. Für uns eine herausragende Gesamtleistung der Produzentin, Brit Possardt, weil hier alle Abteilungen kunstvoll ineinandergreifen, von der Idee, über das sehr gute Drehbuch mit seinen hintergründigen Dialogen, die Kamera und Regieführung, das fantastische Schauspielensemble um Katja Riemann, Nicolette Krebitz, Sophie von Kessel, Damian Hardung und Ben Becker. Besonders hervorzuheben ist auch die komponierte Filmmusik mit einem fantastischen Titelsong, einem Ohrwurm, der unbedingt herausgebracht werden sollte. Lachen und Weinen liegen hier nah beieinander und der Film schafft damit einen besonderen Spagat, den man SO nicht häufig im Deutschen Fernsehen sieht.“

Die Musik, Themen, die dem Alltag abgelauscht sind, & die magische Zahl 3
Und diese feuchten Augen bekommt man selbstredend auch, weil der Film tiefe Sehnsüchte anspricht. Und er geht gelegentlich auch dahin, wo es wehtut. Da mag das Genre Dramödie einiges abfedern, aber ihre Ängste kann die entspannte Freundschaftsstimmung den drei Frauen (und den Zuschauern) nicht völlig nehmen. Die Darstellung dieses Wechselbads der Gefühle, das Leben heißt, ist ein weiterer großer Pluspunkt des Films. Besonders gelungen sind die Szenen, in denen das Drama, die Themen, direkt im Alltag abgeholt werden: Da zupft beispielsweise Sascha selbstvergessen ihre Gitarre, es ist Abend, sie und Karla sitzen im Freien, die eine will von der anderen so nebenbei etwas über ihren Sohn erfahren, wie es ihm geht, was er denkt, fühlt, zwischendurch wechselt die Gitarre von Krebitz zu Riemann, ein anderer Akkord wird angeschlagen und dann ist man fast unmerklich beim Thema „Pauls Vater“ gelandet. Diese Szene kurz vor dem großen Finale ist auch bemerkenswert, weil sich zwei weitere Prinzipien des Films in ihr zeigen. Da ist der dramaturgisch ungewöhnliche Umgang mit Musik: In den unterschiedlichsten Situationen wird der Titelsong innerhalb der 90 Minuten in vielfachen Variationen angespielt, immer im On, mal unplugged gespielt, mal als Musikkonserve im Auto, mal als Live-Rock-Video von damals. Am Schluss wird der Song bei einem Auftritt vollständig zum Besten gegeben. Außerdem ist es das Spiel mit der Dreier-Konstellation, aus dem der Film einiges seiner emotionalen Spannung schöpft. „Ich fühl mich wie ein Scheidungskind“, sagt die krebskranke Sascha nach der Hälfte des Films, „bin ich für Mama, bin ich für Papa?“ Die Schwestern nehmen sich die Ängste ihrer Freundin zu Herzen und reden endlich offen miteinander. Die Annäherung entspricht den Wohlfühlkonventionen, wirkt aber nicht zwanghaft… Von wegen Drei ist einer zu viel! (Text-Stand: 18.1.2017)

Freundinnen – Alle für eineFoto: Degeto / Frank Dicks
Glück auf Zeit. Am Ende obsiegt die Musik über die Krankheit. So wird der Zuschauer nachdenklich und doch in guter Stimmung aus dem Film entlassen.

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Katja Riemann, Nicolette Krebitz, Sophie von Kessel, Ben Becker, Damian Hardung, Thomas Huber, Martin Lindow, Sinje Irslinger

Kamera: Gunnar Fuss

Szenenbild: Ralf Mootz

Kostüm: Brigitte Nierhaus

Schnitt: Jens Müller

Musik: Verena Marisa Schmidt;

Soundtrack: The Kinks („Everybody’s Gonna Be Happy“)

Produktionsfirma: Calypso Entertainment

Produktion: Brit Possardt

Drehbuch: Hardi Sturm – nach einer Idee von Iris Kobler und Michael Gärtner

Regie: Jan Ruzicka

Quote: 3,08 Mio. Zuschauer (9,7% MA)

EA: 10.02.2017 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach