„Sie wollen einen Kuss von Ihrer türkischen Putzfrau?“, fragt Meryem. Nikolas will mehr als das. Er will mit ihr, die jünger ist als seine Ehefrau Lilith, aber – zumindest in seiner Wahrnehmung – auch eigenwilliger und damit für ihn aufregender, zusammenleben. Meryem indes ist gar nicht so begeistert von der Idee. Auch sie ist verheiratet und mit ihrem Mann Rohad ist nicht zu spaßen. Trotzdem ziehen sie und ihr kleiner Sohn nach einem Streit überstürzt mit Nikolas zusammen. Doch schon der erste gemeinsame Tag in der neuen Wohnung zeigt, dass sich die beiden fremd sind – auch im Gegensatz zu Lilith und Nikolas, die in der Trennungsphase viele Gemeinsamkeiten und ihre große Nähe zueinander wieder entdeckt haben. Als Meryem eine Fehlgeburt erleidet, überschlagen sich die Ereignisse.
„Fremdgehen“ – der Titel spielt auf verschiedene Facetten der Geschichte an. Der deutsche Mann geht fremd, weil sich das Paar fremd geworden ist. Auch zwischen der Türkin und ihrem vermeintlichen Macho-Man wird zunehmend Entfremdung spürbar. Dann ist es das Fremde, das die beiden zum dauerhaften Seitensprung verführt. Und schließlich wird in der neuen Verbindung eine unüberwindbare Fremdheit spürbar. Als das große Chaos ausbricht, besinnen sich die Partner wieder auf das Bekannte, das Vertraute, das Sichere.
Foto: ZDF / Alida Szabo
Der Film aus der Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ folgt den Beziehungen in einer ausschnitthaften Handlungsabfolge. Geredet wird nicht viel. Nicht immer ist das der Sprachlosigkeit der Figuren geschuldet, es gehört auch zu Jeanette Wagners narrativem Konzept. „Und jetzt?“, fragt sich das Paar, nachdem die Trennung beschlossene Sache ist. Ein Achselzucken, was bleibt ist Leere, eine von innen nach außen gespiegelte Leere. Dieses entschleunigte Erzählen muss man mögen. Die Gefahr, dass die quälenden Seelenzustände der Protagonisten allzu sehr auf die Tonlage des gesamten Films abfärben, bannen die beiden großartigen Hauptdarsteller. Thomas Sarbacher und Antje Schmidt agieren psychologisch stimmig, mit großer physischer Unmittelbarkeit und im Einklang mit einer feinfühligen Filmsprache. Dennoch ist „Fremdgehen“, dieses ausweglose Ehedrama mit dem leisen Hang zur Träumerei, der ideale Film, seine Winter-Depression zu pflegen. (Text-Stand: 21.12.2010)