Freier Fall

Koffler, Riemelt, Schüttler, Lacant & zwei schwule deutsche Asphaltcowboys

Foto: SWR / Kurhaus Productions
Foto Sophie Charlotte Rieger

„Freier Fall“ erzählt die Geschichte einer besonderen Leidenschaft in einem besonderen Milieu: zwei Polizisten verlieben sich ineinander – der eine von den beiden hat Frau und Kind. An ein Coming out ist nicht zu denken… „Freier Fall“ ist eine Geschichte über Unfreiheit; die Männer sind Gefangene ihrer Gefühle. Stephan Lacans Inszenierung & Sten Mendes Kamera wissen, das nachdrücklich mit Bildern zu vermitteln. Die wachsende Verzweiflung des zwischen zwei Liebesobjekten hin und her gerissenen Polizisten ist der emotionale Motor des psychologisch stimmigen Films. Besonders Hanno Koffler überzeugt als Sympathie- & Empathieträger!

2005 brach mit „Brokeback Mountain“ von Ang Lee eine neue Ära des homosexuellen Mainstream-Films an, weshalb es schlicht unmöglich ist, sich Stephan Lacants „Freier Fall“ gänzlich ohne Bezüge zu jenem amerikanischen Vorbild anzunehmen. Und ein Vorbild ist es ohne Frage, erinnern doch zahlreiche Elemente an das mehrfach Oscar prämierte Drama. Waren es dort Cowboys, die das Spannungsfeld zwischen einer heteronormen Männlichkeitsdefinition und Homosexualität aufklaffen ließen, sind es bei Lacant Polizisten, die sich ineinander verlieben, also ebenfalls Männer, die auf Grund ihres Berufsstandes mit einer besonders engen Definition von Maskulinität konfrontiert sind. Zudem kann der Film hiermit auch ein weiteres Thema in den Blick nehmen, nämlich nicht nur eine gleichgeschlechtliche Liebe, sondern auch das Mobbing Homosexueller in einer männlich dominierten Gruppe.

Auch in „Freier Fall“ ist es die Natur, in der die Liebenden ihren Gefühlen erstmals freien Lauf lassen. Marc (Koffler) und Kay (Riemelt) lernen sich während einer Fortbildung kennen und aus dem anfänglichen Konkurrenzverhalten entwickelt sich schnell eine erotische Anziehung. Es sind die gemeinsamen Jogging-Ausflüge im Wald, die endlich den notwendigen Schutzraum bieten, um einander unbeobachtet näher zu kommen. Und es sind eben jene Ausflüge, die im Anschluss an die Fortbildung weiterhin das Alibi bieten, sich zu treffen. Dabei gerät vor allem Marc unter Druck, dessen Freundin Bettina (Schüttler) hochschwanger im erst kürzlich bezogenen Reihenhaus auf den Gatten wartet. Die Affäre zwischen Marc und Kay wird zur tickenden Zeitbombe, insbesondere als Kay bei einer Razzia in einem Schwulenclub entdeckt wird und Marc am Arbeitsplatz gezwungen ist, Stellung zu beziehen.

Freier FallFoto: SWR / Kurhaus Productions
Es ist nicht einfach für Marc (Hanno Koffler): Schwulsein bei der Polizei – unter „echten“ Kerlen. „Freier Fall“ von Stephan Lacant

„Freier Fall“ ist eine Geschichte über Unfreiheit. Die Handlung spielt sich größtenteils in geschlossenen Räumen ab und auch bei den wenigen Ausflügen in die Natur, bleibt die Kamera so nah an ihren Protagonisten, dass das Gefühl der Enge bestehen bleibt. Marc ist gefangen in einem Leben, das nicht das seine ist, in einer Rolle, die nicht seiner Identität entspricht. Zu Beginn findet Stephan Lacant für diese Gemütsverfassung seines Helden ein schönes Bild, das die folgenden Ereignisse sehr subtil ankündigt: Marc und die Kollegen machen sich im Polizeiwagen für den Einsatz bei einer Demonstration bereit. Die Enge des Autos, das Grölen & Klopfen der Menschen auf der Straße wirken beklemmend, bedrohlich.  Es ist jenes Gefühl, von dem Marc von nun an begleitet wird. Im Auto sitzt er – real, aber auch im übertragenen Sinne – mit Kay, draußen lärmen seine konservativen Eltern, der Vater selbst Polizist, und die offensichtlich homophoben Kollegen. Doch es ist nicht nur die Angst vor Anfeindung, die Marc vom Coming Out abhält, sondern auch der Verlust seiner Frau & dem gemeinsamen Kind, die ihm trotz allem am Herzen liegen. Doch was ist die Lösung?

Lacant nimmt seine Zuschauer mit hinein in die wachsende Verzweiflung seines Helden. Es gelingt ihm, die Not des heimlich homosexuellen Mannes darzustellen und gleichermaßen Sympathie wie auch Empathie zu wecken. Zu diesem Effekt trägt selbstredend auch Hanno Koffler erheblich bei, der sowohl in der Interaktion mit Katharina Schüttler als auch mit Max Riemelt große Natürlichkeit ausstrahlt. Selbiges kann von Letztgenannten leider nicht gesagt werden, doch bleibt unklar, ob die diffuse Distanz, die zu der Figur des Kay verbleibt, auf den Schauspieler Riemelt oder nicht eher auf Rolle und Regie zurückzuführen ist. Kay, der als der mutigere, weil offensivere der beiden Männer in die Geschichte eingeführt wird, bleibt bis zum Ende ein Rätsel. Das Wort „schwul“ klingt aus seinem Mund gestelzt und niemals erweckt er den Eindruck einer emotionalen Bindung an seinen Liebhaber. Das schwächt die Leinwandbeziehung der Männer auch im Gesamtbild, ermöglicht aber andererseits auch den starken Fokus auf Marc, dessen Situation der Zuschauer umso besser nachvollziehen kann.

Freier FallFoto: SWR / Kurhaus Productions
Nicht weniger problematisch: Marc (Hanno Koffler) lebt mit einer Frau (Katharina Schüttler) zusammen; sie erwarten ein Baby.

Insgesamt gelingt es Lacant trotz einer überraschend mutigen, weil expliziten Darstellung gleichgeschlechtlicher Sexualität nur ungenügend, die Männer glaubwürdig als Objekte der Begierde zu inszenieren, ganz im Gegensatz zu Katharina Schüttler, obwohl jene mit deutlicher weniger Screentime bedacht und einen Großteil des Films hochschwanger ist. Hier bleibt der Regisseur bedauerlich stark im männlichen Blick hängen. Es ist allein die Körpersprache der Schauspieler, die seinem Film von Beginn an eine homoerotische Ebene verleiht, während die Inszenierung auf bildtechnischer Ebene in dieser Hinsicht bedauerlicher Weise versagt.

Das Drama, das ist die dramaturgische Stärke von „Freier Fall“, entspringt vornehmlich der Gefühlswelt der Hauptfigur und wird nicht durch eine ausufernde Eskalation auf der Handlungsebene ausgespielt. Auch das Ende bleibt seltsam sanft, zugleich versöhnlich wie auch bedrückend. Lacant endet wie er beginnt, mit einer Trainings-Sequenz. Wo am Anfang noch Kay das Feld anführte, ist es nun Marc, der vorausläuft. Das könnte bedeuten, dass er durch die Entwicklungen zu neuer Stärke gefunden hat. Es könnte aber ebenso gut heißen, dass er nun die Rolle von Kay, des selbstbewussten, offensiveren eingenommen hat, der jedoch an den äußeren Umständen ebenso scheitern muss wie sein schüchternes Pendant. Der Replik der Eingangsszene haftet also auch die ewige Wiederkehr des Gleichen an, ein Kreislauf, der nur durch eine gesellschaftliche Veränderung durchbrochen werden kann. Vielleicht kann ja „Freier Fall“ dazu einen Teil beitragen. (Text-Stand: 23.10.2014)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kinofilm

SWR

Mit Hanno Koffler, Max Riemelt, Katharina Schüttler, Maren Kroymann, Luis Lamprecht, Oliver Bröcker, Britta Hammelstein, Shenja Lacher

Kamera: Sten Mende

Szenenbild: Petra Bock-Hofbauer

Schnitt: Monika Schindler

Produktionsfirma: kurhaus production

Drehbuch: Karsten Dahlem, Stephan Lacant

Regie: Stephan Lacant

EA: 17.11.2014 20:15 Uhr | SWR

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach