Frau Roggenschaubs Reise

Hannelore Hoger, Beate Langmaack, Kai Wessel. Ein Film, der swingt & Spaß macht

Foto: ZDF / Hardy Brackmann
Foto Rainer Tittelbach

Weil eine kurz vor der Rente arbeitslos gewordene ältere Dame, der auch noch der Ehemann verlustig geht, unwissend und im boshaften Übereifer dessen 100.000-Euro-Hendrix-Gitarre an einen jungen Sinto verscherbelt, rückt die Heldin von „Frau Roggenschaubs Reise“ einer Hamburger Sinto-Familie auf die Pelle. Sie will die Fender zurück, bekommt am Ende aber mehr… Die ZDF-Komödie von Kai Wessel nach dem klugen Buch von Beate Langmaack ist gut gemeint und politisch ausgewogen, wirkt aber nicht allzu pädagogisch, dafür ist der Film zu gut gemacht. Hoger ist köstlich, die Erzählung flüssig, der Soundtrack spritzig; im Dialog dominiert trockener Witz und der Dreh mit Laien erweist sich als Glücksgriff.

Eine boshafte Dame, eine Sinto-Familie & eine Fender
Job weg, Mann weg – aber Rosemarie Roggenschaub lässt sich nichts anmerken. Als sie bei Kaffee und Keksen erfährt, dass „ihr“ Klaus mit seiner Carola in eine noble Alten-WG zieht, reift bereits ein Plan hinter ihrem eingefrorenen Lächeln. Seine sieben Sachen, die er sich demnächst abholen will, verscherbelt sie an einen jungen Sinto-Gärtner – darunter auch eine Gitarre, der ganze Sammler-Stolz ihres Noch-Ehemanns. Ihre kleine Racheaktion verkauft sie ihm und der Polizei als Diebstahl. Zwei Ausländer hätten sie mitten am Tag überfallen. „Ich glaub, das waren Zigeuner.“ Als Rose erfährt, dass die Gitarre eine Fender Stratocaster ist, auf der Jimi Hendrix gespielt hat und die einen Liebhaberwert von rund 100.000 € hat, wird ihr doch ein bisschen mulmig, nicht zuletzt auch deshalb, weil der nicht mehr Ihrige einen Privatdetektiv einschalten will. Also heftet sich Rose an die Fersen der Familie Mandel, an dessen Sohn Sasha sie das gute Stück und den anderen Plunder verkauft hat. Weil diese längst ihren Besitzer gewechselt hat, muss sich die bei Sashas Tochter als „Meckertante“ verschriene Dame als Druckmittel etwas einfallen lassen. Dafür rückt sie der Familie, die nach der Sturmflut 1962 sesshaft wurde und sich in einem Hamburger Vorort niedergelassen hat, auf die Pelle. Dabei wird besonders Mutter Marinela Zielobjekt von Roses Vorurteilen.

Frau Roggenschaubs ReiseFoto: ZDF / Hardy Brackmann
Eine Frau von gestern, aber nicht auf den Kopf gefallen. „Sind Sie so eine Art Zigeuner?“ Hannelore Hoger und Rahul Chakraborty

Von Vorurteilen, versteckten Gefühlen und Erfahrungen
Am Anfang stand die Idee des ZDF, für Hannelore Hoger nach „Uferlos“ mal wieder „eine Komödie mit ernsten Zwischentönen“ zu entwickeln. Um Sinti und Roma sollte es gehen. Die mehrfach preisgekrönte Beate Langmaack („Weiter als der Ozean“) wurde als Autorin engagiert. „Es sollte kein schwerer Themenfilm werden, sondern eine Geschichte, die auch Spaß macht“, so Langmaack. Die selbst gestellte Vorgabe wurde erfüllt. „Frau Roggenschaubs Reise“ ist eine wundervolle Schnurre, ein kleines komödiantisches Schatzkästlein. Anfangs nimmt besonders die Boshaftigkeit der Titelheldin für den Film ein: Die spuckt schon mal in den Pott ihrer Nachfolgerin, bevor sie ihn mit Kaffee füllt und mit freundlich-falscher Miene serviert. Diese Frau hat Haare auf den Zähnen. Diese Frau ist einsam. Dass sie dieses Gefühl nicht vor sich herträgt, sondern hinter ihrer harten Schale versteckt, macht sie zu einem Charakter, der nicht so leicht zu durchschauen ist. Welche Gefühle hegt sie für ihren Noch-Ehemann? Weshalb jagt sie so verbissen der Gitarre hinterher? Ist es nur ihr Preis? Und warum entwickelt sie plötzlich fast (groß)mütterliche Gefühle für den jungen Sinto? Was bei einer stark reglementierten Genre-Komödie nach US-Vorbild möglicherweise ein dramaturgisches Manko sein könnte, wird zur stillen Stärke von „Frau Roggenschaubs Reise“. Wie im Leben ist Erfahrung auch hier ein gleitender Fluss. Irgendwann hat die Heldin genug gesehen – und es verändert sich ihre Sichtweise: Die Vorurteile sind nicht ganz weg, aber sie werden relativiert und es findet sogar ein Austausch der vermeintlichen kulturellen „Gepflogenheiten“ statt. „Nobody is perfect“ – und die sogenannten „Zigeunermethoden“ haben durchaus was für sich, erkennt die Roggenschaub.

„Was ihre Sichtweise und ihr Verhalten ändert, ist ganz einfach Nähe. Die direkte Begegnung mit Menschen, deren Leben sie kennenlernen und eine Zeit lang teilen darf.“ (Autorin Beate Langmaack)

„Es war uns schnell klar, dass wir ein neues, frisches und freies Drehsystem entwickeln müssen. Unser Ziel war es, jeden Druck aus den Dreharbeiten he-rauszunehmen und ein Klima eines Familienvideos herzustellen.“ (Regisseur Kai Wessel über das Drehen mit Laien)

Frau Roggenschaubs ReiseFoto: ZDF / Hardy Brackmann
Frau Roggenschaub (Hannelore Hoger) und Frau Mandel (Rigoletta „Loli“ Weiß) werden wohl keine Freundinnen mehr.

Gut gemeint – ohne Zuckerguss und Harmoniesucht
Der Plot ist überschaubar. Die Grobdramaturgie birgt wenig Überraschendes. Dass sich die Heldin bei der Sinto-Familie einnistet, ist dem „Lernprozess“ der Heldin geschuldet. Die Läuterung aber, die selbstredend zu erwarten ist, fällt beiläufiger und lakonischer aus als in Komödien, die stärker auf Happy End und Harmoniesucht gebürstet sind. Und die Gitarre ist in etwa das, was Hitchcock als McGuffin bezeichnet hat, ein Vorwand, im Krimi für eine spannende Verwicklung – in dieser heiter-besinnlichen Erzählung ermöglicht das gute Stück dagegen die Annäherung zwischen der Deutschen und der Sinto-Familie. Keine Frage, das Projekt ist gut gemeint. Politisch korrekt – sprich: ausgewogen – sind die Verfehlungen, die die „Parteien“ begehen. Die Heldin spielt ihrem zukünftigen Ex-Mann übel mit und ist anfangs keine klassische Sympathieträgerin. Und der einnehmende Sinto ist ein rechtes Schlitzohr. Sein aufgewecktes Töchterchen macht den Weg frei für die Öffnung der „Meckertante“, bevor Mama Marinela mit ein paar historischen Fakten (eine halbe Million Roma und Sinti wurden von den Nationalsozialisten ermordet) den Gast und die Zuschauer nachdenklich zu machen hat. Und am Ende siegt erwartungsgemäß die Vielfalt der Lebensentwürfe über die Vorurteile, die Werthaltigkeit kultureller Tradition über das Gefühl der Fremdheit.

Gut gemacht – mit Hoger, Django Deluxe & Laiendarstellern
Warum nicht?! Schließlich ist der Film auch gut gemacht. Die Botschaft wird nicht in Sätze gemeißelt. Viele Dialoge stecken voller Witz und Ironie; das Prinzip Rede/Gegenrede wird moderat eingesetzt. Die kulturellen Klischees werden nicht übermäßig strapaziert und immer mal wieder umgedreht (Sasha zu Rose: „Sie haben es wohl nicht so mit dem Waschen?“). Hogers Spiel weist wie ihre Rolle viele Nuancen auf, was durch ihr vorzügliches Timing noch veredelt wird. Besonders zum Flair von „Frau Roggenschaubs Reise“ trägt der „Zigeunerjazz“ der Hamburger Band Django Deluxe bei, die nicht nur im Film mitswingt, sondern auch zum sehr guten Soundtrack beigetragen hat, der maßgeblich den Erzählfluss des Films bestimmt. Eine gute Idee war es auch von Regisseur Kai Wessel, die Mehrzahl der Sinto-Familie mit Mitgliedern der echten Familie Weiß aus Hamburg Wilhelmsburg zu besetzten. So sieht es einige Male regelrecht danach aus, als ob man als Zuschauer bei der „Famillje“ mit am Tisch sitzt. Auch das ist etwas, was zum Spaß des Films beiträgt. (Text-Stand: 19.11.2015)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Hannelore Hoger, Rahul Chakraborty, Rigoletta „Loli“ Weiß, Christian Redl, Michaela May, Gerhard „Heini“ Weiß, Naomi Wiegand, Fernando Weiß, Kailas Mahadevan, Romana Weiß, Ilka Wiegand, Thomas Kügel, Maja Schöne

Kamera: Achim Poulheim

Szenenbild: Dominik Kremerskothen

Kostüm: Stefanie Bieker

Schnitt: Tina Freitag

Musik: Ralf Wienrich, Django Deluxe, Filmorchester Babelsberg

Produktionsfirma: UFA Fiction

Drehbuch: Beate Langmaack

Regie: Kai Wessel

Quote: 4,33 Mio. Zuschauer (13,4% MA)

EA: 14.12.2015 20:15 Uhr | ZDF

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