Die Filme aus der ZDF-Sonntagsreihe „Fluss des Lebens“ waren bislang ausnahmslos sehenswert. Und noch etwas unterscheidet sie von den mitunter leichten bis seichten Beiträgen zu „Rosamunde Pilcher“ und „Inga Lindström“: Sie sind ungleich dramatischer. „Yukon – Ruf der Wildnis“ erzählt von einem Wettlauf mit dem Tod und ist stellenweise tatsächlich spannend wie ein Krimi. Dabei ist die Handlung im Grunde ähnlich einfach wie die Hollywood-Produktionen „All Is Lost“ oder „The Revenant“, in denen Männer einen einsamen Kampf ums Überleben führen: Daniel (Florian Lukas) hat schon immer für die Goldgräberabenteuer von Jack London geschwärmt. Dass er sich nun endlich im Kreise seiner Lieben – Ex-Frau Frauke (Milena Dreißig), Mutter Lisa (Ulrike Kriener) und Sohn Linus (Taddeo Kufus) – seinen alten Traum erfüllt und an den Yukon reist, hat einen Grund, von dem die Familie nichts ahnt: Er leidet unter einem schweren Herzfehler und hat nur noch ein Jahr zu leben. Seine einzige Chance ist ein Herzspezialist in Vancouver; Daniel hat fünf Jahre auf den Termin warten müssen. Die Erfolgsaussichten der Operation liegen allerdings bloß bei 20 Prozent; daher ist dieser Trip ins Ungewisse die womöglich letzte Reise seines Lebens.
Diesen Hintergrund lässt Autor Gernot Gricksch jedoch erst nach und nach einfließen, zumal Daniel nur die zweite Hauptfigur ist. Im Zentrum des Films steht Goldsucherin Annika (Dagna Litzenberger-Vinet), eine deutsche Aussteigerin. Ihr Motiv für den Rückzug aus der Welt in die kanadische Wildnis gibt Gricksch ebenfalls erst später preis. Zunächst ist Annika alles andere als erfreut, als in einer stürmischen Nacht die vier Landsleute in ihrer Hütte auftauchen. Weil das Auto der Familie durch das Unwetter einen Abhang hinuntergerutscht ist und Daniels Herztabletten im Rucksack auf dem Fluss davongeschwommen sind, erklärt sich Annika bereit, die vier querfeldein zu führen, denn der Weg die Straße entlang wäre mehr als doppelt so weit; und jetzt geht die Geschichte im Grunde erst richtig los.
Foto: ZDF / Erik Pinkerton
Wie immer, wenn sich eine derartige Ensemble-Handlung auf wenige Worte – fünf Menschen in der Wildnis – reduzieren lässt, sollen Animositäten und gruppendynamische Prozesse für Zündstoff sorgen. Die beste Rolle ist die der weiblichen Hauptfigur: Die wortkarge Einsiedlerin Annika wirkt misanthropisch, erscheint aber in ganz anderem Licht, als Gricksch den Grund für ihre Trauer verrät. Zumindest gegenüber Daniel, in dem sie einen Seelenverwandten entdeckt, wird sie schließlich auch zutraulicher. Beim Rest der Gruppe sind die Zwischenmenschlichkeiten weniger differenziert: Die gegenseitige Abneigung von Lisa und Frauke führt zwar zu einen witzigen Dialogen, ist aber auch etwas schlicht konzipiert, zumal Frauke ein wandelndes Klischee ist. Daniels Ex-Frau ist Veganerin und eine typische Helikoptermutter, die ihren 16jährigen Sohn wie ein Kleinkind behandelt. Außerdem ist sie auf eine derart aufdringliche Weise nett, dass sich Lisas Aggressivität gut nachvollziehen lässt. Der Junge wiederum entspricht dem Klischee des Teenagers, der in Annikas Hütte fernab von jeder Zivilisation erst mal nach WLAN fragt. Wie es Gricksch gelingt, Linus mit seinem Vater zu versöhnen, ist jedoch mindestens genauso berührend wie die sich anbahnende Romanze.
Soundtrack: Alan Jackson („Chattahoochee“), Bob Dylan („Shelter From The Storm“), Max Jury („Numb“), The Dead South („In Hell I’ll Be In Good Company”), Fink („If Only”), Beach House („Master Of None”), Feist („Cicadas And Gulls”), The Cinematic Orchestra feat. Patrick Watson („To Build A Home”), Lizz Wright („Hit The Ground”)
Der Rest ist Landschaft. Selbst wenn „Yukon – Ruf der Wildnis“ sonst nichts zu bieten hätte: Allein die Bilder dieser von Kameramann Ralf Noack in satten Farben präsentierten grenzenlosen Weite sind überaus eindrucksvoll. Nur gelegentlich gibt es am Wegesrand rätselhafte Überbleibsel von Zivilisation; ansonsten ist die Natur völlig unberührt. Natürlich sorgen auch die spektakulären Begegnungen mit der Fauna (Bär und Elch) sowie die Nordlichter für besondere Momente. Sehr schön sind auch die Zeitlupenszenen mit einem Wolf, den offenbar nur Annika sehen kann und der dafür sorgt, dass sie Vater und Sohn aus dem Fluss fischen kann, als beide von der Strömung mitgerissen werden.
Foto: ZDF / Erik Pinkerton
Nicht nur wegen dieser Szene waren die Dreharbeiten für alle Beteiligten ohne Frage ebenso strapaziös wie unvergesslich; abgesehen von Anfang und Schluss spielt der Film komplett unter freiem Himmel. Die Regie haben der Sender und die Produktionsgesellschaft Mia Spengler übertragen, was durchaus mutig war. Ihr Beitrag zu „Fluss des Lebens“, der insgesamt siebten Episode der Reihe, ist nicht nur ihre erste Arbeit fürs ZDF, sondern nach der guten romantischen Sat-1-Komödie „Leg dich nicht mit Klara an“ (2017) und der Kino-Tragikomödie „Back for Good“ (2018) überhaupt erst ihr dritter Langfilm. Gricksch, Autor diverser Drehbücher für „Kommissar Dupin“, hat dagegen deutlich mehr Erfahrung; das Yukon-Abenteuer ist nach „Geboren am Ganges“ (2017) bereits seine zweite Arbeit für die Reihe. Gänzlich neu, und das nicht nur im „Herzkino“ des ZDF, ist dagegen Hauptdarstellerin Dagna Litzenberger-Vinet. Die Kameraerfahrung der französischen Theaterschauspielerin mit den markanten Gesichtszügen, die fließend deutsch spricht, beschränkte sich bislang weitgehend auf Kurzfilme; das wird sich nun bestimmt ändern. An einem kleinen Detail ihrer Rolle zeigt sich zudem die Sorgfalt des Projekts: Annika erklärt ihren minimalen französischem Akzent damit, dass sie lange in Straßburg gelebt hat.
Auch sonst unterscheidet sich der Film deutlich von anderen Auslandsproduktionen, wie sie die ARD-Tochter Degeto freitags und das ZDF immer wieder sonntags ausstrahlen. Das belegt auch der respektvolle Umgang mit den Nachfahren der Ureinwohner. Während Fraukes belehrender Hinweis, Indianer sage man nicht, eher dazu dient, die Figur zu diskreditieren, ist ein Gespräch von Linus mit einem älteren Einheimischen über dessen Vorfahren mehr als bloß schmückendes Beiwerk. Der Dialog ist ebenso untertitelt wie die Gespräche zwischen Annika und ihrem indigenen Freund, obwohl Louie (Trevor Caroll) wegen der zunehmenden Anzahl deutscher Touristen sogar ein bisschen Deutsch gelernt hat. Eine ganze Reihe überwiegend gefühliger Popsongs sind dagegen ein klarer Tribut an den Sendeplatz, der angesichts der stimmungsvollen sanften Musik von David Grabowski gar nicht nötig gewesen wäre.