Fluss des Lebens – Geboren am Ganges

Rieke, Ferydoni, Gricksch, Karen. Leihmutterschaft, Entführung, Vollbad im Ganges

Foto: ZDF / Stefan Ciupek
Foto Tilmann P. Gangloff

Das Drama erinnert zunächst an andere Indienfilme der letzten Jahre, in denen deutsche Paare ihre Kinderlosigkeit mit Hilfe einer Leihmutter beenden wollen. „Geboren am Ganges“ aber ist anders, und das nicht nur, weil die männliche Hauptfigur das Kind seiner verstorbenen Schwester sucht. Natürlich schwelgt der Film in Klischeebildern vom exotischen Indien, blendet aber auch die Schattenseiten nicht aus, zumal sich der von Janek Rieke sehr glaubwürdig verkörperte unfreiwillige Held überhaupt nicht mit den Zu- und Missständen anfreuen kann. Auch Ferydoni ist eine gute Wahl, und die Musik ist herausragend.

Das Plakat zu Bernardo Bertoluccis Film „Little Buddha“ zeigt eine Gruppe asiatischer Kinder; mittendrin steht ein blonder weißer Junge, der als einziger Richtung Kamera schaut. „Geboren am Ganges“, der dritte Film aus der ZDF-Reihe „Fluss des Lebens“, erzählt eine völlig andere Geschichte, aber die Assoziation zu dem Plakatmotiv taucht immer wieder auf: weil die kleine blonde Suri inmitten all der dunklen Inder zwangsläufig heraus sticht. Ihre Mutter ist eine Ausgestoßene, denn jeder denkt, sie habe sich mit einem Weißen eingelassen und einen „Bastard“ zur Welt gebracht. Tatsächlich ist Parvati (Pegah Ferydoni) eine Leihmutter: Sie hat das Kind einer deutschen Frau ausgetragen, die jedoch aus unerfindlichen Gründen nicht mehr aufgetaucht ist; also hat Parvati das mittlerweile zweijährige Mädchen wie ihre eigene Tochter großgezogen, wenn auch unter denkbar ärmlichsten Lebensbedingungen.

Gernot Grickschs Drehbuch knüpft an andere Filme dieser Art an, in denen jedoch meist ungewollt kinderlose Paare im Zentrum standen (etwa „Monsoon Baby“, ARD 2014). Hauptfigur von „Geboren am Ganges“ ist dagegen der Bruder der biologischen Mutter: Sie ist bei einem Fallschirmsprung ums Leben gekommen; Robert (Janek Rieke) hat die Hinweise auf die Leihmutterschaft erst kürzlich in ihren Papieren gefunden. Nun ist er samt Mutter Elvira (Gaby Dohm) nach Varanasi gereist, um seine Nichte nach Deutschland zu holen, doch Parvati denkt überhaupt nicht daran, dass Mädchen wiederherzugeben. Trotzdem kommt Robert ihr gerade recht, denn ihr Ex-Mann hat Suri entführt, um sie an Kinderhändler zu verkaufen. Gemeinsam machen sie sich per Boot den Ganges hinauf an die Verfolgung.

Fluss des Lebens – Geboren am GangesFoto: ZDF / Stefan Ciupek
Auch die Schattenseiten der indischen Realität werden gezeigt… Robert (Janek Rieke) soll Parvati (Pegah Ferydoni) bei der Suche nach Suri helfen.

Abgesehen von einem kurzen romantischen Moment während der Freiluftaufführung einer Bollywood-Romanze und einem flüchtigen Kuss verzichten Gricksch und Regisseur Michael Karen („Das Mädchen mit dem indischen Smaragd“) in diesem „Boat-Movie“ auf die üblichen „Herzkino“-Zutaten des Sonntagsfilms im ZDF; „Geboren am Ganges“ ist konsequent als Drama erzählt. Zwischendurch darf zwar Heinz Hoenig durch die Szenerie kaspern, aber seine bildschirmfüllende Figur ist im Grunde ebenso überflüssig wie Roberts Mutter; beide dienen offenbar bloß als Repräsentanten der Zielgruppe. Elvira kriegt gleich zu Beginn die Kotzerei, weshalb sich Robert allein auf die Suche nach Parvati machen muss. Hoenig wiederum spielt einen deutschen namens Fluppe, der Robert immerhin den Hals rettet, auch wenn es etwas konstruiert wirkt, dass er nach einer flüchtigen ersten Begegnung irgendwo auf der Straße just in jener zwielichtigen Vorortspelunke wieder auftaucht, in der Robert gerade in Schwierigkeiten steckt. Weil er sein Telefon in der Kneipe vergessen hat, kommt Fluppe mit Elvira in Kontakt, der die raue Herzlichkeit des Aussteigers sichtbar sympathisch ist.

Entscheidend für die Qualität des Films sind aber ohnehin die Besetzung der beiden Hauptrollen sowie die optische Umsetzung. Die Kamera (Stefan Ciupek) schwelgt geradezu in indischen Impressionen und lässt bei den Auto- und Bootsfahrten keine Gelegenheit ungenutzt, um rechts und links exotische Eindrücke einzufangen. Die Bilder beschönigen dabei nichts; die farbenfrohe Kleidung der Einheimischen kommt ebenso zur Geltung wie das Elend. Angesichts von Parvatis Position ganz am Ende der gesellschaftlichen Rangordnung darf sich Robert zudem darüber auslassen, dass in Indien zwar jedes zweite Tier heilig sei, sich aber niemand für das Schicksal der armen Kinder interessiere. Die Straßenszenen sind nicht zuletzt angesichts der Menschenmassen besonders eindrucksvoll und sehen aus, als hätte Karen seinen Hauptdarsteller einfach ins Gewimmel geschickt. Im Kontrast zu den stimmungsvollen Indienbildern sind die kurzen deutschen Rückblenden eher kühl gehalten. Sie erklären, warum sich Robert für den Tod seiner Schwester verantwortlich fühlt: Er hatte ihr den Fallschirmsprung geschenkt. Das Kennzeichen des Flugzeugs lautet D-EADY.

Fluss des Lebens – Geboren am GangesFoto: ZDF / Stefan Ciupek
Parvati (Pegah Ferydoni) wurde als Leihmutter engagiert und wird aufgrund ihres weißen Kindes (Margarita Novopavlovskayal.) in der Gesellschaft nicht anerkannt.

Pegah Ferydoni ist nicht nur wegen ihrer persischen Wurzeln eine gute Wahl für die schöne Parvati, die natürlich nicht zufällig den Namen der Göttin der Mutterschaft trägt. Aber auch Janek Rieke ist eine gute Besetzung, denn Robert, von Beruf Logistiker, ist alles andere als ein Abenteurer. An Indien stört ihn alles: die Nahrung, die Hitze, die Mentalität, der Dreck; das entsprechende Unbehagen, das sich bei einer unfreiwilligen Begegnung mit einer Schlange oder bei unheimlichen nächtlichen Geräuschen naturgemäß noch steigert, vermittelt er jederzeit glaubwürdig. Dass Robert zu Beginn mit Krawatte durch die Stadt läuft, ist zwar etwas übertrieben, aber natürlich ein Signal. Im Verlauf der Handlung wird der Deutsche, von dem seine Mutter sagt, ohne Plan sei er verloren, immer weiter demontiert: Als erstes muss die Krawatte dran glauben, dann öffnet er sein Hemd, das zunehmend verdreckt, und schließlich wird ihm sein Bauchgurt mit allen Papieren und somit gewissermaßen die Identität gestohlen; jetzt ist Robert bereit für einen Neustart. Er wird zwar nicht zum Draufgänger, muss sich jedoch wandeln, um zu lernen, dass ein Kind zur Mutter gehört, die es zur Welt gebracht hat. Am Ende nimmt er sogar mit Todesverachtung ein Vollbad im Ganges.

Großen Anteil an der Wirkung des Films hat auch die Musik (Siggi Mueller, Jörg Magnus Pfeil), die die Stimmung der Bilder enorm intensiviert, immer wieder fernöstliche Elemente aufgreift und auch gut integrierte einheimische Lieder verwendet. Ein anderer Teil der Tonspur ist weniger überzeugend: Offenbar waren sich die Macher nicht ganz im Klaren, wie sie das Sprachproblem lösen. Untereinander sprechen die Inder Hindi, mit den Deutschen jedoch ein makelloses Deutsch. Selbst wenn man davon ausgehen kann, dass es sich um Englisch handeln soll: Ein entsprechender Akzent hätte nicht geschadet. Selbstredend sind die Einheimischen auch nicht um Lebensweisheiten verlegen: Sätze wie „In Europa hat man Uhren, in Indien hat man Zeit“ sind bei Indienfilmen Pflicht. Ein bisschen mystisch darf es ebenfalls zugehen. Trotzdem vermittelt „Geboren am Ganges“ nie das Gefühl, Handlung und Umsetzung seien das Ergebnis einer kalkulierten Mischung bewährter Zutaten.

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Reihe

ZDF

Mit Janek Rieke, Pegah Ferydoni, Gaby Dohm, Heinz Hoenig, Amit Shrivastava, Swarupa Ghosh

Kamera: Stefan Ciupek

Szenenbild: Jörg Prinz

Kostüm: Tatjana Brecht-Bergen

Schnitt: Ronny Mattas

Musik: Siggi Mueller, Jörg Magnus Pfeil

Produktionsfirma: Schiwago Film

Drehbuch: Gernot Gricksch

Regie: Michael Karen

Quote: 4,44 Mio. Zuschauer (11,9% MA)

EA: 05.02.2017 20:15 Uhr | ZDF

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