Das Phänomen ist nicht zu übersehen und längst auch wissenschaftlich belegt: Mit Frauen über fünfzig kann das Fernsehen offenbar nicht viel anfangen, weshalb die entsprechenden Rollen meist klischeehaft ausfallen. Die Darstellungen schwanken zwischen überdrehtem Alt-Hippie und liebevoller Großmutter, dazwischen gibt es nicht viel; sexuelle Bedürfnisse werden komplett ausgeblendet. Dass ARD und ZDF ihre Serien derzeit mit Blick auf ein jüngeres Publikum produzieren lassen, verstärkt die Misere: Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen jenseits der fünfzig liegt im Fernsehen schon jetzt bei drei zu eins. Während die einen in allen möglichen aktiven Rollen zu sehen sind, gern mit einer deutlich Jüngeren an ihrer Seite, werden die anderen viel zu oft aufs passive Anhängsel reduziert. Eine kürzlich gegründete Initiative will das ändern. Das Motto der Kampagne lautet „Let’s Change The Picture!“. Filme und Serien sollen reife Frauen endlich so zeigen, wie sie sind: „unabhängig, eigenwillig, im Aufbruch, verwirrt, wild und schön“; und genau das passiert in „Faraway“.
Foto: Netflix
Jane Ainscough (Buch) und Vanessa Jopp (Regie), die mit der sehenswerten E-Mail-Romanze „Gut gegen Nordwind“ für eine der schönsten Kinoromanzen des Jahres 2019 gesorgt haben, erzählen mit „Faraway“ eine Beziehungskomödie, die sich ebenfalls auf Umwegen entwickelt: Nach dem Tod ihrer in Kroatien geborenen Mutter erfährt Zeynep (Naomi Krauss), dass die alte Frau vor vielen Jahren hinter dem Rücken ihres türkischen Gatten (Vedat Erincin) ein Haus in der einstigen Heimat gekauft hat. Zeyneps Ehe hat schon lange jeden Reiz verloren, und als ihr Mann Ilyas (Adnan Maral) die Beerdigung vergisst, weil er in seiner Münchener Restaurantküche mit der neuen jungen Köchin (Paula Schramm) poussiert, setzt sie sich kurzerhand ins Auto und fährt Richtung Balkan. Das Erbe hat zwar einen atemberaubend schönen Meerblick, entpuppt sich jedoch als uraltes Gemäuer: mit einem gewissen Charme, aber ohne Strom; zum Duschen muss sich Zeynep einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf kippen. Außerdem ist es bewohnt: Ihre Mutter hat dem Vorbesitzer, Josip (Goran Bogdan), ein Bleiberecht eingeräumt, das erst endet, wenn ihre Tochter das Haus übernimmt.
Die Konstellation erinnert an die beliebte ARD-Freitagsreihe „Zimmer mit Stall“, wenn auch mit einem wesentlichen Unterschied: Die Filme mit Aglaia Szyszkowitz und Friedrich von Thun als Zwangsnachbarn sind zwar im weitesten Sinn Beziehungskomödien, aber ohne sexuelle Untertöne. Das ist in „Faraway“ gänzlich anders, zumal die erste Begegnung zwischen Zeynep und Josip gleich mal im Bett stattfindet, wenn auch unfreiwillig. Fortan orientiert sich die Geschichte am typischen „RomCom“-Muster: Zeynep will das Gebäude modernisieren und an Touristen vermieten, aber dafür muss sie den rund zehn Jahre jüngeren und etwas verwildert wirkenden Naturburschen loswerden; auf seine kroatischen Lebensweisheiten („Altes Huhn gibt gute Suppe“) kann sie sowieso verzichten. Je mehr Zeit sie jedoch in dem Haus verbringt, desto mehr blüht sie auf, und so verwandelt sich das anfangs etwas verhärmt wirkende Heimchen nach und nach in eine schöne Frau; eine tolle Rolle für die Schweizerin Naomi Krausss, die sie sehr uneitel verkörpert. Der Kroate Goran Bogdan ist ihr ein ebenbürtiger Partner.
Foto: Netflix
Natürlich ist „Faraway“ auch ein Urlaubsfilm, Kamerafrau Katharina Bühler sorgt für viele entsprechende Bilder. In dieser Hinsicht könnte die Produktion durchaus aus der ZDF-Reihe „Ein Sommer in…“ stammen, wenn auch ohne Nacktszene, die allerdings ziemlich lustig ist, weil überraschend Zeyneps Tochter auftaucht. Die Reibereien mit dem rebellischen Teenager sind ohnehin sehr amüsant; von Bahar Balci wird es ganz sicher noch Einiges zu sehen geben. Anders als noch vor einigen Jahren ist auch der Schluss kein Widerspruch zu den Filmen, die das „Erste“ freitags oder das „Zweite“ sonntags im „Herzkino“ zeigen. Selbst das Finale, als sich sämtliche männlichen Beteiligten sehr handfest klar machen, was sie voneinander halten, fällt nicht aus dem Rahmen. Dabei geht es unter anderem einem windigen Immobilienmakler (Artjom Gilz) an den Kragen. Der eifersüchtige Josip hatte den Mann schon zuvor als „Macron“ beschimpft, weil sich der Bursche an Zeynep rangemacht hatte.
Das eigentliche Thema des Films ist jedoch die Frage, wie man es schafft, sich wiederzufinden, wenn man sich verloren hat. Zwei Bilder sind es vor allem, die Zeyneps Verwandlung illustrieren: Erst reißt sie mit dem Vorschlaghammer eine Wand ein, damit mehr Licht ins Haus kommt, dann verbrennt Josip ihren figurformenden Liebestöter, von ihm despektierlich „Taucheranzug“ genannt. Ihre Revanche lässt nicht lange auf sich warten, trifft allerdings den Falschen, und das ist nur eine von vielen originellen Überraschungen, die „Faraway“ neben der Geschichte und den sehenswerten Leistungen des Ensembles zu einer gleichermaßen anspruchsvollen wie witzigen romantischen Komödie machen.