Familienerbe

Tscharre, Liebrecht, Hecke, Quainoo, Prisor, Kollmorgen, Haase. Anders als die anderen

Foto: SWR / Patrick Pfeiffer
Foto Rainer Tittelbach

„Patchworkfamilien sind eine heikle Sache, wenn es ans Sterben geht“, heißt es in der ARD-Komödie „Familienerbe“ (Zeitsprung Pictures). Und so ringen bald drei (Halb-)Geschwister, zu denen sich auch noch eine uneheliche Tochter gesellt, um ein stattliches Familiendomizil am Bodensee und um unterschiedliche Lebensentwürfe. Autorin Simone Kollmorgen sucht dabei allerdings nicht den Konflikt um jeden Preis. Und so wirkt dieser gut besetzte und von Komödien-Experte Holger Haase leicht & locker, amüsant & pointiert inszenierte Film wie eine Mittsommer(nachts)komödie um einen Familienclan in einer großbürgerlich anmutenden Sommerfrische. Gesellschaftliche Diskurse um Gender-, Rassismus- und pc-Fragen werden mit traditionellem Denken konfrontiert, im Dialog auch schon mal bissig, im gelebten Alltag  eher bürgerlich tolerant. Zur Entspanntheit dieser Familien-Komödie gehört, dass man als Zuschauer:in nicht gezwungen wird, Partei zu ergreifen. Irgendwie vertraut man diesen sechs Figuren, dass sie den Streit ums Familienerbe hinkriegen werden. Anders als viele der anderen (der Erbengeneration). Und so lässt es sich 90 Minuten lang entspannt schmunzeln.

Bei den Schlegels ist eine Überraschungsparty zum 40. Hochzeitstag geplant. Tochter Maren (Ulrike C. Tscharre) hat sich besonders ins Zeug gelegt. Sie und ihr Mann Torsten (Torben Liebrecht) leben gemeinsam mit den Eltern Regine (Sabine von Maydell) und Georg (Walter Kreye) in deren stattlichen Anwesen direkt am Bodensee. „Schwester“ Leo (Christine Hecke), die mit ihrer neuen Partnerin Lissai (Ivy Quainoo) angereist ist, nimmt das Fest nicht sonderlich ernst. Und Bruder Mattes (Lucas Prisor), der Jüngste, hat andere Probleme. Sein neues „Projekt“ hat ihm eine Menge Schulden eingebracht. Ausgerechnet ein tragischer Schicksalsschlag könnte ihm aus der Bredouille helfen. Die Eltern sind verunglückt. Vater und Mutter tot, es leben die Erben! Und denen hat jeder seine eigenen Vorstellungen, was mit dem Familiendomizil geschehen soll. Mattes will verkaufen, Maren und Torsten wollen im Haus weiterwohnen und es mit Hilfe von Urlaubern längerfristig (be)halten, während die nicht-binäre Akademikerin Leo sich hier eine wissenschaftlich betreute „Wohnwerkstatt für Andersorientierte“ erträumt. Außerdem ist da auch noch Judith (Anne-Marie Lux), die als Kunststipendiatin diesen Sommer in der Villa am See weilt. Und die war nicht – wie einige annehmen – die Geliebte des alten Herrn, sondern sie ist seine uneheliche Tochter.

FamilienerbeFoto: SWR / Patrick Pfeiffer
Zwei ungleiche „Schwestern“: die eine hat es nicht so mit den geschlechtlichen Zuordnungen, die andere braucht Ordnung umso mehr; sonst weiß sie bald gar nicht mehr, wo ihr der Kopf steht. Stimmig besetzt: Christina Hecke, Ulrike C. Tscharre

„Patchworkfamilien sind eine heikle Sache, wenn es ans Sterben geht“, heißt es in der ARD-Komödie „Familienerbe“. Ausgerechnet Maren, das verantwortungsbewusste Muttertier der Sippe, ginge nach geltendem Erbschaftsrecht leer aus. Um den anderen nach dem eigenen Tod abzusichern, haben die Eltern ein Ehegatten-Testament aufgesetzt. Da die Mutter sofort nach dem Unfall starb und der Vater erst ein paar Tage später, ist er der Erblasser. Maren aber ist nur die leibliche Tochter von Regine, während Leo vom Vater in die zweite Ehe mitgebracht wurde, aus der schließlich Mattes hervorging. Glück für Maren, dass sie das Testament nicht nur als einzige sucht, sondern es auch findet, und es ihr gelingt, ihre Mitstreiter ums Erbe im Glauben zu lassen, dass es kein Testament gebe. Doch Leos Lover Lissai hat feine Ohren und hat da was läuten hören. Mattes hat hingegen bald nur noch Augen für Judith. Ganz zum Leidwesen von Maren; sie verabscheut diese Möchtegernkünstlerin. „Du falsche Schlange, lass die Finger von meinem Bruder“, spricht sie bei sich, immer noch in der Annahme, dass Judith des Vaters Geliebte war. Doch wenig später bekommt sie einen Brief in die Hände – von Judiths verstorbener Mutter. Und wieder schrillen bei ihr die Alarmglocken.

„Alles fließt“ lautet das Gender-fluide Credo einer Hauptfigur. Keine krassen Gegensätze, keine Schubladen. So ein bisschen gilt diese Haltung auch für die Narration dieser SWR-Produktion. „Familienerbe“ ist zwar eine Komödie, doch Autorin Simone Kollmorgen („Blindgänger“) sucht – bei allen (spielerischen) Gegensätzen der Charaktere – nicht den Konflikt um jeden Preis. Und so wirkt der launige Film wie eine Mittsommer(nachts)komödie um einen Familienclan in einer großbürgerlich anmutenden Sommerfrische. Wenn sich die Kontrahenten nicht gerade in Lebensstil- und Haltungsfragen verbeißen oder eine der drei „Verhandlungsrunden“ mit einer Judoeinlage endet, gehen die untereinander keineswegs verfeindeten Geschwister recht locker mit der Situation um. Zum bitterbösen Streiten sind diese Charaktere nicht geboren. Jeder dieser Kinder zweier Verhaltensforscher ist anders als die anderen. Die überkorrekte Maren mag die geborene Spießerin sein, der weibliche Prototyp einer „heteronormativen Mehrheitsgesellschaft“, wie Leo sagen würde, aber sie hat ein gutes Herz und sie versteckt ihren Schmerz hinter kleinbürgerlichen Konventionen. Dass ausgerechnet sie lügen muss, das fällt ihr dann auch deutlich schwer. Mattes wirkt wie das klassische „Nesthäkchen“, der Verlierersohn, der aus dem Schatten des Vaters nie herauskam und sich irgendwann damit abgefunden hat, dass ihn keiner ernst nimmt. Und Leo ist die Intellektuelle, die Visionen hat und manchmal etwas zu prinzipiell oder Vernunft bezogen ist.

FamilienerbeFoto: SWR / Patrick Pfeiffer
Lissai (Quainoo) ist nicht wie der Schlegel-Clan auf Rosen gebettet. Umso cleverer muss sie sein. Das kann man von Torsten (Liebrecht) nicht behaupten. Schöner Subtext: Wenn er seine schneidige Kapitänsuniform trägt, wird nicht nur der „Traumschiff“-Kapitän neidisch; er hat dann auch etwas Kolonialherren-haftes an sich. Und er liebt Kaffee, handgemahlen. Dennoch hat Lissai keine Probleme, sich von ihm ans andere Ufer bringen zu lassen.

Eine ätzende, schwarzhumorige, ja böse Erbschaftskomödie darf der Zuschauer von diesem Mittwochs-Fernsehfilm im Ersten – bei diesem Personal – also nicht erwarten. Regisseur Holger Haase („Ella Schön“ / „Freundschaft auf den zweiten Blick“) hat aus den Verhandlungsrunden einen kurzweiligen filmischen Reigen gemacht, der angenehm leicht und locker, amüsant und sommerlich seinen letztlich menschenfreundlichen Gang nimmt. Der Zuschauer weiß mehr als die Figuren, die sich ihrerseits auszeichnen durch unterschiedliche Informiertheit. Dieses Wissensgefälle zwischen den Geschwistern treibt die Handlung an; wobei die beiden „Vertrauten“ der Schwestern, Torsten und Lissai, die Erbschaftssache mit mehr Biss anzugehen scheinen. Gesellschaftliche Diskurse um Gender-, Rassismus- und pc-Fragen werden mit traditionellem Denken konfrontiert, im Dialog auch schon mal bissig, im gelebten Alltag der Charaktere dann allerdings doch eher bürgerlich tolerant. Was haben die Geschwister auch schon viel zu verlieren? mag man sich als Zuschauer denken. Aber ganz so auf Rosen gebettet ist dieses typische Trio der Erbengeneration dann doch nicht. Denn ähnlich wie die Eltern haben sie Ideale, und seine Ideale leben kostet bekanntlich.

Eine ätzende, schwarzhumorige, ja böse Erbschaftskomödie darf der Zuschauer von diesem Mittwochs-Fernsehfilm im Ersten – bei diesem Personal – also nicht erwarten. Regisseur Holger Haase („Ella Schön“ / „Freundschaft auf den zweiten Blick“) hat aus den Verhandlungsrunden einen kurzweiligen filmischen Reigen gemacht, der angenehm leicht und locker, amüsant und sommerlich seinen letztlich menschenfreundlichen Gang nimmt. Der Zuschauer weiß mehr als die Figuren, die sich ihrerseits auszeichnen durch unterschiedliche Informiertheit. Dieses Wissensgefälle zwischen den Geschwistern treibt die Handlung an; wobei die beiden „Vertrauten“ der Schwestern, Torsten und Lissai, die Erbschaftssache mit mehr Biss anzugehen scheinen. Gesellschaftliche Diskurse um Gender-, Rassismus- und pc-Fragen werden mit traditionellem Denken konfrontiert, im Dialog auch schon mal bissig, im gelebten Alltag der Charaktere dann allerdings doch eher bürgerlich tolerant. Was haben die Geschwister auch schon viel zu verlieren? mag man sich als Zuschauer denken. Aber ganz so auf Rosen gebettet ist dieses typische Trio der Erbengeneration dann doch nicht. Denn ähnlich wie die Eltern haben sie Ideale, und seine Ideale leben kostet bekanntlich.

FamilienerbeFoto: SWR / Patrick Pfeiffer
Die Eltern waren Verhaltensforscher, allerdings mehr an Affen als an Menschen interessiert. Psychologisch geschult hätten sie über die eigene Familie wohl auch die eine oder andere Studie verfassen können. Ulrike C. Tscharre und Lucas Prisor.
Auffälligkeiten gibt es aber nicht nur in der Familie (zum Beispiel Marens Allergien)

Die Besetzung ist vorzüglich. Ulrike C. Tscharre lusttvoll schwäbelnd, Torben Liebrecht als Bodensee-Kapitän mit Kolonialherren-Attitüde, Christina Hecke als coole, androgyne Antwort auf ihre Jugendzeit als Zopfträgerin „Leonie“, Ivy Quainoo als die nicht ohne Grund Gewiefteste und Pragmatischste, die schon mal einen Ausflug „ans andere Ufer“ wagt, und Lucas Prisor als der nicht mehr ganz so junge Mann, der immer noch auf der Suche ist. Das inhomogene Spiel des Ensembles mag anfangs etwas irritieren, doch bald erkennt man, dass es den jeweiligen, sehr unterschiedlichen Charakteren entspricht. Da ist auf der einen Seite die von Tscharre verkörperte, liebenswert karikierte Hausfrau, eine Komödienfigur. Und auf der Gegenseite die von Hecke alltagnah und im realistischen Sprachduktus gespielte Wissenschaftlerin, eine Dramafigur; sie, die aus den Konventionen ausbricht, geht letztlich als die „Normalste“, die Klarsichtigste durch (oder sind das nur die Projektionen des Kritikers?). Aber auch das gehört zur Entspanntheit dieser Familien-Komödie: Man wird nicht gezwungen, Partei zu ergreifen. Irgendwie vertraut man diesen sechs Figuren, dass sie den Streit ums Familienerbe am Ende schon hinkriegen werden. Anders als viele der anderen (der Erben-Generation). Und so kann der Zuschauer neunzig Minuten entspannt schmunzeln.

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Fernsehfilm

SWR

Mit Ulrike C. Tscharre, Torben Liebrecht, Christina Hecke, Ivy Quainoo, Lucas Prisor, Anne-Marie Lux, Sabine von Maydell, Walter Kreye, Florian Kleine

Kamera: Friederike Heß

Szenenbild: Julian Augustin

Kostüm: Brigitte Nierhaus

Schnitt: Torsten Lenz

Musik: Franziska May

Soundtrack: Francoise Hardy („le temps de l’amour“), Toto („Africa“), Michael Sembello („Maniac“)

Redaktion: Monika Denisch, Martin Hattendorf

Produktionsfirma: Zeitsprung Pictures

Produktion: Michael Souvignier, Till Derenbach, Katrin Kuhn

Drehbuch: Simone Kollmorgen

Regie: Holger Haase

Quote: 3,12 Mio. Zuschauer (11% MA)

EA: 06.04.2022 20:15 Uhr | ARD

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