Viel miteinander geredet wurde bei den Wöhlers bisher nicht. Das hat Tradition – genauso wie deren sich seit 218 Jahren im Familienbesitz befindliche Metzgerei. Die Sache mit der Sprachlosigkeit soll sich jetzt ändern. Großvater Helmut (Michael Gwisdek) hat zum Familientreffen auf seinen Altersruhesitz Mallorca eingeladen. Sein verwitweter Sohn Klaus (Harald Krassnitzer) hofft, dass sein gesundheitlich angeschlagener Vater mit ihm und seiner Tochter Stefanie (Jennifer Ulrich) über Testamentsangelegenheiten sprechen möchte; das würde gut zu dem Thema passen, das er endlich mit dem Alten bereden muss: Er will die Metzgerei, die sich längst nicht mehr rechnet, verkaufen und dafür den Wöhlerschen Gasthof, den hauptsächlich Stefanie managt, ausbauen. Doch es kommt wieder einmal alles ganz anders. Aus dem Bergwandern wird ein mehrtägiger Gewaltmarsch, bei dem der Senior das Sagen hat: Er allein bestimmt, wann über welches Thema gesprochen wird. Und von wegen Testament! Helmut will nicht „mit warmer Hand“ geben, sondern vielmehr eine Hypothek auf den Wöhlerhof aufnehmen. Als auch noch der verlorene Sohn Mark (Timo Mewes) auftaucht, den der Großvater zwecks Familienzusammenführung eingeladen hat, ist Klaus völlig bedient. Er kann seinem Sohn nicht verzeihen, dass er nicht zur Beerdigung seiner eigenen Mutter gekommen ist. Stefanie will eigentlich auch schon seit längerem etwas loswerden; das aber gelingt ihr erst, als alle anderen ihre „Überraschungen“ zum Besten gegeben haben. In einer idyllisch gelegenen Finca kommt es zu einer weinseligen Aussprache ohne Lösung. Gibt es die vielleicht am nächsten Tag auf den letzten 800 Metern bis zum Gipfel?
„Familie Wöhler auf Mallorca“ ist eine Komödie, die sich auf den zweiten Blick auch als Tragikomödie lesen lässt. Da ist ein 82jähriger Mann von altem Schrot und Korn, ein Patriarch der rabiaten Sorte. Da sind ein Sohn, der sich noch mit 60 nicht von seinem Vater emanzipiert hat, eine junge Frau, die immer für ihren Vater da ist, als Tochter, als Ehefrau-Ersatz, als Mutter, und schließlich der Sohn des Sohns, der sich ausklinkt aus der Familie, der offenbar nichts taugt, das schwarze Schaf. So amüsant dieser ARD-Freitagsfilm auch ist – die Konflikte lassen sich durchaus ernst nehmen, es sind keine zwischenmenschlichen Bagatellen, thematisiert wird vielmehr die „Traditionsgeschichte“ einer Familie jenseits der erfolgreichen 218-jährigen Firmengeschichte: Es geht um den Erwartungsdruck, den die jeweils ältere Generation auf die nächstjüngere ausübt. Im Zentrum dieses Spannungsfelds steht der Mann, der in Richtung Rente denken müsste, aber bei dem stattdessen immer noch alle Gedanken um den Vater kreisen. Um das eigene Selbstbild grade zu rücken, sucht er ständig bei seiner Tochter, die er in die Rolle seiner Verbündeten drängt, nach Bestätigung („der will mich sicher nur wieder quälen“). Bei seinem Sohn indes geriet er mit seiner Larmoyanz schon früh an den Falschen. Der hat sich vom Elternhaus abgenabelt, weil er den Druck zu spüren bekam, den sein Vater an ihn weitergegeben hat. Viel gelernt hat Klaus Wöhler also nicht aus seiner verkorksten Beziehung zum Vater. Und damit er nicht lange darüber nachdenken muss, was dabei sein Fehler war, übernimmt er die Fehler seines Vaters – und wünscht sich einen „besseren“ Sohn… Das hier Beschriebene ist der psychologische Unterboden der Geschichte, der spürbar ist, der gelegentlich in Gesprächen zum Vorschein kommt, den aber erfreulicherweise die Figuren nie selbst an die Oberfläche der Handlung heben.
Diese Familie ist immer für eine Überraschung gut. Weil das so ist und weil es dem Autoren-Duo Jan Hinter und Stefan Cantz, den Miterfindern vom „Tatort“ Münster, so vorzüglich gelingt, diese Überraschungen über die 90 Minuten dramaturgisch klug zu verteilen, besitzt „Familie Wöhler auf Mallorca“ nicht nur den zu erwartenden hohen Spaßfaktor, sondern auch eine innere „Spannung“, die bei Läuterungsdramödien dieser Art eher die Ausnahme ist. Der einen Hiobsbotschaft folgt die nächste. Zu Beginn ist der Zuschauer rasch im Bilde, weiß mehr als die drei „Parteien“ – und doch wird nie zu viel verraten, sondern es wird gewartet, bis es einen günstigen Moment in der Geschichte gibt, an dem sich eine Information wirkungsvoller vertiefen lässt. Diese Dramaturgie ist nicht nur effektiv, sie wirkt auch narrativ stimmig, weil sie der Mentalität der Wöhlers entspricht: anstatt den Mund aufzumachen und zu diskutieren, zögert man stets die Konfliktsituation heraus und stellt die anderen Familienmitglieder irgendwann lieber vor vollendete Tatsachen. Nur dem Jüngsten gelingt es, aus der vorgelebten Rolle zu fallen, aber er denkt weiter und ist nach Mallorca gekommen, weil er weiß, dass er sich auf Dauer nicht von dieser Familie völlig frei machen kann.
Von den Autoren optimal ausgewählt – sowohl von der Logik des Erzählten als auch dramaturgisch – sind auch die Zeitpunkte, an denen es zu Aussprachen kommt. Und so läuft dieses Komödien-Maschinchen mit Problembeigabe wunderbar rund. Wie bei den zunehmend beliebten Pilger-Dramödien ist auch hier der Weg das Ziel. Beim Stolpern durchs Gebirge unter südlicher Sonne geht so langsam dem einen oder anderen ein Licht auf. Forciert wird der heilsame Effekt durch die wechselnden Figurenkonstellationen. Erst wäscht der Großvater dem Sohn den Kopf, danach heult dieser sich bei der Tochter aus. Vater Klaus und sein Sohn Mark sprechen hingegen lange Zeit kein einziges Wort miteinander. Am Ende dann kommen beide in eine Situation, aus der sie nicht flüchten können: ein stark emotionaler (und doch leise gespielter) Moment, auch, weil sich Hinter und Cantz noch ein paar hübsche Ideen für die Bio des verlorenen Sohns ausgedacht haben. Apropos Bio: Dass der Großvater noch heute stolz erzählt, wie er nach dem Schlachten das Blut der Schweine von Hand gerührt habe, und dass sein Enkel wegen des Fleischfetischismus der Familie zum „Körnerfresser“ geworden ist, erfährt auf der Zielgeraden auch noch eine originelle (tierliebe) Wendung.
Passend zur vielschichtigen Narration unterscheidet sich auch die Inszenierung von den Bildern handelsüblicher Schönwetterformate. Nur selten entfaltet die traumhafte Landschaft einen eskapistischen Touch. Ob Berg, ob Tal, ob Sonne, ob Nebel – der Schauplatz Mallorca bleibt ganz in der Geschichte verhaftet. Und so wird gegen Ende auf dem Gipfel nicht das Panorama gefeiert, sondern erfährt Großvaters Plan eine pointierte Fußnote. Regisseur David Gruschka (37, „Wir sind die Rosinskis“), der zunächst als Cutter gearbeitet hat, ist – soweit es das erzählte Sujet zulässt – deutlich um eine abwechslungsreiche Bildsprache bemüht. Das Tempo ist zügig, die Bildausschnitte entsprechen einer modernen Ästhetik und suchen in der flotten Montage nach reizvollen Kontrasten. So geben die ersten sieben Einstellungen des Films einen optisch attraktiven Eindruck von dem Mallorca jenseits des Ballermanns, um das es in dieser Degeto-Produktion gehen wird. Nach 45 Sekunden springt die Kamera zu den beiden Charakteren, die im Auto durch die zunehmend bergige Landschaft fahren. Es folgen zehn Einstellungen von insgesamt einer ähnlichen Länge: Vater und Tochter, im Gegensatz zu den eher totalen Bildern zuvor, ganz nah, dazu ein Dialogwechsel der knappen, klaren Worte („Was kann schon sein, wenn man was am Herzen hat“). In diesen eineinhalb Minuten plätschert nichts „Herzkino“-mäßig dahin, und gleich anschließend wird ebenso elegant wie effektiv der Großvater und ein Teilgrund für die Mallorca-Einladung in Bild und Ton gerückt.
Buch und Regie bilden also eine kongeniale Einheit, die Erzählökonomie ist 90 Minuten lang oberstes Gebot. Und die Schauspieler sind einfach perfekt in ihren Rollen: Das Original Michael Gwisdek (77) zeigt in seinem Rollenfach des „komischen Alten“ keinerlei Ermüdungserscheinungen, was sich auf die Stimmung beim Zuschauen überträgt. Harald Krassnitzer ist immer am besten, wenn sich seine Figuren (wie so häufig der angefressene Moritz Eisner im „Tatort“) schlecht behandelt fühlen, wenn sie an sich und der Welt leiden, wenn sie den Jammerlappen raushängen lassen. Auch Tino Mewes („Nichts für Feiglinge“) macht sich gut als Familienflüchtling, und Jennifer Ulrich („Hangover in High Heels“) ist immer eine sichere Wahl. Und so ist „Familie Wöhler auf Mallorca“ das Unterhaltungsfilm-Highlight im Februar. Eine Familienkomödie, die es ernst meint. (Text-Stand: 25.1.2018)