„Es geht los!“ Die SMS verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Viola (Amelie Kiefer) hat heftige Wehen, Faraz (Reza Brojerdi) steht ihr liebevoll bei und überall nur überglückliche Gesichter. Die Schwiegereltern platzen vor Stolz. Doch dann gibt es die ersten Misstöne und Irritationen. Anoushe (Sima Seyed) und Masud Manipur (Ramin Yazdani) träumen – nachdem schon ihr Namenswunsch Masud ausgeschlagen wurde – von einer „wundervollen“ iranischen Beschneidungszeremonie. Beatrice (Victoria Trauttmansdorff) und Holger Helmrich (Domi-nic Raacke) dagegen sind der Meinung, der kleine Linus müsse unbedingt getauft werden. „Du willst doch auch Gottes Segen für dein Kind?“, setzt die Mutter Viola unter Druck. Die frischgebackenen Eltern, ein junges, unverheiratetes Paar, das ohne Kirche ihr Leben lebt und sich über Fragen von Tradition und Religion bisher keine Gedanken gemacht hat, gerät in ein handfestes Culture-Clash-Dilemma. Beide müssen ihre Liebe und die eigenen Wertvorstellungen neu überdenken. Zwischen den verbohrten Manipurs, obwohl bestens assimiliert, und den materialistischen Helmrichs, die ihre katholische Familientradition wiederentdecken, scheint jedenfalls erst mal kein Kompromiss möglich zu sein. Zwar gibt es eine doppelte Staatsbürgerschaft, eine doppelte Religionszugehörigkeit gibt es jedoch nicht.
Schon der Abriss der Geschichte, die „Familie ist ein Fest – Taufalarm“ erzählt, macht deutlich, dass der Film keine ARD-Freitagsproduktion nach Dramödien-Schema F ist. Die Komödie von Sebastian Hilger („Familie ist kein Wunschkonzert“) nach dem lebensklugen Drehbuch von Julie Fellmann („Mordsfreunde“) und Stefani Straka („Flaschenpost an meinen Mann“) geht tiefer als viele vergleichbare Multikulti-Fernsehfilme. Denn es werden hier von den Großeltern nicht nur religiös-kulturelle Ansprüche an das bald gar nicht mehr so glückliche Paar gestellt, sondern es geraten auch die familiären Machtverhältnisse und die eingeschliffene Familienkommunikation in den Blick. Das verhindert die üblichen Culture-Clash-Klischees. So ist der deutsche Großvater eben nur nach außen verständnisvoll und großzügig, in Wahrheit ist er ein cleverer Manipulator, der als erfolgreicher Architekt nicht nur seine Töchter an der kurzen Leine hält. Violas ältere Schwester Friederike (Isabel Thierauch) und mehr noch ihr Ehemann Max (Denis Schmidt) können ein trauriges Lied davon singen. Bei der iranischen Familie, die vor vierzig Jahren gegen den Willen von Masuds Vater ihre Zukunft in Deutschland fand, ist es eher irrationale Nostalgie, die plötzlich wieder die alten Traditionen wachruft. Ihr Sohn Faraz, großzügig und ohne kulturelle Scheuklappen, macht seinen Eltern gegenüber früh deutlich, was er für Linus und vor allem für seine Viola möchte. Der Religionsstreit, so sehr er auch die Handlung bestimmt, ist also im Falle der Helmrichs, nur Symptom für einen unausgesprochenen latenten Eltern-Kind-Konflikt.
„Alle guten Eltern möchten ihre Kinder beschützen, ein wesentliches Schutzinstrument ist dabei die Kontrolle. Ich denke, jeder versucht hier, seine Kultur als Mittel zum Zweck für den größeren Gesamteinfluss einzusetzen.“ (Reza Brojerdi)
„Die beiden sind relativ flexibel und gleichzeitig sehr wohlwollende, harmoniebedürftige Wesen, die selber noch keine konkreten Antworten auf die Frage nach der Religionszugehörigkeit ihres Sohnes haben. Das macht sie zu idealen Spielbällen im Interessenskonflikt ihrer Eltern.“ (Amelie Kiefer)
Traditionen sind wichtig, weil sie eine Art von Identität schaffen und eine gewisse Sicherheit vermitteln, aber wo fängt das Engstirnige an? Darum geht es ja in dieser Geschichte.“ (Victoria Trauttmansdorff)
„Die Geschichte zeigt die Konfrontation zweier Generationen mit dem Ziel, der jungen Generation ihren Stempel aufzudrücken und sich Anerkennung bei Verwandten, Freunden und in der eigenen Gemeinschaft zu sichern.“ (Sima Seyed)
Es geht gut los. Die Exposition ist furios. In nur wenigen Minuten sind alle Figuren nicht nur eingeführt, sondern auch charakterisiert: Beruf, Wesen, Mentalität. Da stimmt jeder Blick, jede Geste, die Worte sind wohl gesetzt, stecken voller Konnotationen (Holger: „Mein erster Enkelsohn“; Beatrice: „Der sieht so aus wie du als Baby, Viola“), und Kamera und Schnitt machen die ersten drei Filmminuten, in denen alles temporeich, aber harmonisch im Fluss ist, zu einem wahrhaft sinnhaft-sinnlichen Fest, was die Geburt eines Babys ja auch ist. Mag die nicht weiter thematisierte Hausgeburt produktions- und Corona-technische Gründe gehabt haben, auch dramaturgisch macht sich die Konzentration auf wenige Figuren und das Zuhause bezahlt. Es folgen die ersten Unstimmigkeiten. Streitpunkt 1: der Name. Linus oder Masud? „Hauptsache, Ihr werdet Euch bis zur Taufe einig“, witzelt Violas Vater. Da kommt der von der Geburt sichtlich überforderte Faraz aus dem hysterischen Lachen und Grinsen gar nicht mehr raus: „nur, dass es gar keine Taufe geben wird“. Das ist der zweite Streitpunkt. Und plötzlich flattern den Helmrichs die Gesichtsmuskeln. Papa Masud weiß dagegen, wie er aus „Lunis“, wie er und seine Frau ihren Enkel nennen, einen muslimischen Stammhalter macht: das islamische Glaubensbekenntnis „Es gibt kein Gott außer Allah“ ins Ohr gesprochen – und schon ist der kleine Helmrich ein echter Moslem. Bleibt die Diagnose der Vorhautverengung, die leicht mit einem kleinen Schnitt behoben werden könne. Auf diesen Vorschlag hin weist Faraz seinem Vater die Tür. Nach der deutsch-iranischen Familienzusammenführung, an die alle mit den besten Vorsätzen herangehen und die dennoch mit einem Eklat endet, ist es Viola, die ihre Eltern hinauskomplimentiert. Dann ist erst mal Ruhe – vor dem letzten Sturm.
Zum Anlass der Ausstrahlung ihres Films „Familie ist ein Fest – Taufalarm“ (ARD, 5. November, 20:15 Uhr) haben die Autorinnen Stefani Straka, Julie Fellmann und der Regisseur Sebastian Hilger eine Podcastfolge aufgezeichnet. 90 Minuten lang diskutieren die drei offen über den Film und versuchen, die andere Seite besser zu verstehen. Es geht um Visionen, Enttäuschungen, Überraschungen und ganz generell um den immer wieder magischen Vorgang, wenn aus einem Drehbuch am Ende ein Film wird. Es geht um das Loslassen einer Idee, Vertrauen und das, woran es oftmals auch scheitert. ZUR PODCAST-FOLGE (ab 5. November 16.30 Uhr)
Ist „Taufalarm“ eine Stunde lang vornehmlich absurd komisch, gibt es im Schlussdrittel nur noch wenig zum Schmunzeln. Da bekommt die Komödie gelegentlich tragische Züge. Erfreulicherweise sind es nicht die Muster des Genres, sondern alltagsnahe und tiefe, emotionale Ereignisse, die als retardierende und schließlich erlösende Momente gegen Ende die Geschichte bestimmen: der Tod des Großvaters von Faraz, dessen erste Reise in das Land seiner Väter, die Herzlichkeit seiner Großmutter, die „Großzügigkeit“ der Helmrichs, die sich ihren Einfluss auf das Leben der Tochter erkaufen wollen, Violas Inkonsequenz und bequeme Blindheit den Wohltaten ihrer Eltern gegenüber oder die tatsächliche Vorhautverengung von Linus. Zunächst führen diese Ereignisse eher zur Eskalation der Konflikte und sie tragen zur Beziehungskrise der jungen Eltern bei. Aber es gibt eben auch noch die Vernunft, den Willen zur Einsicht, und natürlich ist da noch die Liebe zwischen dem Paar. Die große Verbundenheit von Viola und Faraz hält denn auch noch eine anrührende Überraschung parat. Um die Dinge des Lebens zu kitten, kommt dieser vorbildliche Unterhaltungsfilm jedoch ganz ohne falschen Schmus aus. Da Kitt bröseln kann, wird der Titel „Familie ist ein Fest“ mit dem Untertitel „Taufalarm“ zu einem Versprechen auf mehr, eine Reihe möglicherweise. Solange eine Fortsetzung neue Facetten im Alltag der deutsch-iranischen Klein- bzw. Großfamilie findet und nicht das Gleiche noch einmal erzählt, dürfen sich die Zuschauer drauf freuen.