Das „Nestmodell“ von Fabian (Moritz Treuenfels) und Paula (Bettina Burchard) ist in Gefahr. Das noch verheiratete Ex-Paar lebt gemeinsam mit seinen beiden Kindern (Aurelia Ott, Marian Dilger) und den beiden nicht miteinander verbandelten Leihgroßeltern Moni (Ramona Kunze-Libnow) und Ibrahim (Vedat Erincin) in einer geschmackvoll restaurierten, alten Mühle vor den Toren von Leipzig. Damit die Trennung die Kids nicht belastet, wechseln sich die Eltern im Wochenrhythmus als Erziehende ab, wobei der, der nicht Familienwoche hat, in dieser Zeit in der ausgebauten Scheune wohnt. Zu dieser Regelung gehört auch: „keine neuen Partner im Familienhaus“. Das würde Paula jetzt gern nicht mehr so eng sehen, da ihre einjährige Beziehung zu Alexej (Tobias van Dieken) immer enger wird und sich auch die Kinder mit ihm gut verstehen. Fabian sieht das anders, ist allerdings bald selbst wieder an der Sexfront aktiv. Da ist zum Beispiel Nora (Antonia Bill), eine alte Studienbekanntschaft, in die er mal verliebt war. Ja, sogar auf eine „Sex-ohne-Bindung“-Erfahrung mit seiner Joggingfreundin Minou (Nagmeh Alaei) lässt sich der in Beziehungsdingen eher konservative Psychotherapeut ein. Dafür kriselt es zwischendurch bei Paula und Alexej immer mal wieder. Sie kann verstehen, dass er gern mehr zu ihrer Familie dazugehören würde, sein Kinderwunsch stellt allerdings eine Belastung für sie dar.
Der zweite Doppelpack der ZDF-„Herzkino“-Reihe „Familie Anders“ macht sogar noch ein Bisschen mehr Spaß als der erste. Das liegt vor allem an der Hauptfigur. Eifersucht, ständige Vorbehalte und andere Kopfgeburten sind weniger sexy als die lustvollen kleinen Ausflüge ins Reich der Sinne. „Sex ohne Gefühle war heute besser als gedacht, vielleicht sind wir Therapeuten zu dogmatisch“, meldet sich Fabians Gewissen, doch der Kopf ist schon wieder weiter: „Aber wenn die Gefühle doch noch kommen.“ Eine Antwort darauf gibt es erst in der zweiten neuen Episode „Mann Nummer 1“. Im ersten 90-Minüter, „Die rosarote Brille“, trifft ihn die Begegnung mit seiner alten Bekannten wie ein Schlag: Leidenschaft, Verliebtheit, Glücksmomente – der Bedenkenträger intellektueller Schule ist nicht mehr wiederzuerkennen. Dass dies kein gesundes Fundament für eine neue Liebe in den Mittdreißigern ist, dürfte die reifere ZDF-Zielgruppe schneller erkennen als der Held selbst (deshalb kann es hier verraten werden), der im Schlussdrittel sinniert: „Wir machen uns Illusionen, weil wir Angst vor der Wahrheit haben, oder schüren Hoffnung, dass unsere Ängste unbegründet sind.“ Solche Ratgebersätze, die Kritiker gern mit „Küchenpsychologie“ abtun, sind in „Familie Anders“ mehr als das. Narzissmus, Idealisierung einer Person oder Freundschaft Plus – das, was sich die Autorinnen Stephanie Dörner und Marita Nienstedt dazu ausgedacht haben, hat – gemessen am Unterhaltungsfilmgenre und anderen Lebenshilfe-Movies – Hand und Fuß.
Das Bespiegeln von A- und B-Plot, das hierzulande häufig etwas Zwanghaftes besitzt, wirkt in „Familie Anders“ nicht stereotyp, da die Handlung von der Hauptfigur mindestens so sehr wie vom Plot bestimmt wird. Durch seine Tätigkeit als Psychotherapeut, seine beiden aktuellen Fälle, therapiert sich Fabian ein Stück weit selbst. Er nutzt seine beruflichen Erkenntnisse auch für sein privates Wohlbefinden. Damit wird in den beiden neuen Episoden das kleinbürgerliche Klischee vom Psychologen, der anderen Ratschläge gibt, aber mit seinen eigenen Problemen nicht klarkommt, weniger bedient als noch in den beiden Auftaktfilmen im letzten Jahr. Und die Eheberatungsszenen selbst überzeugen nicht nur im populären „Herzkino“-Rahmen. Vor allem sind es die Methoden, die mit Körperübungen über das bloße Gespräch hinausgehen und so auch Abwechslung in die gut dosierten, mit dem Alltag des festen Ensembles filmisch clever verschnittenen Therapiesituationen bringt.
Wieder verkörpern Schauspieler-Paare die Rollen der bei Fabian Anders Hilfesuchenden. Den prominenten Auftakt machen Harald Krassnitzer und Ann-Kathrin Kramer. Ihr Ehepaar Herzog hat eine ganze Reihe Baustellen seelischer und kommunikativer Art: Er, ein erfolgreicher Macher, seit Kurzem im Ruhestand, sie, eine Frau mit einem geringen Selbstwertgefühl. Die neue Situation, aber auch das Alter macht beiden zu schaffen. Mit jedem Gespräch kommt eine weitere Facette der Beziehungskrise ins Spiel. Wie in einer realen Psychotherapie gibt es keine einfachen Lösungen, erst recht keinen Schuldigen. Im zweiten Fall, ein echter Notfall, für den der Psychotherapeut sogar am Wochenende seine Praxis öffnet, geht es um das Thema, der ewige Mann Nummer 1, der den zweiten Mann zum „Ersatzmann“ oder „Trostpflaster“ degradiert. Beim Ehepaar Koch, das sich noch immer zu lieben scheint, kann der Mann (Felix Hellmann) seit einiger Zeit seiner Frau (Natalie Spinell) nichts mehr recht machen. Sein „Ich kann überhaupt nicht mehr lachen“ quittiert sie mit einem Tobsuchtsanfall. Dass hier eine frühere, schmerzvolle Erfahrung getriggert wird durch ein aktuelles Stellvertreter-Erlebnis, gehört zum psychologischen Allgemeinwissen. Es dem wohl eher Seelenkunde-fernen ZDF-Publikum am Sonntagabend so sympathisch und unterhaltsam näherzubringen, ist jedoch nicht verkehrt.
Durch den größeren zeitlichen Abstand zur Trennung, durch das langsam nachlassende Gefühl der Eifersucht und die sexuell-amouröse Entwicklung der männlichen Hauptfigur, durch die auch Moritz Treuenfels gewinnt, sind die 2024er Episoden noch eine Spur leichter: zwei Wohlfühlfilme mit (psychologischen) Benefits. Trotz gelegentlich ernster Miene bringt Bettina Burchard nach wie vor eine sympathische Frische in die Reihe. Auch Ramona Kunze-Liebnow als ziemlich gewitzte Leih-Oma und Vedat Erincin als verschmitzter Leih-Opa, stets einen guten Rat parat, gehören längst auch für den Zuschauer zur Familie, zwei Großeltern, von denen viele Eltern mit Kind nur träumen können. Ein Traum sind auch Wetter und Natur. Dass das Szenenbild und die Kamera aus diesem telegenen Landlust-Idyll einen Sehnsuchtsort machen, der fast zu schön ist um wahr zu sein, daran kann man sich gewöhnen. 2023 war eben auch ein schöner Sommer (oder würde da lichttechnisch getrickst?). Diese vorfilmische Realität spielt bei „Familie Anders“ eben auch sympathisch mit, und all‘ das, was viele Zuschauer aus dem eigenen Alltag kennen. Dazu passt auch der finale Satz: „Mal wieder so ein Tag, der am Abend ganz woanders ist, als man am Morgen erwartet hatte.“