Schon die ersten Bilder machen die Fallhöhe klar. Die alternde Beauty-Ratgeberin Stella lebt in einem geleckten Palast aus Marmor, Gold und den ausgestellten Insignien ihrer Popularität. Assistentin Adina (Lisa Jopt) und Köchin Helene (Johanna Bittenbinder) stehen bei Fuß, Fahrer und Friseur erscheinen auf Zuruf. Ach ja, eine Familie gibt es auch. Aber Jubilarin Stella hat selbst an ihrem Geburtstag wenig Zeit für die Bagage. Ihr fällt nicht mal auf, dass Ehemann Gregor (Thomas Limpinsel) den „Palast der Bienenkönigin“ mit gepackten Koffern verlässt. Wie tief wird diese Frau also fallen? Während im Kopf des Zuschauers schon die schäbige Zwei-Zimmer-Wohnung einer Freundin (die es nicht gibt) Gestalt annimmt, dreht sich „Faltenfrei“ zum ersten Mal in eine andere Richtung. Während Stella das Haus verlässt, um beim Imagefilm eines befreundeten Schönheitschirurgen (Manuel Rubey) mit im Bild zu sein, durchbrechen kurze Film-Splits den Erzählfluss. Nach Assistentin Adina sprechen Stellas Töchter direkt in die Kamera. Die ältere (Henriette Richter-Röhl) folgt artig den Lebenslügen ihrer „herzensguten“ Mutter, die jüngere (Olga von Luckwald) erinnert sich an trügerische Momente der Hoffnung. In einem späteren Einschub wird sie ihre Mutter seelenlos nennen. Mit diesen und weiteren eingestreuten „Kommentaren“, unter denen die der Enkelin besonders ehrlich und amüsant ausfallen, etabliert „Faltenfrei“ eine zweite Erzählebene. Die Einschübe lassen den Zuschauer innehalten, stören aber nie den Erzählfluss.
Dreh Nummer zwei folgt schon bald. Stella hat den Abschiedsbrief ihres Mannes gelesen und spürt den Gegenwind ehemaliger Geschäftspartner. Im Pool vorm Haus schwimmt Herbstlaub, sogar geweint hat sie. Nutzt alles nichts, auch Stella muss dem Alter trotzen und sich das Gesicht richten lassen. Um die Strauchelnde endgültig zu Fall (und zur Besinnung) zu bringen, erlaubt sich „Faltenfrei“ jetzt viel Fantasie. Nach einem Sturz auf den Kopf und einem vom Klinikbett hört Stella plötzlich Stimmen. Genauer: Sie hört, was die Menschen um sie herum denken. Das ist nicht wie in „Der Himmel über Berlin“, eher ist es ein Alptraum, der Stella die Wahrheit über sich und ihren sinkenden Stern vor Augen führt.
Foto: BR, ORF / Bavaria Fiction
Der dramaturgische Trick verkürzt den Weg zur Erkenntnis enorm, könnte das Schiff aber auch in seichten Gewässern stranden lassen. Tut es nicht. Regisseur Dirk Kummer verwebt tragikomische Momente und fantastische Posse mit spielerischer Leichtigkeit. Nach der abgebrochenen Schönheitsoperation fällt Stella endgültig aus ihrer Welt. Durch eine Bandage im Gesicht entstellt, wandelt sie wie ein weiblicher Cyrano de Bergerac durch das künstliche Licht der Klinikflure, wagt sich nur geschickt verpackt nach draußen, wundert sich darüber, dass sie ausgerechnet die Gedanken ihrer Töchter nicht hören kann und findet in Ärztin Betty (Sibylle Canonica) eine echte Freundin. In Bettys Wohnung wartet die Welt der warmen Farben, der quietschenden Türen und knarzenden Dielen. Endlich.
Regisseur Kummer, der mit dem Grimme-Preis-prämierten Spielfilm „Zuckersand“ (2017) und der Comedy-Serie „Warten auf‘n Bus“ (2020) seine Erzählkunst jenseits von Stereotypen bewies, erlaubt sich auch in „Faltenfrei“ und im festgetretenen Genre der TV-Komödie manche Freiheit. Die Geschichte seiner (Anti-)Heldin wird nicht auserzählt oder gänzlich aufgelöst. Ein Zusammenschnitt stummer Szenen sät am Ende Zuversicht und überlässt dem Zuschauer den Rest. Auch, dass Autor Uli Brée („Vorstadtweiber“ / „Für dich dreh ich die Welt zurück“) und Hauptdarstellerin Adele Neuhauser als eingespieltes Team hinter und vor der Kamera agieren, kam der Komödie sicher zugute. Brée entwarf die „Tatort“-Kommissarin Bibi Fellner und schrieb bislang sieben Folgen des erfolgreichen Wiener Ermittler-Gespanns Krassnitzer/Neuhauser. Neben diesem Pfund, der Idee der eingeschobenen Solo-Stücke, die den Nebenfiguren Kontur verleihen, und dem fantastischen Moment wird „Faltenfrei“ durch Licht & Farbgebung zum visuellen Vergnügen. Selten war eine Geburtstagstafel so bunt, strahlten Klinikflure so schön künstlich pastellfarben, setzten Lippenstiftfarben so markante Linien wie hier. Allein das nächtliche Bad von Stella und Betty – die eine in knallblau, die andere in strahlendem Gelb – wirken wie eine optische Frischzellenkur. Kamera (Mathias Neumann schwelgte auch beim Dreiteiler „Honigfrauen“ in Sommerfrische und Unterwasseraufnahmen), Farbe und Licht (Michael Rossi Röska) entwerfen ein Bilderbad, das nicht nur schön anzusehen ist. In Stellas Marmorpalast wie im gläsernen Wintergarten ihrer Tochter Fiona wirken die Arrangements manchmal wie Karikaturen auf die trügerisch perfekten Familienbilder, die konventionelle TV-Vorabendserien am Band produzieren.
In den Palästen und Wintergärten sitzen die Frauen, draußen vor den bodentiefen Fenstern verzweifeln die Männer. Dass „Faltenfrei“ diesen Kampf nicht ausficht, sondern nur andeutet, ist verzeihlich. Auch die Auseinandersetzung zwischen der braven und der aufmüpfigen Tochter bleibt außen vor. Fiona und Johanna stehen stellvertretend für Frauenbilder und für Figuren, die sich jenseits der eigentlichen Filmerzählung wandeln können, weil ihre Mutter sich verändert hat. Zu dem wenigen, was sich in „Faltenfrei“ noch hätte ändern lassen, gehört die Komödienfans wohlvertraute Begleitmusik mit flotten Pfiffen, eine akustische Untermalung, die wenig Kontrapunkte setzt, und der Sing-Sang der immergleichen Meise, sobald es in den Garten geht. (Text-Stand: 21.11.2021)