Auf der Suche nach einer neuen Serienfigur ist die ARD im Anwaltsmilieu fündig geworden; das klingt erst mal nicht sonderlich originell. Tatsächlich aber ist der vornamenlose Jurist Falk, von Fritz Karl mit einer sympathischen Mischung aus Ironie, Arroganz und Melancholie verkörpert, ein interessanter Typ. Der alleinstehende Jurist lebt in einem Hotel und ist auch sonst anders als die anderen. Fachlich ist Falk trotz seiner unkonventionellen Methoden brillant, aber im Umgang ausgesprochen schwierig. Das gilt seit „Monk“ und „Dr. House“ zwar auch für diverse andere deutschen Serienhelden, aber Falk zeichnet sich zudem durch einen ausgefallenen Kleidungsstil aus: Socken und Krawatten sind von einer farblichen Vielfalt, die mit der Bezeichnung „bunt“ nur unzureichend beschrieben ist. Weil der Gourmet irgendwann keine Lust mehr auf Mandanten hatte, hat er seinen Job in der angesehenen Düsseldorfer Kanzlei Offergeld gekündigt und ein Feinschmeckerrestaurant mit dem schlichten Namen „Das Lokal“ eröffnet. Das Unternehmen ist allerdings schief gegangen, ein unbekannter Investor hat das Lokal übernommen, und der macht Falk nun ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: Der neue Besitzer ist sein früherer Chef (Peter Prager), der die Kanzlei mittlerweile seiner Tochter Sophie (Mira Bartuschek) übergeben hat. Er bittet Falk, fortan die besonders kniffligen Fälle zu übernehmen; im Gegenzug bekommt er das Lokal zurück.
Einiges schiefgelaufen: Hat die ARD kein Interesse an ernsthafter Kritik?
Die ARD will offenbar keine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrer neuen Hauptabendserie „Falk“. Wie erklärt es sich sonst, dass noch zwei Wochen vor der Ausstrahlung Folge 1+2 als 14minütiger Zusammenschnitt im Presse-Vorführraum präsentiert werden. Dafür gibt es die fünfte(!) Folge komplett zu sehen. Ist da nur bei der Pressearbeit etwas schief gelaufen? Wohl nicht nur. Der Verdacht liegt jedenfalls nahe, dass bei einer Produktion, die zwischen November 2016 und Februar 2017 gedreht wurde und von der fast 14 Monate später noch keine Sendefassung vorliegt, sehr viel mehr schiefgelaufen sein muss. Wie dem auch sei, Gangloff hat nun zumindest doch noch die ersten drei Folgen sehen können. Ich persönlich schreibe nur noch über Serien sofern sie vollständig vorliegen. tit.
Foto: WDR / Kai Schulz
Diese im Verlauf der ersten Folge erzählte Vorgeschichte ist die Basis für die weiteren fünf Episoden, die eine gelungene Kombination aus juristischen Herausforderungen und menschlichem Miteinander darstellen. Insofern entspricht „Falk“ dem Erzählmuster der jüngsten (und gleichfalls dienstags ausgestrahlten) RTL-Serien von „Beck is back“ über „Jenny – echt gerecht“ bis zu „Lifelines“. Eine weitere Parallele ist das Vorzeichen: Weil der Dienstag im „Ersten“ der Zerstreuung dienen soll, ist „Falk“ als „Dramedy“ konzipiert. Dagegen ist auch nichts zu sagen; vorausgesetzt, die Mischung stimmt. Außerdem sind die besten komischen Geschichten erfahrungsgemäß jene, die auch als Drama funktionieren würden. Allerdings ist die Comedy-Ebene vor allem mit Kanzleichefin Sophie verbunden, die in der Verkörperung durch Mira Bartuschek alles andere als ein „Role Model“ für angehende Anwältinnen ist: Die stets etwas ältlich gekleidete und auf Korrektheit bedachte Frau ist beruflich und privat dauernd überfordert und muss zwischendurch mal in eine Papiertüte atmen, um Panik zu vermeiden. Der Entwurf der Figur gehorcht allzu offensichtlich der Maxime „Gegensätze ziehen sich an“, was aber zur Folge hat, dass sich Sophie weder als Frau noch als Kollegin auf Falks Augenhöhe bewegt; erst in der dritten Episode darf sie beweisen, was sie fachlich drauf hat. Anfangs liegt die Vermutung nahe, dass sie und Falk früher ein Paar waren und er womöglich auch der Vater ihrer 18jährigen Tochter Marie (Sinje Irslinger) ist; erst später stellt sich beiläufig heraus, dass Sophie Witwe ist. Aber nicht nur die Rolle, auch die Darstellung ist problematisch, weil Bartuschek selbst dann komisch sein will (oder soll), wenn die Umstände dies gar nicht erfordern. Das wirkt dann prompt kontraproduktiv und nicht lustig, sondern wie schlechtes Schauspiel, erst recht neben einem Mann wie Fritz Karl, der dank seiner Ausstrahlung nicht viel tun muss, um große Wirkung zu erzielen; auch deshalb ist „Falk“ längst nicht so gut wie „Frau Temme sucht das Glück“, der zu Beginn des vorigen Jahres ausgestrahlten besten (leider nicht fortgesetzten) Dramedy-Serie der ARD seit langem.
Ein weiterer Grund sind die in sich abgeschlossenen Geschichten (Buch: Peter Güde, nach einer Idee von Stefan Cantz und Jan Hinter, den Vätern des „Tatort“ aus Münster), die unter anderem daran scheitern, ähnlich originell sein zu wollen wie die Hauptfigur. In der Auftaktfolge werden dem Ministerpräsidenten von NRW Fotos zugespielt, die ihn in Strapsen zeigen. So etwas kann man natürlich erzählen, und es gibt den einen oder anderen Hollywoodfilm, der vergleichbare Stoffe als Thriller verpackt hat. Hier jedoch gibt es viel zu viele Ungereimtheiten, um die Handlung glaubhaft wirken zu lassen. Der Politiker soll die Sachen in einer Boutique für Reizwäsche erstanden und dort auch noch anprobiert haben? Lächerlich. Während dieses Mandat immerhin eine gewisse Fallhöhe mit sich bringt, ist Falks zweite Aufgabe eine Lappalie: Ein Vater (Hans Peter Hallwachs) will erreichen, dass sein 42jähriger Sohn endlich auszieht; Falk versöhnt die beiden mit Fischstäbchen und Pommes frites. Im Zentrum der Folge steht allerdings Sophies Sorge um Marie; Falk soll herausfinden, warum die junge Frau bereit ist, ihrem doppelt so alten Freund ein großzügiges Geldgeschenk ihres Großvaters, immerhin 40.000 Euro, zu überlassen. In Episode drei ist der Mann schon kein Thema mehr. Nun muss Sophie zwischen zwei zerstrittenen Nachbarn vermitteln und Falk zwischen einem verkrachten Ehepaar, wobei sich beide Probleme in Luft auflösen, als die Juristen die wahren Gründe für den jeweiligen Zwist finden. Neben der „Beziehung“ zwischen dem Anwaltsduo (in Folge 4 kommt es zum Kuss) gibt es ein weiteres horizontales Element: eine Verliebtheit zwischen Falk und einer Frau (Marie Lou Sellem), die ihm in seinem Restaurant auffällt. In Folge 2 begegnet sie ihm erneut, in der dritten kommen sie sich näher.
Foto: WDR / Kai Schulz
Soundtrack: Folge 1: Barry White („You’re the First, the Last, My Everything”), Folge 2: Urban Species feat. Imogen Heap („Blanket”), Michael Penn („The Chalk Thing”), Folge 3: Shazza („Falling”), Folge 4: Dusty Springfield („Son of a Preacher Man”, Folge 5: Robin Beck („First Time”)
Dass „Falk“ insgesamt nur bedingt überzeugt, ist neben den Rollenentwürfen gerade in den ersten beiden Episoden auch eine Frage von Besetzung und Schauspielerführung (Regie: Pia Strietmann; ab Folge drei Peter Stauch). Arved Birnbaum zum Beispiel ist als Landesschef völlig unglaubwürdig. Das gilt auch für seinen Fraktionsvorsitzenden, der recht bald als Uhreber des Komplotts durchschaubar ist und schon allein wegen seiner schlaffen Körpersprache als Putschist eine Fehlbesetzung ist. Die Nebendarsteller müssen ohnehin oft viel zu dick auftragen; so bricht zum Beispiel Moritz Führmann als hanswurstiger Kanzleimitarbeiter in völlig übertriebenes Gekreische aus, als er in Falks Büro einen ausgestopften Bären erblickt. Auch die Ausstattung erscheint mitunter etwas aufgesetzt. Neben dem Gemälde einer splitternackten Justitia gibt es auch noch eine Ritterrüstung, in der Falks Assistentin mal völlig unmotiviert durch den Flur stapft. Die Frau mit dem sinnigen Namen Trulla (Alessija Lause) hat den Kram bei einer Haushaltsauflösung erstanden. Im Unterschied zu Falks Kleidungsstil, der den dandyhaften Anwalt als Exzentriker ausweist, hat der Plunder jedoch keinen tieferen Zweck. Das gilt zwar streng genommen auch für Gustav, Falks Schildkröte, die er liebevoll zum Winterschlaf im Kanzleikühlschrank bittet, aber das betagte Tier gehörte einst seinem Vater und ist neben Trulla seine einzige Vertraute. Außerdem steht es für seine fixe Idee: Falks senior ist im gleichen Alter an Alzheimer gestorben, und nun sucht der Sohn regelmäßig eine Ärztin (Sonja Baum) auf, weil er täglich neue Symptome entdeckt. Amüsant sind auch die gelegentlichen Einschübe, wenn Falk in einer Vision vorm eigenen Grab steht und ein ebenfalls von Karl gespielter Priester ihn ermahnt, täglich Sudokus zu lösen, oder wenn sein jugendliches Alter Ego an den knallbunten Socken zu erkennen ist. Weil Karl all’ diese Extravaganzen sehr würdevoll verkörpert und seinen Mandanten mit verblüffenden Ideen immer wieder souverän das Segel aus dem Wind nimmt, ist dem WDR tatsächlich ein Titelheld gelungen, wie es ihn so im deutschen Fernsehen noch nicht gegeben hat; umso bedauerlicher, dass die anderen Rollen eine starke Tendenz zur Witzfigur haben.
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