Neue Chefin, neue Herausforderung. Abendschullehrer Ralph Friesner (Axel Prahl) ist gar nicht begeistert, dass er mit sieben Problemfällen ein Motivationsprogramm durchziehen soll, an dessen Ende er zwei der Teilnehmenden aussortieren muss. Dass das von der neuen Schulleiterin Frau Bergmann (Susanna Simon) initiierte „Get-ready-Projekt“ im Grünen am See stattfindet, versöhnt Friesner mit der Sonderaufgabe – kommt er doch so endlich mal raus aus seiner WG mit der übergriffigen Karin (Katharina Thalbach). Doch Herbergsvater Ole (Anton Weber) ist auch nicht weniger anstrengend als sie. Und schlimmer noch: Nach einem Rohrbruch in der gemeinsamen Wohnung sucht Schnarchnase Karin nun Zuflucht in der preiswerten Jugendherberge – konkret: im Zimmer von „Ralphi Schatz“. Dabei hat der schon genug um die Ohren mit einigen von seinen wenig glorreichen Sieben: Faheema (Belina Nasra Mohamed-Ali) stottert, und Ruth (Nadine Wrietz) kämpft nicht nur mit ihren Pfunden, der gebürtige Iraner Keywan (Arman Arami) ist trockener Alkoholiker und schwul, was Luftikus Nick (Gerrit Klein), wenig sensibel mit den Worten quittiert: „die volle Packung, Mann!“ Und dann ist da vor allem noch Mirco (Niklas Bruhn) mit seinem latenten Frauenhass… Wie auf jeder Klassenfahrt wird hier nicht nur gelernt, sondern auch gezankt, geschmollt, gesoffen, gekotzt – und dann ist plötzlich eine Teilnehmerin spurlos verschwunden.
Foto: ZDF / Hardy Spitz
Nach dem großen Erfolg des Fernsehfilms „Extraklasse“, der 2018 sechseinhalb Millionen Zuschauer fand und sogar zwei Jahre später noch 5,36 Millionen einsammelte, war die Fortsetzung „Extraklasse 2+“ im vergangenen Jahr die logische Folge. Der zweite Film war mit 5,66 Millionen Zuschauern immer noch sehr erfolgreich für einen Nicht-Krimi, sodass nun der dritte Streich auf dem ZDF-Programm steht: die Klassenausflug-Variante. Ähnlich wie der erste Nachzügler setzt auch „Extraklasse – On Tour“ auf ein Potpourri an sozialen und psychologischen Problemlagen, konfrontiert den Pädagogen mit Charakteren, die sich von den Klischees ihrer Rollen alsbald emanzipieren, derweil er sich selbst vom sozialen Absturz noch ein Stück weiter entfernt hat. Seiner erstarkten Persönlichkeit möchte er Ausdruck verleihen, indem er sich wieder eine eigene Wohnung nehmen will. Das sorgt für Spannungen zwischen den beiden Noch-WG-Bewohnern. Diese ernsthaften Gespräche, in denen es um verletzte Gefühle und unwürdige Geheimniskrämerei geht, sind zwar nicht als große Sache inszeniert, gehören aber mit zu den emotionalen Höhepunkten des Films, bei dem Sinan Akkus die Re-gie von Matthias Tiefenbacher übernommen hat. Dagegen ist das augenzwinkernde (um nicht zu sagen augenrollende) Gefrotzel – gespielt selbst von begnadeten Komödianten wie Axel Prahl und Katharina Thalbach – nicht mehr als die typisch deutsche gediegene Komödien-Routine für die älteren Semester. Obwohl einige gute Ratschläge („Du musst deinen Unterleib in den Griff kriegen“) oder ein starker Thalbach-Moment („Der Wasserhahn rülpst“) dabei sind: Den Kritiker, eigentlich Komödienfan, überzeugen die ernsteren Töne mehr.
Foto: ZDF / Hardy Spitz
Autor Gernot Gricksch („Freilaufende Männer“, „Die Lichtenbergs“) bemüht ohnehin kaum Situationskomik und setzt auch nicht wirklich auf Dialogwitz. Vielmehr wird der in den Sätzen gut versteckte Witz eher den Charakteren zugeschrieben: So bemüht sich zu Beginn Prahls Lehrkörper darum, eine gewisse Lockerheit an den Tag zu legen, um so sich und die Gruppe zu entkrampfen. Nicht einer gewissen Komik entbehrt die Rhetorik der neuen Chefin, deren Prinzipienhaftigkeit fast schon autistische Züge trägt. Man hat mitunter den Eindruck, als habe sich Susanna Simon hier die Ironie-lose Penetranz von Annette Friers Ella Schön zum Vorbild genommen. Das Gegenteil davon ist der Herbergsleiter, der ultimative Scherzkeks, den Gricksch mit ganzheitlichem Pädagogik-Esoterikgedöns ausgestattet hat – zwischen amüsant und albern. Bleibt das Problem-Personal, dessen Tonlage einem recht stimmigen Dramedy-Realismus gehorcht. Eine Zeitlang hält der Frieden unter den Gehandicapten, nach 35 Filmminuten gibt es den ersten Zoff, zwischen den meisten aber bleibt der Umgang freundschaftlich. Die größten Probleme sind die, die die Teilnehmenden mit sich selbst haben. Die offen kommunizierten persönlichen Baustellen und verheimlichten Beeinträchtigungen befinden sich in einem dramaturgisch ausgewogenen Verhältnis. Und Coach Ralph scheint mit seinen Aufgaben zu wachsen. Axel Prahls Figur legt zunehmend den vermeintlichen Mutterwitz ab und müht sich redlich. „Es ist manchmal nicht ganz einfach, ich zu sein“, sagt die Frau mit den Panikattacken und dem Appetit auf Schokolade. „Das kenn ich“, antwortet Ralph. Diese Empathie bringt er auch Faheema entgegen, deren Redefluss weiterhin gestört bleibt. Nick und Keywan helfen sich gegenseitig. Freundschaft heißt ihr Schlüssel zum Erfolg. Und für Ober-Chauvi Mirco findet Ralph deutliche Worte. Von wegen „Ihr Scheiß-Weiber!“
Foto: ZDF / Hardy Spitz
Auf der Zielgeraden geht es dann noch einmal emotional ans Eingemachte. Auch wenn in „Extraklasse – On Tour“ eine ganze Reihe von Problemen ins Spiel kommen, vermittelt sich nie der Eindruck, es würde mit ihnen nur dramaturgisch spekuliert. Das liegt unter anderem am überzeugenden Miteinander von Prahl, Nadine Wrietz und Belina Nasra Mohamed-Ali in jenen ernsthafteren Momenten. Dass die Besetzungsliste nicht nur abgespeckt, sondern auch weniger prominent ist als in den Vorgängerfilmen, fällt deutlich auf, aber kaum negativ ins Gewicht. Und so ist diese dritte Episode dieser Sozial-Dramedy-Reihe zwar nicht absolute Extraklasse, aber doch eine willkommene Abwechslung zum ZDF-Krimi-Einerlei am Montag. Außerdem passt dieser mit seinen optimistischen Botschaften etwas naive Wohlfühlfilm sehr gut in den Monat Dezember – auch ohne Weihnachtsbaum, Glitzer, Stollen und Lametta.