Ihr Mann hat sie schon vor vier Jahren verlassen; jetzt verliert Ina Becker auch noch ihre Stellung. „Mode Pirsch“ war ihr Leben – in 30 Jahren hat sie sich bis zur Chefsekretärin hochgearbeitet. Jetzt mit Mitte 50 hat sie im Kurs beim Berliner Jobcenter die denkbar schlechteste Prognose für die sogenannte „Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt“ – zu alt, zu teuer, keine Fachausbildung. „Gehen Sie in den Frühruhestand“, rät ihr der Seminarleiter. Aber Ina, bei der sich nach der Scheidung über 12.000 Euro Schulden angehäuft haben, will sich beweisen, dass sie noch „dazugehört“. Sie will endlich wieder Boden unter die Füße kriegen – und sie will es aus eigener Kraft schaffen. Dass sie sich als etwas Besseres sieht und die anderen Kursteilnehmer ein bisschen von oben herab behandelt – diese Haltung treibt ihr insbesondere Enno bald aus, eine 18jährige werdende Mutter, für die Ina bald so etwas wie eine Ersatzmama ist. Etwas viel wird es ihr aber schon, dass auch ihr früherer Chef auffällig ihre Nähe sucht (und sogar im Jobcenterkurs auftaucht) und ihr schüchtern zwar, aber unmissverständlich Avancen macht. Mit Gefühle zeigen hat es diese Frau nicht so.
Foto: ZDF / Britta Krehl
Für die anderen hat diese Ina Becker in dem ZDF-Fernsehfilm „Es kommt noch besser“ immer einen guten und vor allem pragmatischen Rat zur Hand, ihre eigenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt weiß sie dagegen weitaus weniger realistisch einzuschätzen. Nach 90 Filmminuten jedenfalls ist sie sich noch nicht sicher, was für sie beruflich das Richtige wäre. Ein Job im Call-Center ist es jedenfalls eher nicht, wie zwei tragikomische Probe-Minuten mit Headset, Computer und Loriot-gefärbten Versprechern gezeigt haben. Diese Frau will noch etwas in ihrem Leben verändern. Aber sie erkennt auch, dass Wollen allein (und es vermeintlich besser wissen) nicht genügt. Von wegen: Geht nicht gibt’s nicht! Gut, dass die Drehbuchautorin Birgit Maiwald („Herztöne“) der mit mehr Hang zum Drama als zur schrägen Comedy-Nummer anrührend von Andrea Sawatzki verkörperten Hauptfigur nicht allzu schönfärberisch auf die Sprünge hilft – und dass das Ende für den Zuschauer durchaus Feelgood-Qualitäten besitzt, für die Hauptfigur dagegen angenehm offen & realistisch bleibt.
Es sind die kleinen (Fort-)Schritte, die zählen – das mag der (ideologische) Tenor dieser nachdenklichen Komödie aus der Welt von ALG II oder Hartz IV sein; vor allem aber betrifft das Plädoyer für die kleinen Schritte auch die Dramaturgie des Films. Hier geht eine Frau nicht unaufhaltsam ihren Weg, sondern sieht sich einem permanenten Lernprozess ausgesetzt. Vielleicht lautet ja auch die Botschaft dieses sympathischen Films: Erst die Abkehr von verinnerlichten Regeln („Man muss an seinem Marktwert arbeiten“) und Verdrängungs-Mechanismen („So eine Luftveränderung erweitert ja auch den Horizont“), erst die emotionale Öffnung und die Erweiterung der sozialen Kompetenz sind die Voraussetzungen für den Neuanfang. Ina Becker, dieser tragikomische Fremdkörper im Jobcenter-Kurs (wer könnte das besser spielen als Sawatzki mit ihrer Körperpräsenz & Kantigkeit?!), muss erst ihre Vorurteile abbauen und andere Prinzipien des Lebens an sich herankommen lassen – das Selbstbewusst-Rebellische ihrer Mitbewohnerin & das Lustbetonte ihres ehemaligen Chefs.
Foto: ZDF / Britta Krehl
Diese mehr oder weniger offenen Subtexte werden in „Es kommt noch besser“ nur beiläufig zum Schwingen gebracht und werden nur selten von den in Sozialkomödien gängigen, gern überzuckert dargereichten Wohlfühldramaturgieversatzstücken bestimmt. Das hat auch damit zu tun, wie Regisseur Florian Froschmayer („Tatort“) und die Schauspieler die Rollen interpretieren. Wie schon in der – allerdings komödiantischer und skurriler angelegten – „Bella“-Reihe gelingt es Sawatzki, eine Vielzahl an Tonlagen ins Spiel zu bringen und macht so aus dieser Frau mehr als einen Prototyp der arbeitslosen „Büroperle“: da gibt es eine große Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild; bei der Figur bricht – besonders kurz nach ihrer „Freistellung“ – auch ein gewisser Standesdünkel durch, gepaart mit natürlichem Stolz als einer Art Selbstschutz. „Sie hat ein ziemlich geringes Selbstbewusstsein, das hat sie bis jetzt nur über ihren Job aufrechterhalten; jetzt hat sie Angst vor den Blicken der Nachbarn“, betont Sawatzki. „Scheidung, Arbeitslosigkeit, das klingt in ihren Ohren nach Erfolglosigkeit, Armut.“ Einerseits würde sie sich am liebsten verkriechen, andererseits ist diese Ina auch nur ein Mensch: sie möchte gesehen werden, so wie sie ist – und sie möchte respektiert werden. Dieses Strahlen, als ihr am Ende des Kurses der Leiter ein Kompliment macht, sagt alles.
„Es kommt noch besser“ hat noch andere starke Charaktere zu bieten. Auch August Zirners Ex-Manager Walter Pirsch, ein Mann ohne jegliches Talent für den Beruf, den er über 30 Jahre ausgeübt hat, ist keine Figur aus dem Klischee-Katalog. „Ich bin einfach nicht gut, über andere zu bestimmen“, bringt er es am Ende – kleinlaut wie immer – auf den Punkt. Zirner spielt diesen Anti-Chef als Verdrängungskünstler in beruflichen Fragen und als Vermeidungs-Spezialist in amourösen Dingen (als der noch Boss war, hatte er, der viermal verheiratet war, damit weniger Probleme). Immer etwas neben der Spur, ein Leisetreter, der keinem zu nahe treten will und der Energie nur beim Tennis zeigt, so verkörpert Zirner diesen Endfünfziger von der melancholischen Gestalt. Als mehrfacher Kontrapunkt – jung, frech, Unterschicht – komplettiert Runa Greiners Enno das arbeitslose Trio. Sie musste früh auf eigenen Beinen stehen und hat so gelernt, wie man sich behauptet. Damit ist sie der genaue Gegenpart zu Zirners ewigem Juniorchef, der von seinem Vater ins Familienunternehmen gezwungen wurde. Auch wenn’s nach Küchenpsychologie klingt: eine Krise kann also doch eine Chance sein. Das zeigt sich auch bei einigen der Nebenfiguren, denen es wunderbar gelingt, trotz komödiantischer Züge (Brückners Kursleiter, der mit Dauerallergie auf seinen Coachingjob reagiert) die Ernsthaftigkeit ihrer Charaktere nicht dem Gag zu opfern. Sie wissen am Ende, was sie wollen. Als Moral des Films ist „die Krise als Chance“ aber nicht zu verstehen.
Foto: ZDF / Britta Krehl