Ein ganz normaler Morgen in einer deutschen Familie. Aufstehen, die Kinder fertig machen, Frühstück vorbereiten, die Tagesplanung durchsprechen. Die Mutter steht unter Druck, der Vater steht etwas dumm herum. “Papa macht einfach nie, was man ihm sagt”, witzelt dieser. Das bringt Mama auf die Palme… Ein Morgen, wie ihn jede Familie kennt. Doch bei den Kollers kommt erschwerend hinzu, dass eines der beiden Kinder, Tochter Pauline, stark behindert ist. Die Sechsjährige hat Dystone Athetose. Die Krankheit äußert sich in Haltungs-, Bewegungs- & Sprachstörungen. Geistig behindert ist Pauline nicht, aber sie ist ein Pflegefall.
“Engelchen flieg!” ist ein Fernsehfilm, obwohl er in seiner authentischen Anmutung den Zuschauer mitunter vergessen lässt, dass hier Schauspieler agieren. Die “Echtheit” beginnt beim Autor Werner Thal. Der verarbeitete in der Geschichte von einer Familie mit behindertem Kind, die unter dem Druck ihres Alltags beinahe zerbricht, seine eigene Biografie. “Ich wollte die Wut und die Verzweiflung über die Behinderung meiner Tochter loswerden”, sagt er. Bewusst hat er eine fiktive Geschichte gewählt, “weil ich Distanz zu den eigenen Erfahrungen brauchte, um jede Form von Larmoyanz zu vermeiden“.
Der Eindruck, bei den Kollers mit am Küchentisch zu sitzen, Dialoge und Vorwürfe, die hier zwischen schlaf- und sexlosen Nächten zu vernehmen sind, aus der eigenen Erfahrung zu kennen, mag viele Ursachen haben. Entscheidend ist dabei sicher, dass die Macher das kennen, was sie spielen. Uwe Ochsenknecht, der seinen Vater bewusst “hofnärrisch” anlegte, hat vier Kinder zu Hause. Auch Winkelmann ist Vater: “Zu jeder Szene fielen mir persönliche Szenen ein.” Und eine männliche Urerfahrung in der Ehe: “Man heiratet seine Geliebte, dreht sich um und hat plötzlich eine Mutter, von der man doch gerade weggelaufen ist.”
Der größte Glücksfall des Films allerdings war, dass die Frau von Autor Werner Thal die Schauspielerin Corinna Beilharz ist und dass deren behinderte Tochter Marlene ein intelligentes und aufgewecktes Mädchen ist. So war es naheliegend, dass sie Pauline spielen und ihr Bruder Moritz ihr Filmbruder Patrick werden würde. Natürlich gab es zunächst Bedenken. Wie würde Marlene die Dreharbeiten verarbeiten? “Ich denke, Marlene ist durch den Film selbstbewusster geworden”, so Corinna Beilharz. Sie stand während des Drehs oft im Zwiespalt zwischen Person und Rolle. “Um mich auf Hanna Koller konzentrieren zu können, musste ich mir regelrecht verbieten, mich um meine Kinder zu kümmern.”
“Engelchen flieg!” ist mit seiner ungewohnten Nähe zu den Protagonisten, zu der auch die Digitaltechnik mit der flexiblen Handkamera beiträgt, ein Film, in den man sich einsehen muss. Doch dann packt einen der Charme der Erzählung, die bei allem Problembewusstsein deutlich macht, “dass das Leben mit einem Behinderten nicht nur eine Tragödie ist” (Beilharz). Diese menschliche Haltung der Macher, die Wahrhaftigkeit, die sich durch die Bilder zieht und die kein Reality-TV-Format in der Lage ist zu erreichen und ein unnachahmlicher Ochsenknecht machen diesen kleinen Film zu einem Fernsehereignis!