„Wir sind hier nicht in der Schwarzwaldklinik“, stellt der Chef der Verwaltung trocken fest, als einer seiner leitenden Ärzte eine Patientin ohne Krankenschein behandeln möchte. Der Dialogsatz ist Ironie in eigener Sache: Produzent der Fernsehfilmreihe „Engel der Gerechtigkeit“ ist Wolfgang Rademann, zu dessen größten Meriten neben „Traumschiff“ auch besagte „Schwarzwaldklinik“ gehört. Die ZDF-Serie hatte in den Achtzigerjahren bis zu 20 Millionen Zuschauern. Die Zeiten sind zwar vorbei, aber etwas mehr Zuspruch hat sich Rademann für sein neues Konzept schon erhofft. Denn beim ZDF herrscht offenbar eine gewisse Unschlüssigkeit. Die ersten beiden Teile wurden jeweils donnerstags ausgestrahlt, die Folgen drei und vier firmieren als „Herzkino“. Als Filme für ein vorzugsweise weibliches Publikum sind sie auf dem Sonntagstermin zwar nicht völlig deplatziert, aber die dort eigentlich obligaten romantischen Elemente zum Beispiel fehlen völlig. Mit „Engel der Gerechtigkeit“ hat Rademann versucht, drei serielle Erfolgsmuster unter einen Hut zu bekommen: Die Filme sind eine Mischung aus Anwalts-, Krankenhaus- und Familienserie.
Der familiäre Anteil ist in „Ärztepfusch“, Episode 3 der Reihe, am wenigsten interessant. Spannender sind die beiden anderen Ebenen: Titelheldin Patricia Engel (Weizenböck), Anwältin für Arzthaftungsrecht, vertritt eine Frau (Karner), die wegen einer Brustkrebsoperation im Krankenhaus war. Weil ein Assistenzarzt rechts und links verwechselt hat, wurde ihr nicht nur die befallene, sondern auch die gesunde Brust amputiert. Seither ist die Frau traumatisiert und lebensmüde, zumal die Krankenhasse nicht mal die Kosten für die Brustreproduktion übernehmen will. Hauptfigur des zweiten Erzählstrangs ist eine rumänische Putzfrau (Zimmering), die auf dem Schwarzmarkt eine Niere verkauft hat. Nun ist das verbliebene Organ infiziert; da die Frau keine Krankenversicherung hat, ist sie dem Tod geweiht. Beide Fälle werden im Film viel komplizierter verpackt, und nur Juristen und Mediziner werden beurteilen können, ob die Details stimmen. Aus Sicht des Zuschauers ist entscheidender, dass man den jeweiligen Kern erfassen kann; und ob man die Darbietungen plausibel findet.
Katja Weizenböck (ausgesprochen geschmackvoll eingekleidet) hat eine sehr stimmige Form für die Hauptfigur gefunden. Ihre Art, die Dialoge halblaut zu sprechen, korrespondiert gut mit dieser beherrschten Frau, die stets das Gute repräsentiert. Robert Atzorn als ihr Vater und Chefarzt eines Hamburger Klinikums wurde zunächst als Gegenspieler eingeführt, aber in „Ärztepfusch“ würde der Professor gern am selben Strang ziehen; zumindest, was die kranke Rumänin angeht. Walter Kreye dagegen hat als Leiter der Verwaltung keine Chance, dem Klischee solcher Produktionen zu entkommen: Er steht für Personalabbau und zunehmenden Zeitdruck. Prompt klingen die entsprechenden Dialoge selbst bei so erfahrenen Schauspielern deklamiert, wenn wahlweise Vater oder Tochter die Missstände in deutschen Krankenhäusern anprangern. Dass sie sich gegenseitig Sachverhalte erklären müssen, die sie im Gegensatz zum Zuschauer natürlich kennen (etwa zum Thema Organhandel), ist gleichfalls keine besonders elegante oder originelle Form der Informationsvermittlung.
Ungleich einfallsloser als die durchaus reizvollen medizinischen Ebenen, die erwartungsgemäß zu einem fast märchenhaft anmutenden guten Ende geführt werden, wirkt der familiäre Erzählstrang, der unverhohlen auf die potenzielle Verbitterung älterer Zuschauerinnen spekuliert. Das Muster wird auch in den Freitagsfilmen der ARD gern beherzigt: Frau freut sich auf den gemeinsamen Lebensabend mit dem Gatten, aber der hat ganz andere Pläne. Deshalb muss Gila von Weitershausen gleich mehrfach mit verhärmter Miene auf den Professor warten, der längst in Rente gehen könnte und sie wegen „dringender Notfälle“ erst am Geburtstag, dann beim Opernbesuch und schließlich beim Abendessen versetzt.
Unauffällig ist die routinierte Umsetzung durch Sigi Rothemund und seinen Kameramann Dragan Rogulj. Das dank drei Dutzend gemeinsamer Filme perfekt eingespielte Team ist zwar selten innovativ, liefert aber regelmäßig solides Handwerk; und im Zweifelsfall ist Innovativität auf den Sendeplätzen, die das Duo bestückt (etwa mit den Donna-Leon-Verfilmungen), auch gar nicht gefragt. Bei „Ärztepfusch“ fällt neben dem für ZDF-Serien typischen „Alles-wird-gut“-Sonnenlicht zum Beispiel auf, dass die Bilder oft keine Tiefenschärfe haben, was man zumindest beim oberflächlichen familiären Erzählstrang auch gut passt. Dafür ist der Film wie alle Produktionen Rademanns bis in kleine Nebenrollen hinein namhaft besetzt.