Endzeit

Gro Swantje Kohlhof, Lehrer, Dyrholm, Vieweg, Hellsgård. Halt auf freier Strecke

Foto: ZDF / Anke Neugebauer
Foto Tilmann P. Gangloff

Deutschland ist nach einer Seuche von Zombies bevölkert. Allein im Osten sind zwei Städte von der Pandemie verschont worden. Als sich zwei junge Frauen von Weimar nach Jena durchschlagen wollen, müssen sie sich allerlei Angriffen erwehren; aber die wahren Dämonen lauern in ihren Köpfen. „Endzeit“ (ZDF, Arte / grown up films) basiert auf einem Comic von Olivia Vieweg, die auch das Drehbuch geschrieben hat. Caroline Hellsgård bedient sich bei ihrer Umsetzung diverser klassischer Genrezutaten, doch im Grunde erzählt der Film die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Frauen, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Die idyllischen Naturaufnahmen bilden einen reizvollen Kontrast zu dem Grauen, das hinter den schönen Bildern lauert. Die kritische Botschaft des Films entspricht jener zivilisationskritischen Haltung, wie sie solchen Produktionen seit der Gründung dieses Horror-Subgenres durch George A. Romero („Die Nacht der lebenden Toten“) zu eigen ist.

Einen Endzeitfilm „Endzeit“ zu nennen, wirkt auf den ersten Blick ähnlich originell wie der Titel „Horror“ für einen Horrorfilm. Noch treffender wäre „Zombie-Endzeit“ gewesen, denn damit wäre der Inhalt weitgehend erfasst: Der zweite Spielfilm der in Berlin lebenden Schwedin Caroline Hellsgård spielt in einer nahen Zukunft. Die Schrifteinblendung zu Beginn sorgt für beklemmende Aktualität: „Eine Seuche hat die Erde heimgesucht.“ Über die Hintergründe der zwei Jahre zuvor ausgebrochenen Pandemie lässt sich Olivia Vieweg, deren Drehbuch auf ihrem eigenen gleichnamigen Comic basiert, nicht weiter aus. Tatsache ist, dass es in Deutschland nur noch zwei sichere Städte gibt, Weimar und Jena, ansonsten gehört das Land den Zombies. Wie es im Rest der Welt aussieht, bleibt unklar. Zentrale Figur der Geschichte ist die junge Vivi (Gro Swantje Kohlhof). Nach einem traumatischen Erlebnis am Schutzzaun rund um Weimar verlässt sie die sichere Zone und versucht, mit einem automatischen Versorgungszug, der zwischen den beiden Städten hin und her fährt, nach Jena zu gelangen. In dem Schienenbus trifft sie auf die ältere Eva (Maja Lehrer). Als der Zug auf freier Strecke anhält, müssen sich die beiden Frauen irgendwie durchschlagen.

EndzeitFoto: ZDF / Anke Neugebauer
Die Zombies sind los. Rette sich, wer kann! Vivi (Gro Swantje Kohlhof) und Eva (Maja Lehrer)

Oberflächlich betrachtet ist die Handlung schematisch: hier die üblichen und zum Teil ziemlich unappetitlichen Bilder der attackierenden Zombies, dort ein ungleiches Duo, das die Herausforderungen nur gemeinsam überstehen kann. Die knallharte Eva, Typ Lara Croft, macht zwar nicht den Eindruck, als käme sie nicht alleine klar, trägt aber ein lebensbedrohliches Geheimnis mit sich herum; sie will nach Jena, weil dort nach einem Mittel gegen die Seuche gesucht wird. Vivi wiederum, die in der geschlossenen Abteilung einer Anstalt untergebracht war, wirkt komplett lebensuntüchtig und zeichnet sich durch diverse Verhaltensweisen aus, mit denen im Film klassischerweise erhebliche psychische Probleme verdeutlicht werden, verfügt jedoch über eine Sensitivität, die der unerschrockenen Eva abgeht. In der Kombination dieser beiden von den jungen Schauspielerinnen zudem sehr glaubwürdig verkörperten Charaktere liegt der eigentliche Reiz der Geschichte, zumal Vieweg mit Hilfe kurzer Rückblenden nachträgt, was Vivi derart aus der Bahn geworfen hat; auch bei Eva gibt es immer wieder verstörende Erinnerungsfetzen. Auf die Entwicklung dieser Beziehung konzentriert sich das Mitteldrittel des Films. Die Bedrohung bleibt vorhanden, rückt aber in den Hintergrund. Neue Dynamik kommt in die Geschichte, als Vivi eine rätselhafte Frau (Trine Dyrholm) trifft, die offenbar dabei ist, sich in ein pflanzliches Mischwesen zu verwandeln. Sie nennt sich „die Gärtnerin“, hütet einen paradiesisch anmutenden Garten Eden und macht Vivi ein Angebot, das sie kaum ablehnen kann.

„Endzeit“ ist ein feministischer deutscher Zombiefilm, der seine Genremotive mit weiblicher Handschrift überschreibt. Zart und hart. Das Land jenseits des Zauns ist menschenleer und paradiesisch im Spätsommerlicht. Weimar ist entvölkert und wirkt mit seinen dunklen Gassen und der Horrorbeleuchtung wie aus einem expressionistischen Film. „Meldet euch zur Arbeit am Schutzzaun“, fordert ein Plakat an einer Hauswand. Einer bei der Arbeit am Zaun Gebissenen und dadurch Infizierten wird von einer Kollegin erst der Arm abgehackt, dann wird sie vorsorglich doch noch getötet. Viel mehr muss man gar nicht wissen, um zu ahnen, wie diese postapokalyptische Gesellschaft funktioniert. (Süddeutsche Zeitung)

Man freut sich, wenn eine Regisseurin in einem Genre arbeitet, das sich in Deutschland undergroundmäßig in Splatter und grobem Humor austobt. Daran ist „Endzeit“ überhaupt nicht interessiert – so wenig wie an der beliebten Frage: Retten wir die Mutter oder das Kind? Nein, „Endzeit“ kommt philosophischer und psychologischer daher. (…) Mitunter trägt der Film, auch in den Dialogen, etwas zu dick auf. Aber die Beziehung zwischen den ungleichen Frauen, aus der so etwas wie Freundschaft wird, vernachlässigt er nie. Man merkt die Nähe zu einem anderen jüngeren deutschen Apokalypse-Film, Tim Fehlbaums „Hell“, der näher am Genre ist. Das macht aber nichts. Einen Wurf wie „Endzeit“ hat man lange nicht gesehen im deutschen Kino. (epd film)

EndzeitFoto: ZDF / Anke Neugebauer
Horror mit kritischer Botschaft à la George A. Romero. Was tut man nicht alles, um zu überleben. Gro Swantje Kohlhof, Maja Lehrer

Hellsgård – ihr Regiedebüt war das Milieudrama „Wanja“ über eine aus der Haft entlassene Frau – und Kamerafrau Leah Striker haben die Bilder in ein Licht getaucht, wie es spätestens seit „Mad Max“ typisch für das Genre ist. Allerdings verliert der Film diese flirrende Helligkeit, je tiefer die beiden Frauen in die Natur vordringen. Wäre da nicht dieses permanent präsente latente Unheil, könnte „Endzeit“ auch eine ganz andere Geschichte erzählen. In diesem Kontrast zwischen landschaftlicher Idylle und der gleichzeitigen Atmosphäre einer ständigen Gefahr liegt ein besonderer Reiz. Natürlich kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, damit die Bedrohung nicht in Vergessenheit gerät; unter anderem muss sich Vivi einer hartnäckigen Untoten im Brautkleid und des Angriffs eines blinden Zombies erwehren. Diese Szenen sind zum Teil ziemlich eklig und rechtfertigen die Altersfreigabe ab 16 Jahren ebenso wie die späte Sendezeit. Mitunter drängt sich allerdings der Eindruck auf, Hellsgård habe damit vor allem die Genre-Erwartungen erfüllen wollen; weniger Drastik hätte auch genügt und dem Film womöglich ein Publikum erschlossen, dass Zombie-Geschichten ansonsten meidet. Während der ausführlichen Sequenz im Zug zum Beispiel wird „Endzeit“ zum Kammerspiel auf freier Strecke. Auch die kritische Botschaft entspricht jener zivilisationskritischen Haltung, wie sie solchen Produktionen seit der Gründung dieses Horror-Subgenres durch George A. Romero („Die Nacht der lebenden Toten“, 1968) zu eigen ist: Die Menschen, sagt Eva, „haben zu lange keine Miete gezahlt. Das da draußen, das ist die Räumungsklage.“ Eine weltweite Seuche als Rache der Natur: Auch dieser Ansatz ist hochaktuell. Erstaunlich, dass Vieweg der Dystopie dennoch einen Hoffnungsschimmer abgewinnen kann. Für deutsche Verhältnisse ist der Film ohnehin ungewöhnlich, von der maßgeblichen Beteiligung der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel ganz zu schweigen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kinofilm

Arte, ZDF

Mit Gro Swantje Kohlhof, Maja Lehrer, Trine Dyrholm, Barbara Philipp, Axel Werner Amy Schuk, Muriel Wimmer

Kamera: Leah Striker

Szenenbild: Jenny Roesler

Kostüm: Teresa Grosser

Schnitt: Ruth Schönegge, Julia Oehring

Musik: Franziska Henke

Redaktion: Christian Cloos (ZDF), Doris Hepp (ZDF/Arte), Birgit Kämper (Arte)

Produktionsfirma: grown up films

Produktion: Ingelore König

Drehbuch: Olivia Vieweg

Regie: Caroline Hellsgård

EA: 04.02.2021 23:15 Uhr | Arte

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach