Endlich Witwer – Über alle Berge

Joachim Król, Tristan Seith, Dela Dabulamanzi, Ramesh, Enlen. Wutbürger wird weiser

Foto: ZDF / Mario Entero
Foto Rainer Tittelbach

Nicht nur der Zuschauer lernt in „Über alle Berge“ (ZDF / Bavaria Fiction), dem dritten „Endlich Witwer“-Film mit Joachim Król, neue Seiten an diesem eigenwilligen und oftmals eigensinnigen Mittsechziger kennen. Auch Georg Weiser selbst scheint sich nach „Forever young“ (2022), der Episode über seine Anarcho-Phase, bewusst rückbesinnen zu wollen auf jene Zeit, bevor er in die Alltagstretmühle geriet, die ihn geradewegs in die Ehe-Hölle führte. Die Jahre mit den Kindern auf La Gomera waren jedenfalls so übel nicht. Dumm nur, dass er hier bald steckbrieflich gesucht wird. Die Begegnung mit einer geflüchteten Senegalesin konfrontiert Weiser außerdem mit einem Thema, das er sonst nur aus der Zeitung kennt. Vieles, was er von der Frau erfährt, nimmt er sich zu Herzen… „Über alle Berge“ beginnt wie eine jener „Was-für-ein-Schlamassel“-Komödien, schwenkt allerdings bald um in eine nachdenkliche, zwischenzeitlich immer wieder auch erheiternde Tragikomödie mit humanistischem Mehrwert. Król ist für diesen archetypischen deutschen Charakter die Idealbesetzung. Bei ihm klingen Sätze, die eine Haltung spiegeln, wie gelebtes Leben.

Seine Weltreise mit dem Camper hat den etwas anderen Wutbürger Georg Weiser (Joachim Król) nur bedingt entspannter gemacht. Die Situation, in die er auf den Kanaren gerät, ist aber auch zum Verzweifeln: Am Hafen von Gran Canaria wird ihm seine Jacke mit Geld, Autoschlüssel und allen Papieren geklaut. Er folgt der Diebin auf die Fähre nach La Gomera, was die Sache für ihn nicht besser macht. Vidal (Gabriel Munoz), der Polizeichef dort, glaubt ihm nämlich kein Wort. Der hört nur, was er hören will, und sieht in dem typischen Deutschen und einen „gewalttätigen blinden Passagier“. Und der hat schnell die passende Reaktion parat: „Du Reserve-Franco“ schnauzt er Vidal an und landet hinter Gittern. Durch einen glücklichen Zufall kann Weiser zwar entkommen, wird nun aber steckbrieflich gesucht wie ein Schwerverbrecher. Bei einer Gruppe von Aussteigern (Katja Studt, Jürgen Tarrach, Nina Vorbrodt) kommt er nur vorübergehend unter, da ihn deren arrogant-ignorante Haltung gegenüber der gomerischen Bevölkerung gehörig nervt. Dann schon lieber ein echtes Outlaw-Leben! Auf Abruf, versteht sich. Denn sein Sohn Gerd (Tristan Seith) wurde von ihm instruiert und befindet sich bereits auf dem Weg; doch die Ankunft verzögert sich. Und so bleibt Weiser genug Zeit, ausgerechnet die Frau kennenzulernen, die ihm den ganzen Schlamassel eingebrockt hat: Soleil (Dela Dabulamanzi), eine Migrantin aus dem Senegal, eine kluge und stolze Frau, die den Deutschen zum Nachdenken bringt.

Endlich Witwer – Über alle BergeFoto: ZDF / Mario Entero
Alles fängt suboptimal an: Die spanische Polizei glaubt dem Deutschen nicht, sieht in ihm einen „gewalttätigen blinden Passagier“. Weiser (Król) kann jedoch entkommen.

Nicht nur der Zuschauer lernt in „Über alle Berge“, dem dritten „Endlich Witwer“-Film mit Joachim Król, neue Seiten an diesem eigenwilligen, ja oft auch eigensinnigen Menschen kennen. Auch Weiser selbst scheint – nomen est omen – sich nach der Episode „Forever young“ (2022) bewusst rückbesinnen zu wollen auf jene Zeit, bevor er in die Alltagstretmühle geriet und bevor sich seine lieblose Ehe zum beidseitigen Käfig-Dasein entwickelte. Der pensionierte Witwer erinnert sich trotz der misslichen äußeren Umstände an die zufriedeneren Jahre der Familie zurück; damals waren sie häufig im Urlaub auf der kanarischen Aussteiger-Insel. Dieser Held – besser Antiheld – ist ein typisches Beispiel für jenen Typus Mensch, der eigentlich ganz anders ist, aber nur selten dazu kommt, dieses Anderssein zu leben. Weiser ist die letzten Jahrzehnte offenbar so gut wie gar nicht dazu gekommen, sich und seinen Nächsten diese andere Seite zu zeigen. In „Forever young“ waren es die wilden Jahre vor dem „Erwachsenwerden“, die ihn in Melancholie verfallen ließen. Natürlich spielte dabei auch eine Frau eine Rolle: Petra, seine große Liebe. Damit erklärte sich ein Stück weit die Ehe-Hölle, die zu Beginn des mit 7,40 Millionen Zuschauern phänomenal erfolgreichen Auftaktfilms 2019 noch für einige schön böse Momente sorgte. Damit Weiser weiterhin dazulernen kann, ist die von Martina Gedeck gespielte Traumfrau Petra aus dem zweiten Film (schon) wieder Geschichte. Ähnlich wie das Glück seines Sohnes Gerd mit Angelika. Dieser aber hat Ersatz gefunden in Stuntman Büffel (Denis Schmidt), der ihm auf dem Flughafen über den Weg läuft.

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Die Beziehungsmuster zwischen Vater (Joachim Król) und Sohn sind einfach nicht zu überwinden. Kaum ist Gerd (Tristan Seith) auf der Insel, hagelt es Vorwürfe. Dann spricht der Sohn ein Machtwort: „Benimmst du dich?“ Papa reißt sich am Riemen: „Schön, dass du da bist“ … Und weiter geht das Genörgel – bis zum launigen Ende.

Die Begegnung mit Soleil weckt nicht nur Erinnerungen an früher, sondern konfrontiert Weiser auch mit einem Thema hautnah, das er sonst nur aus der Zeitung kennt. Und weil diese Senegalesin keine vor ihm kuschende Flüchtende ist, sondern eine selbstbewusste, intelligente, gebildete, allerdings dadurch auch weitgehend illusionslose Frau, die mehr weiß von den Härten des Lebens als er, der Kunstrasenhändler a.D., kann der Witwer auch diesmal dazulernen. Dass Autor Sathyan Ramesh („Süßer September“, „Süßer Rausch“) ihm Nach- und Einsicht zugesteht, macht aus Weiser mehr und mehr einen normalen Menschen, der mal an die Decke, mal aber genauso gut auch in sich gehen kann. Aus der Komödien-Figur in Teil 1, einem Stinkstiefel par excellence, ist eine kantige Identifikationsfigur geworden. Dass so übel mit dem Mann umgesprungen wird, nimmt anfangs noch mehr für ihn ein. Und er ist auch kein Rassist, vielmehr ein weich gebetteter Europäer einer bestimmten Generation, die sich mit political correctness anno 2023 erst anfreunden muss und die sich im Rentenalter vor allem um die eigenen Problemchen dreht. Die Realität „Afrikas“ ist weit weg für ihn. „Afrika besteht aus 55 Staaten“, klärt ihn Soleil auf, die sich ärgert über das Bild, das viele Europäer von dem Kontinent haben. Allerdings steckt auch Soleil voller Vorurteile („ich denke: Feind“). In der Ausnahmesituation, in der sich Weiser befindet, ist er auf die ortskundige Frau angewiesen. Und so muss er sich ihre Kritik und Ressentiments anhören. Soleils Schicksal berührt ihn. Einiges scheint er zu verstehen. Und sie ihrerseits erkennt ihn: „Du hast diese warmen Augen. Aber darunter ist Wut, Trauer, Wut, Trauer…“, so ihre scharfe Analyse. Am Ende sieht auch sie mehr in ihm als den egozentrischen, kleinkarierten Deutschen.

Endlich Witwer – Über alle BergeFoto: ZDF / Mario Entero
Das Reisen erhöht die Offenheit und Reflexionsbereitschaft des Helden. Die Botschaft zwischen den Zeilen kommt an: politische Sensibilisierung und Horizonterweiterung als kleine Nebeneffekte einer angenehm entspannt erzählten Geschichte von einem, der eigentlich ganz anders ist, nur selten dazu kommt. Joachim Król & Dela Dabulamanzi

Die nächtliche Klage der Senegalesin Soleil:
„Zeigt auf uns und nennt uns Geflüchtete, Notleidende, Farbige, Etikett Opfer. Oder armer, gefährlicher Flüchtling. Ihr seid Aussteiger, Auswanderer, Touristen, Retter, Entdecker. Seit Jahrhunderten kommt Ihr zu uns und klaut: unsere Musik, unsere Mode, unsere Schönheit, unsere Kultur, unsere Arbeitskraft, unser Wissen, Schätze, Öl, unseren Fisch, aber uns, die Menschen, die wollt Ihr nicht.“

„Über alle Berge“ beginnt wie eine jener „Welch-ein-Schlamassel“-Komödien („Was ist das für eine Scheiß-Insel!“), schwenkt allerdings bald um in eine nachdenklich stimmende, zwischenzeitlich immer wieder auch erheiternde Tragikomödie mit humanistischem Mehrwert. Joachim Król ist für diesen archetypischen deutschen Charakter die Idealbesetzung: ein bisschen Jähzorn, ein bisschen Selbsthass, gesunder Menschenverstand, eine gewisse Genügsamkeit und eine Portion Mutterwitz, der gern mal in Sarkasmus umschlägt. Bei ihm klingen Sätze, die eine Haltung spiegeln, wie gelebtes Leben: „Ihr zieht in ein fremdes Land und bleibt dann unter euch, wie Deutsche das nun mal so machen… Es ist nur peinlich, was Ihr da von euch gebt“, wirft er dem Aussteigertrio vor. Weiser ist aber auch imstande, sich selbst kritisch zu sehen. Er weiß um die Wut, die in ihm steckt. Und sie hat viele Quellen: „Du lebst nicht, wie du willst, wo du willst, vielleicht sogar mit wem du willst. Und alle anderen sind jünger, schöner, reicher…“ Und am Ende sei man eben nur noch wütend, böse und undankbar. So viel Lebensweisheit, so viel sozialpsychologische Wahrheit in einer halben Filmminute, ohne dass man sich als Zuschauer belehrt fühlt, so etwas findet man nicht oft in einem deutschen Fernsehfilm. Auch die nächtliche Klage, diese kulturgeschichtlichen Reflexionen dieser weisen Frau aus dem Senegal ist ein ganz großer Moment in diesem mit gesellschaftlichen Themen aufgeladenen Film, der dennoch so angenehm unprätentiös daherkommt. Das liegt neben Rameshs gehaltvoll knappen Dialogen auch an Martin Enlens feinfühliger Inszenierung. Weiser und Soleil nächtigen in einem notdürftigen Unterschlupf am Meer. Beide können nicht schlafen. Im Halbdunkel und zum Rauschen der Wellen hört man Soleil etwas sprechen (sie Sätze sind nachzulesen unten im roten Kasten), was in einen Dialog verpackt wie eine pathetische Botschaft klingen würde. So aber wirkt es wie ein politischer, lyrischer Exkurs. Weiser nimmt sich ihn zu Herzen. Eine Wahrheit zwischen Tag und Nacht, zwischen Wachsein und Traum, die zu Tränen rührt. (Text-Stand: 8.4.2023)

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Reihe

ZDF

Mit Joachim Król, Tristan Seith, Dela Dabulamanzi, Gabriel Munoz, Katja Studt, Denis Schmidt, Jürgen Tarrach, Nina Vorbrodt, Laia Alvarez und als Gast Friederike Kempter

Kamera: Philipp Timme

Szenenbild: Monika Maier

Kostüm: Maria Schicker

Schnitt: Monika Abspacher

Musik: Martina Eisenreich.

Soundtrack: T. Rex („Get It On“)

Redaktion: Pit Rampelt

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Doris Zander

Drehbuch: Sathyan Ramesh

Regie: Martin Enlen

Quote: 5,53 Mio. Zuschauer (20,1% MA)

EA: 22.04.2023 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

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