Georg Weiser (Joachim Król) ist irgendwann nach dem Tod seiner Frau mit seinem Camper einfach drauflosgefahren. Erst begab er sich auf die Spuren seiner Anarcho-Phase, auf La Gomera erinnerte er sich an die frühen Familienjahre, als seine Ehe noch nicht die Hölle war, und jetzt haben die Kinder ihren launenhaften Vater zu einem Familientreffen nach Kreta gerufen. Denn Susanne (Caroline Hanke) und Gerd (Tristan Seith) wollen gern zu dritt den zehnten Todestag ihrer Mutter begehen. Vater Georg, alles andere als ein Familienmensch, fühlt sich überrumpelt. „Brigittes Tod war für mich auch ein Neuanfang, vielleicht sogar eine Befreiung.“ Seine Ehrlichkeit wird von seinen Kindern nicht honoriert. Und dann gibt mal wieder ein Wort das nächste: „Wohlstandssolisten“, ätzt er. „Schweigend und abgewandt, kalt und passiv-aggressiv“, schimpft die Tochter zurück. Die Kinder fühlten sich ihr ganzes Leben von ihrem Vater nicht gesehen. Ein bisschen nimmt sich Weiser die Kritik zu Herzen. Und als er von dem Griechen Alex (Jasin Challah) ein Start-up kennenlernt, bei dem der Plastikmüll aus dem Meer zu Baustoffziegeln verarbeitet werden soll, ist er Feuer & Flamme. Dumm nur, dass es ein deutsch-griechisches Projekt ist und dass es von Susannes Umweltorganisation und ihr als Leiterin getragen wird. Ihr aber widerstrebt es, mit ihrem Vater zusammenzuarbeiten.
Foto: ZDF / Kandanoleon Manolis
Es zeichnete sich bereits in den beiden letzten Episoden von „Endlich Witwer“ ab: Der Horizont von Georg Weiser, dem ehemaligen Kunstrasenhändler und Pantoffelhelden, geht weit über das Bild hinaus, das man 2019 von diesem verbitterten Kleinbürger hatte. Aus einer Karikatur – allerdings einer vortrefflichen und saukomischen – wurde mehr und mehr ein Mensch mit all seinen Stärken und vielen Schwächen. Auch für „Griechische Odyssee“ gilt Ödön van Horváths berühmter Satz: „Eigentlich bin ich ganz anders; ich komme nur so selten dazu.“ Nun, im ewigen Urlaub, hat Weiser genug Zeit für kleine Kurskorrekturen in seinem Leben. Die Reise steht ohnehin als Metapher für den Sinneswandel in Richtung mehr Zufriedenheit (Glück wäre für Weiser ein zu großer Begriff). Bei denen, die nicht zur Familie gehören, klappt das schon mal ganz gut: Den lebensmüden Schauspieler Sokrates (August Zirner) bewahrt er vor dem Freitod; außerdem erträgt er dessen Anwesenheit, seine seltsame Bekleidung, den antiken Chiton, das Gekiffe und die philosophischen Weisheiten, die dieser ständig zum Besten gibt, überraschend gut. Autor Sathyan Ramesh spielt einmal mehr mit dem Namen des Titelhelden. Weiser wird weiser. Dazu passen die Gedanken des Philosophen, dessen Statements als eine Art griechischer Ein-Mann-Chor ohne Gesang fungieren, aber auch die Lebenslust einer Frau (Leslie Malton), die dem Deutschen schon einmal in seinem Leben begegnet ist. Weiser ist offen, weder Sinn noch Sinnlichkeit tut er mit blöden Bemerkung ab.
Einer der schönsten Dialogwechsel im Film:
Karin: „Ich spür’s übrigens.“ Weiser: „Was?“ K: „Du willst fragen, ob es jemanden in meinem Leben gibt. Aber du traust dich nicht.“ W: „Ah, ja“ K: „Trau dich ruhig.“ W: „Gibt es jemanden in deinem Leben?“ K: „Das geht dich gar nichts an.“ (Pause) „Warum willst du das wissen?“ W: „Du hast behauptet, dass ich das wissen will.“ K: „Willst du’s denn wissen?“ W: „Doch.“ (Pause) „Du bist ganz schön kompliziert. Mein Leben ist ganz einfach.“ K: „Dann lebst du’s nicht.“
Foto: ZDF / Kandanoleon Manolis
Und Griechenland passt noch in einer anderen Hinsicht gut zu dieser Reihe von Entwicklungs-Tragikomödien. So schön auf Kreta die weiß getünchten Häuserfronten unter strahlend blauem Himmel und mit Blick aufs Meer auch sind, hinter den Häusern lagern oft Bauschutt, stehen Gerüste, wachsen vertrocknete Pflanzen. Und das Familientreffen gleich zu Beginn findet in einem der zahlreichen Rohbauten statt, die viele Jahre später oder nie fertiggestellt werden. Später fällt der Blick auf die Ruinen ehemaliger Wohnhäuser. Das alles sind sehr passende Projektionsflächen für den Zustand, ja, die Überreste der Familie Weiser. In deren Beziehungen muss Vieles gekittet und emotional ausgebessert und neu verputzt werden. Ein Provisorium ist auch das, was unter dem Deckmantel der großen Liebe ins Spiel kommt – und am Ende wohl doch nicht mehr als eine griechisch-deutsche Affäre ist. Diese Philosophie der kleinen Momente des Glücks haben sich die Charaktere dieser Reihe zu eigen gemacht: So bleibt die Sehnsucht erhalten, kann die Suche nach Neuem, nach Veränderung, weitergehen. Nah am Leben, nah am Wesen der Hauptcharaktere, die übermäßige Lebenslust und Freundlichkeit nicht in die Wiege gelegt bekommen haben, so sind die Geschichten erzählt. Für diese Tonlage ist Rainer Kaufmann der richtige Regisseur, und so ist „Endlich Witwer“ IV am Ende ein warmherziger Film mit einem unaufdringlichen Feelgood-Touch.
„Griechische Odyssee“ ist mehr als die Summe seiner Plot-Ingredienzien; aus denen hätte sich auch ein seichtes „Herzkino“-Filmchen machen lassen. Der Film ist unterhaltsam, besitzt Tiefe, er lebt von seinen facettenreichen Charakteren, dem zwischentonreichen Spiel und den vielen Feinheiten der Geschichte, zu denen auch einige komische Szenen gehören (Weiser als Klettermaxe). Eine Sache von mehreren Seiten zu betrachten, das ist nicht nur ein Bild-Motiv: ein Mobile-Kunstwerk, von dem sich je nach Perspektive ein vollkommen anderes Bild ergibt. Das gleiche Prinzip spiegelt sich in den Beziehungsgeschichten. In dieser lebensklugen, wahrhaftigen Tragikomödie setzt sich die Vernunft durch, triumphieren Wahrheit und Weisheit über Genre-Konventionen und dramaturgische Klischees. Keiner wird zum Schuldigen erklärt. Die Gefühle der „Kinder“ werden ernst genommen, ohne Weiser im Gegenzug zum Stinkstiefel zu machen. Der hat zwar seine Macken, ist aber gleichzeitig treibende Kraft in Sachen weibliche Selbstermächtigung. Wer hätte 2019 das von diesem Kotzbrocken gedacht?