Film und Fernsehen haben wahrlich schon viele Dreiecksgeschichten erzählt, aber „Ende der Schonzeit“, das Debüt von Franziska Schlotterer, ist eine der ungewöhnlichsten. Neudeutsch würde man das Abkommen der Beteiligten eine „Win-Win“-Situation nennen. Damals, 1942, sagte man „Eine Hand wäscht die andere“: Der Bauer Fritz gewährt dem Juden Albert, der in die Schweiz flüchten will, Unterschlupf. Der Hof liegt irgendwo im Schwarzwald weit außerhalb des nächstes Dorfes, Besuch bekommen Fritz und seine Frau Emma nur selten. Das Ehepaar ist kinderlos, allerdings ungewollt, und weil Landwirtschaft ohne Stammhalter sinnlos ist, hat Fritz eine abenteuerlich anmutende Idee: Albert soll Emma schwängern.
Das klingt grotesk, wirkt aber dank Schlotterers Inszenierung wie selbstverständlich. Die mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilmerin schildert die Ereignisse ihres vom SWR als Auftakt zur diesjährigen Reihe „Debüt im Dritten“ ausgestrahlten Spielfilm-Erstlings zwar aus Sicht Alberts (Christian Friedel), doch die faszinierendere Figur ist der wortkarge Fritz. Auch wenn Brigitte Hobmeier bei der internationalen Premiere des Films in Montreal als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde: Herausragend ist vor allem Hans-Jochen Wagner. Seine Verkörperung des Bauern verhilft „Ende der Schonzeit“ erst zu jener Plausibilität, der die Geschichte ihre Glaubwürdigkeit verdankt; und das ist nicht bloß eine Frage der Dialoge. Fritz mag ein einfacher und auch etwas vierschrötiger Zeitgenosse sein, ist aber kein schlechter Mensch. Im Gegensatz zu Emma hat er keinerlei Vorbehalte gegen Albert, bloß weil der Jude ist. Ob es ihm wirklich um den Erben geht oder ob er nur den Hänseleien der anderen Männer ein Ende setzen will, lässt das Drehbuch von Gwendolyn Bellmann und Franziska Schlotterer offen. Den Vorgang als solchen betrachtet Fritz leidenschaftslos: Wenn eine Kuh kalben soll, wird ihr ein Stier zugeführt. Was die Kuh davon hält, das ist dem Bauern egal.
Foto: SWR / Eikon Südwest
Franziska Schlotterer über die Dreharbeiten zu „Ende der Schonzeit“:
„Hilfreich war es, dass wir nicht im Studio, sondern auf diesem wunderbaren alten authentischen Bauernhof gedreht haben. Wir haben alle zusammen für fünf Wochen im Nachbarort gewohnt, kaum einer ist je am Wochenende nach Hause gefahren.So fühlte es sich an, als ob wir alle irgendwie in unserem Film leben.“
Diese Haltung spiegelt sich auch in Wagners Gesichtszügen. Allein seine Körpersprache deutet an, dass Fritz tief im Innern Empfindungen verbirgt, die niemanden etwas angehen; schon gar nicht seine Frau. Brigitte Hobmeier hat die interessanteste Rolle des Trios, denn Emma entdeckt die Wonnen der körperlichen Liebe. In den entsprechenden Szenen bleibt Schlotterer indes jenem Stil treu, der den gesamten Film prägt. Die langen, unaufgeregten Einstellungen verraten die Dokumentaristin und mögen auch mit dem Budget zu tun haben, passen aber perfekt zur Geschichte und bieten zudem die Möglichkeit, den Schauspielern in aller Ruhe bei ihrer formidablen Arbeit zuzuschauen. Diskret zieht sich Bernd Fischers Kamera gemeinsam mit Fritz aus dem Schlafgemach zurück, als Albert erstmals zur Tat schreitet; winzige Momente genügen, um später zu verdeutlichen, dass er den Vorgang im Gegensatz zum grobschlächtigen Fritz nicht bloß als Zeugungsakt betrachtet. Prompt will Emma mehr.
Das Drehbuch bettet den entstandenen Hauptstrang in eine lange Rückblende. Der Film beginnt 1970 in Israel: Ein junger Mann (Max Mauff) sucht seinen Vater. Geschickt zögern die Autorinnen hinaus, was sich erst spät als eigentliches Motiv entpuppt: Gleich zwei der Hauptfiguren nutzen die historischen Rahmenbedingungen, um Rache zu nehmen. Für Schlotterer erzählt „Ende der Schonzeit“ ohnehin das System des „Dritten Reichs“ im Kleinen. Sie will am Beispiel der Dreiecksgeschichte „die verheerenden Auswirkungen beschreiben, die die NS-Dikatur auf die zwischenmenschlichen Beziehungen hatte.“ Aus ihrer Sicht sind die drei Hauptfiguren „Gefangene ihrer Situation“. Darin liegt der Reiz des Films: dass alle Beteiligten wie Opfer wirken, sich aber jeder auf seine Weise schuldig macht.