Ende der Saison

Sarnau, Elsner, Brückner, Nocke, Krohmer. Krebs, Handkamera, Interaktion

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Foto Rainer Tittelbach

„Ende der Saison“ ist kein klassischer Themenfilm, keine Sterbegeschichte, weder Krebs- noch Mutter-Tochter-Drama, aber auch kein Melodram der großen Gefühle. Stefan Krohmer hat Hannelore Elsners Hang zu Pathos und Pose geschickt ausgebremst und Autor Daniel Nocke hat die Voraussetzung dafür geschaffen, indem er die Tochterfigur in den Mittelpunkt der Geschichte rückte. Der Film holte 2002 vier Grimme-Preise mit Gold, für Buch, Regie und die beiden Hauptdarstellerinnen. Anneke Kim Sarnau ist die Entdeckung des Films. „Ende der Saison“ gehört dramaturgisch und filmästhetisch zu den einflussreichsten TV-Filmen der letzten 20 Jahre, ist Wegbereiter eines alltagsnahen Realismus ohne Drama-Klischees.

Waltraut (Hannelore Elsner) hat nicht mehr lange zu leben. Ihre Tochter Klarissa (Anneke Kim Sarnau) möchte für sie da sein, sie pflegen und beim Sterben begleiten. Da ist aber auch noch Enno (Christian Brückner), der Freund der Todkranken, der in Waltrauts geräumiges Haus mit eingezogen ist. Anfangs agiert der sich äußerst abgeklärt gebende Mann um die 60 desöfteren als Vermittler zwischen den beiden Frauen, die noch nie gut konnten miteinander und die deshalb noch einiges zu klären haben. Zum Leidwesen von Klarissas Freund Marius (Devid Striesow) zeigt Enno aber auch Interesse an der 26jährigen Studentin, die sich ihrerseits angezogen fühlt von der Reife und Erfahrung dieses so lässig wirkenden Mannes. Da sie ihre Mutter nicht verletzen will, lehnt sie allerdings eine Affäre mit ihm ab. Nach Waltrauts Tod bleibt die Situation für Klarissa unverändert. Sie will allein trauern, braucht Zeit für sich. Als sie erkennen muss, dass Ennos Geld für ein selbstverwaltetes Kulturhaus, für das sie und ihr Ex-Freund sich engagiert hatten, ein Stück weit sie „kaufen“ sollte, ist für sie das Kapitel Enno beendet. Aus gutem Grund könnte sie sich schon eher wieder ein Leben mit Langweiler Marius vorstellen, den ihr Waltraut ausreden wollte und ihr Lover in spe vergrault hatte.

„Ende der Saison“ ist kein klassischer Themenfilm, keine Sterbegeschichte, weder Krebs- noch Mutter-Tochter-Drama, aber auch kein Melodram der großen Gefühle. Stefan Krohmer hat Hannelore Elsners Hang zu Pathos und Pose geschickt ausgebremst und Autor Daniel Nocke hat die Voraussetzung dafür geschaffen, indem er die Tochterfigur in den Mittelpunkt der Geschichte rückte. Von ihr aus betrachtet, erzählt der Film eine erkenntnisreiche Phase auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Anneke Kim Sarnau, die Entdeckung des Films, spielt denn auch jene Klarissa nicht als junge Frau, die sich von den Männern die Welt erklären lassen muss, die aber erkennt, dass sie noch mutiger werden sollte. Die Versöhnung mit der Mutter ohne jeden falschen Schmus, den Augenblick auch mal genießen ohne Reue, aber auch ohne weitere Verpflichtungen. So könnte man die Figur Enno als Medium verstehen, ein Bindeglied zwischen Mutter und Tochter, Symbol für die Annäherung der beiden. „Hältst du es für einen Fehler, ihn zu mögen?“, fragt die Kranke ihre Tochter, die in diesem Moment am liebsten selbst mit diesem Mann schlafen würde. Der Subtext dieser Frage macht selbstredend auch einen Teil der (psychologischen) Spannung des Films aus. Ansonsten sind es die Momentaufnahmen, menschlich echte, alltagsnahe Situationen, die man mitnimmt aus diesem Film: Wenn Hannelore Elsner Waltrauts Traurigkeit darüber, dass sie die wichtigste Partie ihrer Handball spielenden Tochter (die Mutter hat sie einst in den Verein geschickt) nicht mehr wird miterleben können, allein mit einem wissenden Blick beantwortet; oder wie die Frauen alte Fotos anschauen und die Mutter sich sehr wohl an Vieles erinnern kann (was dem Eindruck der Tochter widerspricht, Waltraut habe sich nie für sie interessiert) und plötzlich jeden Sarkasmus sein lässt, statt dessen sanft wird, mild und den Tod anzunehmen vermag.

Ende der Saison
Seit „Ende der Saison“, dem ARD-Fernsehfilm, mit dem Stefan Krohmer (Foto) und Autor Daniel Nocke das Genre TV-Drama in seiner herkömmlichen Form mächtig aufgemischt haben und zu einem Paradigmen-Wechsel in der deutschen Fernsehdramaturgie beitrugen, wurden die beiden über die Jahre ein eingespieltes Team.

Für „Ende der Saison“ gab es 2002 Grimme-Preise in Gold: für Autor Daniel Nocke, Regisseur Stedan Krohmer, für Anneke Kim Sarnau & Hannelore Elsner.

„Selten wurde man wachen Auges so sehr in eine Situation gezogen, selten, urteilte ein Kritiker, brachte uns ein Fernsehfilm Menschen so nahe, ohne ihnen zu nahe zu treten. Seine Einsichten setzt ‚Ende der Saison’ beiläufig in Szene, verpackt in Halbsätze oder in eine Sekunde der Irritation. Auf erlösende Erklärungen wartet man vergebens. Der dichten Handkamera, die alles registriert, tritt ein herausra-gendes Schauspielerensemble entgegen.“ (aus der Begründung)

„Ähnlich wie bei Andreas Dresens Film „Die Polizistin“ … vermitteln vor allem die Schauspieler die ‚Echtheit’ ihrer Figuren. Entweder hat Regisseur Stefan Krohmer lange mit seinen Darstellern geprobt, oder sie hatten viel Freiraum zum Improvisieren. Die Dialoge wirken in der Tat oft so spontan (und dadurch natürlich), als seien sie gerade im Moment entstanden.“ (tpg. in epd medien)

Die „Inszenierung“ von „Ende der Saison“ war 2001 eine Herauforderung für viele TV-Kritiker, die bisher noch keine Erfahrung hatten mit exzessiver Handkamera, einer extrem ausschnitthaften Handlungsführung, die auf verbindend-verbindliche Einstellungen zwischen zwei Szenen verzichtete, mit authentisch verwaschenem Ton und mit einer Montage, die dem Raum um die Protagonisten wenig Aufmerksamkeit zu schenken schien. Diesen psycho-physischen Realismus, der der dänischen Dogma-Ästhetik ähnelte, nahm Krohmer in seinen folgenden Filmen wieder zurück und experimentierte im Rahmen eines raumzeitlich orientierten Konzepts von Realitätsabbildung. So kam das Systemische der dargestellten Beziehungen, die interaktionistisch sorgfältigen und dialogisch ausgeklügelten Drehbücher von Daniel Nocke, noch besser zur Geltung. War „Ende der Saison“ auch kein großer Erfolg beim Zuschauer beschieden, so ist der Film – gemeinsam mit Andreas Dresens „Die Polizistin“ – der dramaturgisch und filmästhetisch einflussreichste Film der Neu-Zeit des Fernsehfilms, die mit dem neuen Jahrhundert beginnt. Beide TV-Produktionen haben einen Paradigmenwechsel im Fernsehfilm in Gang gesetzt. TV-Dramen verzichteten in den 2000er Jahren zunehmend auf überzogene Dramatik, auf Plot-Klischees und gestelzte Fernsehspiel-Sprache, dafür wurde die Psychologisierung mit Hilfe einer sehr beweglichen Kamera zu einer gängigen Erzähltechnik. Bei Krimis oder Krimidramen trägt diese Form der Bildgestaltung häufig zur Emotionalisierung des Zuschauers bei. In Krohmers Langfilm-Erstling ist das anders. Der Zuschauer bekommt den Ausnahmezustand, in denen sich die Figuren befinden, hautnah zu spüren, aber er dürfte sich gewöhnen an diese „Tyrannei der Intimität“ (um einen Begriff zu wählen, den Tilmann P. Gangloff in seiner Kritik in epd medien verwendet hat), genauso wie sich die Heldin an ihre Lage gewöhnt und sich nicht das Gegenteil auf mackerhafte Weise von „Enno“ (das war auch der Atbeitstitel) einreden lassen muss. (Text-Stand: 20.7.2017)

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Fernsehfilm

BR

Mit Anneke Kim Sarnau, Hannelore Elsner, Christian Brückner, Devid Striesow, Uli Krohm, Marlen Diekhoff, Daniel Nocke

Kamera: Gunnar Fuß

Szenenbild: Thilo Mengler

Kostüm: Silke Sommer

Schnitt: Stefan Krumbiegel

Produktionsfirma: TeamWorx

Produktion: Doris Zander

Drehbuch: Daniel Nocke

Regie: Stefan Krohmer

EA: 21.11.2001 20:15 Uhr | ARD

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