Bei Emmas Radiosendung meldet sich Katharina Holl (Corinna Harfouch), eine Frau, die in der Öffentlichkeit unter dem Namen „Frau Hölle“ bekannt ist. Von den Boulevard-Medien wird sie als Schuldige eines tragischen Unglücks an den Pranger gestellt: Zwölf Menschen, darunter viele Kinder, starben, als das Dach eines Hallenbades unter einer ungewöhnlich hohen Schneelast einstürzte. In wenigen Tagen beginnt der Prozess. Sie habe sich entschieden, sagt Katharina Holl im Radio. „Und jetzt ist alles ganz leicht.“ Vor ihr auf dem Tisch hat sie aus Tabletten das Wort „Hölle“ gebildet, während des Gesprächs schluckt sie eine Pille nach der anderen. Emma schafft es, ihr den Suizid vorerst auszureden, zumindest bis sie mit einem Therapeuten gesprochen hat. Wenig später sieht man sie beim Hausbesuch, bei dem Katharina Holl unmissverständlich klar macht, dass sie keinesfalls an dem Prozess teilnehmen werde: „Ich entscheide, ob ich schuldig bin oder nicht.“ An der Wand hängen Zeitungsausschnitte mit den Fotos der Opfer. Auch Drohbriefe sind darunter, in denen ein Unbekannter zeichnerisch ankündigt, dass er „Frau Hölle“ zu erschießen beabsichtigt.
Foto: SWR / Johannes Krieg
Der zweite Fall mit Katja Riemann als Radio-Therapeutin verlässt wieder den im Fernsehen ziemlich ausgelatschten Krimi-Pfad, auf den sich noch die Premieren-Folge begab. Aber auch in „Frau Hölle“ gibt es etwas aufzuklären: Wie kam es zu dem Unglück? Wer hat was getan – oder etwas unterlassen? Die Fragen werden jedoch nicht in Form einer Polizei-Ermittlung oder eines Gerichts-Kammerspiels aufgeworfen, sondern als ein nicht minder spannendes Drama, das ins Innere der Protagonisten blickt, das von persönlicher Verantwortung und dem Umgang mit Schuld handelt. Neben Ingenieurin Holl, die als von der Stadt bestellte Prüferin den Pfusch am Bau nicht bemerkt oder jedenfalls nicht moniert hatte, klopft Emma dem mitangeklagten Bauunternehmer Marc Warendorf (Christoph Bach) auf die Finger… Klingt nach einem düsteren Dialog-Stück, doch da ist die Titelfigur vor, die bei der ersten Folge noch „eingesperrt“ war in die Tankstelle, den Ort der Geiselnahme. Bei „Frau Hölle“ nun zeigt Katja Riemann, wie beweglich und geradezu fröhlich sie diese Lebenskünstlerin interpretiert.
„Ihre Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihrem exzeptionellen Lebensstil, der letztlich am Rand der Gesellschaft stattfindet, das gefällt mir, das möchte ich mehr. Wir wollen doch von vergrößerten Figuren erzählen, nicht von den Leuten nebenan, ich zumindest möchte das“, sagt Katja Riemann über Emma. Und diese „Vergrößerung“ wird hier konsequent betrieben. Emma ist so ziemlich das Gegenteil einer „bürgerlichen Existenz“, sondern ein Kosmos für sich. Sie lebt in einem Wohnwagen auf einem Campingplatz, haut gemeinsam mit dem befreundeten Papa (Tony Harrisson Mpoudja) aus Senegal Passanten beim Taschen-Verkauf über die Ohren, oder schleppt den amtsmüden Oberbürgermeister Klaus Quade (Peter Sattmann) nach einem Golfturnier mit dem Fahrrad ab. „Sie sind nicht von hier, oder?“, wird sie von Warendorf gefragt. „Ach, ich bin von überall“, antwortet sie. Zur Not stürzt sie sich auch überall hinein, und sei es in den Rhein, um schneller ans Ziel zu gelangen. Deutlicher kann man nicht erzählen, dass sie immer den direkten Weg nimmt.
Foto: SWR / Johannes Krieg
Diese Überhöhung als unkonventionelle Figur, die gerne barfuß läuft und sich in exotische Gewänder hüllt oder bunte Tücher um den Kopf wickelt, wirkt etwas dick aufgetragen. Ihre betont offene, spontane und schlagfertige Art kommt dem Film aber auch zugute, nicht nur in den erfrischenden Dialogen. Als Therapeutin geht Emma die Probleme unberechenbar und trotz einer zum Teil herben Ansprache („Die Leute pissen auf Ihr Grab“) voller Empathie an. Ihre Methoden sind flexibel. Auf die Frage, was man jemandem, der sich vom Berg stürzen will, zuerst nimmt, den Willen oder den Berg, antwortet sie mal so, mal so. Emma wirkt nicht immer sympathisch und schon gar nicht wie eine professionelle Therapeutin, verströmt aber Wärme und Lebensfreude. Neben der dominanten Riemann in der raumgreifenden Titelrolle gehen die Nebenrollen etwas unter, bleiben aber präsent und interessant. Vor allem von Andreas Schmidt, dessen Redakteursfigur mal nicht, wie sonst häufig, karrieregeil und opportunistisch ist, darf man noch einiges erwarten. Die Episoden-Rollen sind mit Corinna Harfouch, Christoph Bach und dem stark aufspielenden Peter Sattmann (1990-98 Riemanns Lebenspartner) bestens besetzt; etwas klischeehaft nur die Figur des Senegalesen Papa, der hier als fröhlicher Schwarzer die Titelfigur garniert. Das auch im zweiten Film angedeutete Märchenmotiv wird durch einige fantasievolle Ideen in der Bildgestaltung aufgegriffen, ohne dass es mit Frau Holle übertrieben würde. Bemerkenswert auch, wie Inszenierung und Schnitt zwei Gespräche Emmas mit Holl und Warendorf eindrucksvoll ineinander fließen lassen. Und bei der Musik findet sich mit Scott Walkers „Farmer in the City“ und „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß eine ungewöhnliche Mischung für einen Fernsehfilm.
Eingerahmt ist die Handlung in eine Episode aus Spanien: Barbara Patzeck (Karoline Eichhorn) trifft bei ihrer Ankunft in Emmas Finca auf einen jungen Mann, der zuerst einmal flieht, später aber wiederkommt und Barbara in seine Gewalt bringt. Es ist nicht schwer zu erraten, um wen es sich handelt. Die Sache zieht sich und erscheint auch nur bedingt glaubwürdig, wenn man bedenkt, dass es am Ende nur um einen telefonischen Kontakt geht. Etwas umständlich erfährt man auf diese Weise wieder ein Stück mehr über Emmas (oder Barbaras?) Biografie.