„Ich hatte vergessen, wie scheußlich es hier ist“, sagt Ella kurz nach ihrer Ankunft in Südafrika. Hier, auf einer Rooibosfarm, ist die Hamburger Hirnforscherin in Zeiten der Apartheid aufgewachsen. Zur Beerdigung ihrer Schwester ist sie jetzt zurückgekehrt. Sie hat das Land ihrer Kindheit in schlechter Erinnerung. Ihre Jugendjahre wurden überschattet von ihrer tragischen Liebe zu einem Schwarzafrikaner. Nach 40 Jahren Verdrängungsarbeit zieht nun die Vergangenheit vor ihrem inneren Auge wieder auf: die unbeschwerten Jahre mit ihrer Schwester und der schwarzen Freundin Saartjie, die heimliche Liebe zu Ben, das Versteck-Spielen vor der Polizei. Sie erinnert sich, wie er vor ihren Augen zusammengeschlagen und verhaftet wurde. Eigentlich will Ella so schnell wie möglich wieder nach Deutschland, doch Formalitäten halten sie vom Rückflug ab – zunächst, doch dann spürt sie mehr und mehr, dass sie noch nicht fertig ist mit diesem Land. Sie hat ein Trauma, sie hat ein Geheimnis.
Eine reife Frau kehrt zu ihren eigenen Wurzeln auf einen Kontinent zurück, der zugleich Wiege der Menschheit ist. Hannelore Hoger ist nicht Christine Neubauer, Rolf Laasgard nicht Francis Fulton-Smith und „Ellas Geheimnis“ ist nicht die 99. Afrika-Schmonzette im sonnig gelben Licht der Rooibos-Felder. Es ist eine universale Geschichte mit politischer, biografischer Grundierung und authentischen, kraftvollen Figuren. Parallel zur Vergangenheitsbewältigung der Heldin gerät auch die historische Vergangenheitsbewältigung in den Blick – und das überraschend klischeefrei und differenziert. Mag in der überaus stimmungsvollen Inszenierung mit ihren lichtdurchfluteten, präzise komponierten Bildern immer auch ein Stück weit Afrika-Romantik mitschwingen, so zeigt doch der Film von Rainer Kaufmann, dass die Wunden der Rassentrennungspolitik längst nicht verheilt sind. Man spürt, dass der Stoff für die Autorin Stefanie Sycholt, die in Pretoria geboren wurde, eine Herzensangelegenheit ist. Nie wird die Geschichte mit Dramaturgie überfrachtet. Das Drama schält sich nach und nach aus der Historie heraus. Die Handlung heute und die eingestreuten Erinnerungsszenen von damals laufen parallel, bis Ellas Geheimnis kein Geheimnis mehr ist. Und die Bilder haben nicht nur einen Schauwert, sie besitzen auch Öffnungen, in die der Zuschauer eindringen kann.
„Alles ist politisch“ war ein beliebter Glaubenssatz der 1970er Jahre. „Gefühle sind alles“, diese Formel gilt seit der letzten Dekade, insbesondere auch im Fernsehfilm. „Ellas Geheimnis“ zeigt, wie sich beide Ansätze anspruchsvoll und für ein großes Publikum verbinden lassen. Hoger mal nicht als Bella Block im verregneten Hamburg – warum nicht?! Gerade weil man ein anderes Bild von ihr hat, passt diese Schauspielerin so gut in ein Afrika, in das ihre Figur eigentlich nicht gehören will. Hoger in der Totalen mit Kleid und Damenschuhen in der südafrikanischen Pampa – das ist die Bild gewordene Reserviertheit. Später geht die Kamera immer näher an Hogers Ella ran: Sie gibt den Widerstand auf, die Tränen rinnen und sie zerfließt in den Armen ihrer schwarzen Freundin. Auch alle anderen Schauspieler (physisch extrem präsent: Amelie Kiefer als Wildfang Ella im Teeanger-Alter) passen sich wunderbar ein in dieses exotische Familiendrama. Ob sich das ZDF auch an diesen Stoff gewagt hätte, wenn nicht dieses Jahr die WM in Südafrika stattfinden würde?!