Ein Mann zwischen zwei Frauen – und nur ein Bauch wird immer runder
Eine „Familie“ neun Monate lang in heller Aufregung: Nachwuchs wird erwartet. Aber nicht Roman (Benno Fürmann) und Ariane (Katharina Schüttler), das erwachsene Paar, das sich so sehr ein Kind wünscht, sind die Glücklichen, sondern die 16-jährige Ella (Tijan Marei) ist die Unglückliche. Der junge Mann, der sie beim Sprachkurs in Frankreich geschwängert hat, ist nicht mehr ausfindig zu machen. Ella, die nicht abtreiben will, hat sich ohnehin entschlossen, das Kind nach der Geburt zur Adoption freizugeben. Während sie zunehmend besser mit der Schwangerschaft zurecht kommt, versuchen ihr Vater und Ariane weiterhin vergeblich, ein Baby zu bekommen. Bei Ariane nimmt der Wunsch, ein Kind mit ihrem Traummann zu haben, manische Züge an; so wird die Lage im an sich lockeren Dreierhaushalt immer angespannter. Bei den Frauen sind mehr Eifersüchteleien im Spiel, als sie sich eingestehen wollen – und der Hahn im Korb versucht alles, kann es aber seinen Grazien auf Dauer nicht recht machen. Und dann stirbt auch noch der von Ella so sehr geliebte Großvater (Franke).
Tanz der Hormone, Verlustängste und die stille Reifung einer jungen Frau
Eine „vernünftige“ Lösung liefert die Konstruktion der Geschichte ja von Anfang an gleich mit. Das Trio in der außergewöhnlich frischen ARD-Dramödie „Ellas Baby“ kommt allerdings überraschend spät, erst im Schlussdrittel, zu dieser möglichen Patchworkfamilien-Variante, die aber ohnehin an der von Mutterschafts- und Verschmelzungsmythologien besessenen erwachsenen Frau im Bunde zu scheitern droht. Der Film von David Dietl erzählt vom Tanz der Hormone, von Verlustängsten und von der stillen Reifung einer jungen Frau. Diese Ella ist von Anfang an nicht dieser Teenager im Dauermotzmodus, wie er in anderen Fernsehfilmen und Serien an der Tagesordnung ist. Für diese Hauptfigur musste ihr Drehbuchautorin Elena Senft („Bad Cop – Kriminell gut“) existentiellere Züge geben. Und so ist diese junge Frau zwar unverkennbar gerade erst der Pubertät entkommen, aber sie ist als Einzelkind eines lange Zeit alleinerziehenden Vaters von Anfang an relativ selbstständig. Die Art und Weise, wie nun gleich schon wieder die Hormone die Oberhand über den Körper der Postpubertierenden gewinnen, das wird überaus feinfühlig und ohne überlaute emotionale Ausbrüche erzählt. Tijan Marei (21) verkörpert diese Findungsphase vor allem realitätsnah: anfangs noch mit diesem typischen Unterton zwischen cool, blasiert und etwas unverständlich – so wie ihn Girlies ihres Alters häufig an den Tag legen. Doch mit dem Abschied von der Freundin, die Ellas Basketball-Stipendium für die USA übernimmt, weicht dieser egozentrische Tonfall einer introvertierten Neugier. Der Film zeigt nun auch im Detail überaus präzise, wie die neue körperliche Erfahrung das Mädchen in mehrfacher Hinsicht zur Frau werden lässt.
Realität, Alltag und jede Menge wechselnde Ton- und Stimmungslagen
Den schwankenden Stimmungslagen der Titelfigur, bei der sich während der Schwangerschaft ja auch die Beziehung zu ihrem Kind ständig verändert, und der zunehmenden Hysterie ihrer „Rivalin“ entsprechen die wechselnden Tonlagen innerhalb der 90 Minuten: Mal geht es locker und fluffig zu, dafür sind vor allem die beiden Männer zuständig, mal übernimmt das Tragikomische (beim Auftreten der Großfamilie mit Fremdschäm-Momenten) das Spiel; nur komisch wird es, wenn der mitteilungsbedürftige Roman seinen Fahrschullehrer mit seinem Friseur verwechselt oder mit dicken Sympathie-Punkten durch die Prüfung fällt. Dass er einen Hund überfährt, das wäre allerdings vor zehn Jahren am Degeto-Freitag noch unvorstellbar gewesen, erst recht nicht mit dem Satz: „Der war schon echt alt.“ Wenn die Frauen den Ton angeben, wird es deutlich ernsthafter: „Du bist dick, schlecht drauf, hast keine Freunde“, bringt Ella ihre letzten Monate auf den Punkt und lässt Ariane anschließend zärtlich ihren Bauch streicheln und abhorchen. Eine Szene, in der sich der unterschwellige Konflikt der beiden Konkurrentinnen wunderbar spiegelt. Dass diese Szene im Bad stattfindet, Ella zuvor im Beisein der sichtlich unzufriedenen Ariane in Echtzeit pinkelt, ist zudem ein Beispiel dafür, wie sehr doch Drehbuch und Regie an Realität und Alltag interessiert sind, anstatt sich zu sehr auf narrative oder filmästhetische „Tricks“ zu verlassen.
Statt Genre-Emotionen dominieren Gefühle, die die Figuren charakterisieren
Einen entscheidenden dramaturgischen Eingriff unternimmt Elena Senft allerdings dann doch – und der sorgt nach einer knappen Stunde für einen gewaltigen Emotionsschub. Dieser Eingriff (der an dieser Stelle noch nicht verraten werden soll) wirft noch einmal ein anderes Licht auf den Vater und erklärt im Nachhinein auch das rasche Umschwenken von seinem wütenden „klar, wir vögeln einfach rum, ohne Verhütung, weil: wir können’s ja wegmachen lassen!“ zum versöhnlichen „Du hast einen Fehler gemacht und ich war sauer; du bist 16, da macht man Fehler.“ Die Emotionen, die im letzten Filmdrittel ins Spiel kommen, sind keine aufgesetzten Vorboten des Happy Ends, es sind tiefe Gefühle, die uns viel über die Figuren sagen. Die letzte Geste des Großvaters – wie er seinem Sohn, an dem er immer etwas auszusetzen hatte, mit einer einzigen Berührung seine Anerkennung zollt. Oder auch Ellas reife Reaktion auf die gut gemeinte Lüge ihres Vaters. Daraus keinen Konflikt zu machen, sondern die Heldin erwachsen mit der Lüge umgehen zu lassen, an solchen Grundsatz-Entscheidungen zeigt sich die besondere Qualität des Drehbuchs. Die Vorlage findet in David Dietl einen Regisseur, der sie kongenial umsetzt, indem er und sein Kameramann sich ganz auf die Figuren konzentrieren. Bei Mathias Schöningh sieht man die große Erfahrung, die er in Kinodramen wie „Scherbenpark“, in Commercials oder einer Comedy wie „Der Tatortreiniger“ gewonnen hat. Innenräume dunkelt er geschmackvoll ab, er arbeitet gern mit Farb- und Hell/Dunkel-Kontrasten und so bereichert gelegentlich ein atmosphärisches Goldener-Herbst-Ambiente die Interaktion im Bildzentrum. Der Look insgesamt wirkt geschmackvoll, edel, besitzt Stil. Man spürt die junge Handschrift auch bei der Musik: der sparsame Score akzentuiert einige wenige Momente, gelegentlich wird auch ein ohrwurmig-luftiges Easy-Listening-Motiv stimmungsvoll über die Szenen gelegt. Bei Filmen, die kein dramatisches Fallhöhengewitter aufziehen lassen, fallen Missklänge im Detail besonders unangenehm auf. Bei Dietls erstem Primetime-Movie gibt es so gut wie nichts zu mäkeln.
Stimmige Besetzung: Es geht auch, ohne sich beim Zuschauer einzuschleimen
„Ellas Bauch“ ist kein gefälliger Film. Dafür sind die Figuren zu eigenwillig, besonders die beiden Frauen lassen sich nicht von den überkommenen Regeln des Unterhaltungsfilms domestizieren. Lässt die Schwangerschaft Ella zunehmend sanfter und ausgeglichener erscheinen, macht das aus ihr – Dank des abwechslungs- und nuancenreichen Spiels von Tijan Marei – aber noch lange keine herzallerliebste Identifikationsfigur. Bei Katharina Schüttlers Ariane geht die Entwicklung in die andere Richtung: Sie wirkt im Verlauf der Handlung immer spröder und kantiger. Die hyperaktive Zahnärztin bewegt sich am Rande des Nervenzusammenbruchs; die Rolle ihrer Figur im Liebesdreieck ist allerdings auch zwischenzeitlich ziemlich undankbar. Die renommierte Theaterschauspielerin nimmt wenig Rücksicht auf die Konventionen des realistischen TV-Spiels; in ihrem hysterischen Komödiantentum erinnert sie mitunter an Andrea Sawatzki in jungen Jahren. Massentauglich gibt sich dagegen einmal mehr Benno Fürmann, der wie gemacht scheint für diese modernen Beziehungspartner und Familienväter, die in launigen Dramödien zwischen grundentspannt („Neu in unserer Familie“) und neurotischer Alarmbereitschaft („Weniger ist mehr“) zu chargieren verstehen. Nicht nur die Titelheldin hat ein Faible für knappe Ansagen („Ich treib’s nicht ab“), auch Fürmanns Frauenversteher liebt es kurz & aufmunternd und Autorin Senft lässt ihn sogar schon mal Sätze der Zeitgeschichte variieren: „Wir kriegen das hin.“