Wer ist mit wem zusammen, wer nicht mehr oder vielleicht ja doch noch? Ella (Annette Frier) und Christina (Julia Richter) müssen sich und ihre Beziehungen neu sortieren. Dabei geraten sie immer mal wieder aneinander, weil jeder der beiden glaubt, dem anderen Liebesratschläge geben zu müssen. Ella lotet nach der Trennung von Jannis (Josef Heynert) ihre Gefühle zu Kung-Fu-Trainer und Surf-As Arndt (Oliver Stein) aus, und Christina hat heimliche Schäferstündchen mit ihrem Ex Nils (Marc Ben Puch). Dass für beider Sohn Ben (Oscar Brose) die Berlinfahrt nach bestandenem Abitur mehr wird als eine einmalige Spritztour – das macht Christina, aber auch ihrer Tochter Klara (Zora Müller) schwer zu schaffen. Die Jüngste fühlt sich momentan ohnehin von allen alleingelassen, auch von Ella, die ihr bei einem juristischen Fall um ein verletztes Therapiepferd, das zum Schlachter soll, zunächst nicht helfen will. Zwischendurch sind die beiden ungleichen Freundinnen emotional so sehr durch den Wind, dass sie es sogar für möglich halten, ineinander verliebt zu sein. Es ist aber auch zu blöd! Endlich scheint auch Arndt für eine Beziehung bereit zu sein, da muss er ausgerechnet vier Wochen dringend nach Süddeutschland. Ella wird nervös. Sie kennt ja dieses Muster nur zu gut: Erst hat ihr Ehemann sie mit Christina lange Zeit betrogen, und dann hat Jannis bei einem Griechenlandaufenthalt gleich mal eine alte Bekannte geschwängert.
Foto: ZDF / Rudolf Wernicke
Sterne-Bewertumg im Detail: „Das Glück der Erde“ bekommt 4,5 Sterne, „Freischwimmer“ fette 5 Sterne und „Seitensprünge“ hauchzarte 5 Sterne.
„Ella Schön“ geht in die letzte Runde. Da ist noch mal richtig was los auf Fischland, vor allem aber bei der Titelfigur. Denn Ella ist mehr denn je bereit, in ihrem Leben etwas zu verändern und mehr zu wagen als bisher. Das fängt in der ersten Episode „Das Glück der Erde“ mit den schönen kleinen Dingen des Lebens an, denen sie bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat: eine Nacht auf einer Wiese am Waldrand, ein glitzernder Sternenhimmel, barfuß durch eine morgendlich frische Wiese gehen. Etwas grundlegender schon ist die Erkenntnis, dass Pferde nicht länger „zu groß und zu unberechenbar“ sind, sondern dass sie auch therapeutisch Wunder wirken können. In der Episode „Freischwimmer“ erkennt die ängstliche Immer-noch-Referendarin, dass sie eigentlich gar nicht so schlecht schwimmen kann. Wenn da nur nicht diese Angst wäre! Bei einer Schwimmlektion mit Christina geht Ella unter, es zieht sie hinab, sie kann nichts dagegen tun. Ein eindringliches Bild, das auch die anschließende Rettung zeigt: die ausgestreckte Hand der besten Freundin, die sie nach oben zieht. Vielleicht DAS Sinnbild der mittlerweile elf „Ella Schön“-Episoden. Und dann wagt sich die Frau, für die Lachen und Lust Fremdwörter sind, sogar noch aufs Surfbrett – und gibt dabei durchaus eine passable Figur ab. Dass sie es tut, um dem Mann ihres Herzens zu imponieren und nicht, weil es ihr Spaß bereitet, das passt zu ihrem (zwanghaften) Charakter. Erfolge jedenfalls motivieren sie – und so wagt sie sich in der Episode „Seitensprünge“ an ihre Abschlussprüfung, an ihren ersten eigenen Fall als Anwältin und an eine Freundschaft mit einer anderen Außenseiterin. Ella lernt also. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Im Rahmen einer Asperger-Persönlichkeit.
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Alles, was in den bisher vier Artikeln zu „Ella Schön“ geschrieben wurde, gilt auch für die neuen und letzten drei Episoden. Alle Stärken dieser ZDF-„Herzkino“-Ausnahme-Reihe finden sich auch im Finale: die Dominanz der privaten Geschichten über die juristischen Fälle, die zumeist aus dem Umfeld der Hauptfiguren resultieren, der Wert, der dem Alltäglichen beigemessen wird, der Verzicht auf (künstlich aufgebauschte) Dramen. Die wahren Dramen finden in dieser Reihe im Inneren der Hauptfigur statt. Deshalb gibt es immer wieder sehr gelungene Versuche, etwas von Ellas Seelenleben ikonografisch auf die Bildebene zu spiegeln: die strenge Frisur, der ernste, angespannte Blick, ihre akkurate, in Form und Farbe reduzierte Kleidung. In den neuen Episoden greift die Heldin zum Diktiergerät, um ihr inneres Chaos in Herzensfragen zu sortieren. Das klingt dann im Falle Jannis so: „Schwindel, Verwirrung, Unsicherheit nach Begegnung. Möglicherwiese doch stärkere Betroffenheit nach Trennung als vermutet.“ Und zu Arndt hält sie fest: „Tag 26. Bekämpfung Liebeskummer. Rückzugs-Strategie funktioniert nicht. Gedanken an ihn führen zu größerer innerer Unordnung. Das bewusste Weglassen dieser Gedanken führt zu noch größerer Unordnung.“ Diese Methode entspricht einer Heldin, der Face-to-Face-Kommunikation, etwa ein klärendes Gespräch, schwerfällt. Die Sprachaufnahmen sorgen auch für Erheiterung. Im Film ist diese Variante zudem eine schöne Ergänzung zu den stummen Szenen, in denen man dieser „komischen ernsten Frau“ zuschaut, wie sie beispielsweise ein Foto von Arndt und sich vom Sideboard nimmt, in ein Schubfach verstaut und es Tage später wieder aufs Sideboard zurückstellt.
Foto: ZDF / Rudolf Wernicke
Soundtrack: US3 („Cantaloop“), Dave Brubeck Quartet („Take 5“), Adriano Celentano („Azzurro“), Al Bano & Romina Power („Felicita“)
Es wird so schnell sicherlich keine ebenso gute ZDF-Sonntagsfilmreihe geben. Die Liste der Pluspunkte ist lang (und kann durch die anderen vier Kritiken zur Reihe – 2018 / 2019 / 2020 / 2021 komplettiert werden). „Ella Schön“ kann mit Annette Frier punkten, die mit ihrer hoch konzentrierten Performance einer Frau mit besonderer „neurologisch bedingter Wesensart“ zumindest im Rahmen des deutschen Unterhaltungs-TV jetzt schon Fernsehgeschichte geschrieben hat. Und Julia Richter liefert als Christina das perfekte Gegenbild zu diesem manisch strukturierten Kopfmensch: sympathisch auf den ersten Blick, nahbar, herzlich, spontan und ein bisschen chaotisch. Es spricht für die Schauspielerinnen, dass die Gegensätze in dieser Reihe nie wie die üblichen Drehbuch-Setzungen wirken. Aber es spricht auch für Elke Rössler und Simon X. Rost. In dieser Reihe, in der sich die Charaktere und Konflikte entwickeln, stärkt das eingespielte Autorenduo den horizontalen Flow. Außerdem missbrauchen die beiden das Asperger-Syndrom nicht, sie geben sicher keine klinisch korrekte Variante wieder, dafür sensibilisieren sie klug und konsequent für dieses „Anderssein“. Eine unkonventionelle und unversöhnliche Figur wie Ella Schön, die auf gesellschaftliche Konventionen ohne eine Miene zu verziehen pfeift, weil sie nicht anders kann, muss Spuren in der Narration hinterlassen. Ein Happy End klassischer Prägung kann es mit einer wie ihr nicht geben. Was für eine Wohltat. Man wähnt sich mitunter fast in einer Meta-Wohlfühlreihe.
Foto: ZDF / Rudolf Wernicke
An „Ella Schön“ lässt sich erkennen, was serielles Erzählen in einer Unterhaltungsfilmreihe heißen kann, wenn es gut gemacht ist. Es ist ein Unterschied, ob eine Figur in einem 90-Minüter im Schlussdrittel zur Läuterung läutet, oder ob eine Figur nach acht, neun Episoden es systematisch anzugehen versucht, mehr Mut zu zeigen und weniger Angst vor Veränderungen zu haben, nachdem sie zuvor nur in kleinen Lernschritten vorangekommen ist. Was in Einzelstücken oft mit Hilfe von 08/15-Dramaturgie und lebensbejahender Kalendersprüche gelöst wird, dem steht hier ein mitunter schmerzhafter Lebensweg gegenüber, der nach vielen unterhaltsamen Filmstunden in einer glaubwürdigen Erkenntnis gipfelt. Das spricht nicht prinzipiell für Reihe. Filme am Freitag im „Ersten“ zeigen, dass es klischeefrei und weniger genrekonform auch in Einzelfilmen geht, während Reihen wie „Der Ranger“, „Praxis mit Meerblick“ oder „Reiterhof Wildenstein“ so gut wie immer dasselbe erzählen. Das spricht für eine Reihe wie „Ella Schön“. Dass der Wunsch nach mehr Leben aus dem wiedererlangten Gefühl der Liebe zu einem Mann heraus entsteht, macht diese wunderbare Reihe über eine ungewöhnliche Frauenfreundschaft am Ende dann doch noch zu einem Stück „Herzkino“. Wer allerdings in ein paar Jahren an die Reihe zurückdenkt, für den sind Christina, die in der letzten Episode am Anfang und am Ende als Erzählerin auftritt, und ihre „komische beste Freundin“ DAS Paar von „Ella Schön“, unabhängig davon, was oder was nicht in jener alkoholdurchtränkten Nacht („Warum seid Ihr nackt?“) passiert ist. (Text-Stand: 27.3.2022)