Ella Schön – Die Inselbegabung / Das Ding mit der Liebe

Annette Frier, Julia Richter, Rost/Rössler, Maurice Hübner. Vorsicht vor Leuten

Foto: ZDF / Stephanie Kulbach
Foto Rainer Tittelbach

Die ZDF-Sonntagsreihe „Ella Schön“ (Dreamtool Entertainment) ist anders. Das liegt daran, dass auch diese Ella Schön anders ist. Sie ist offen, ehrlich, sagt, was sie denkt, ist allerdings beziehungsunfähig, leidet unter dem Asperger-Syndrom. Sie ist eine Zumutung für ihre Umgebung und eine Herausforderung für das „Herzkino“, vor allem aber ein Glücksfall für diese Reihe, die dem grassierenden Helfersyndrom im öffentlich-rechtlichen Dramödien-TV eine intelligente Abfuhr erteilt. Und statt Romantik rücken Freundschaft & Gemeinschaft ins Zentrum: Auch die Frau an der Seite der schroffen Autistin besitzt sympathischen Eigensinn. Annette Frier, die hier eine absolute Anti-Danni-Lowinski grandios verkörpert, und Julia Richter sind ein perfektes ungleiches Paar. Für 08/15-Läuterung und -Versöhnung ist hier kein Platz. Die Dialoge sind knapp & knackig, die Bildsprache klar, die visuellen Lösungen kreativ: Auf dem Regie-Stuhl saß der 32jährige Maurice Hübner („Blaumacher“). Die Heldin seziert menschliche Gemeinplätze, die Filme zerlegen die Bausteine des Wohlfühlgenres. TV-Inklusion mal anders: Hier ist die „Gestörte“ die Hauptfigur; sie vertritt sich quasi selbst!

Eine emotional gestörte Frau trifft auf die Zweit-Frau ihres verstorbenen Mannes
Es ist nicht schön, aus heiterem Himmel erfahren zu müssen, dass der Ehemann mit einer anderen Frau jahrelang eine Zweit-Ehe geführt und sogar ein Kind mit ihr hat und bald ein zweites hätte, wenn er nicht vor einigen Monaten tödlich verunglückt wäre. Vielleicht hätte die Frankfurterin Ella Schön (Annette Frier) ja nie etwas von der anderen Frau, Christina Kieper (Julia Richter), die auf einer ostdeutschen Halbinsel lebt, erfahren, wenn ihr Mann das Haus seiner Zweitfrau nicht gekauft hätte. Jetzt aber ist die betrogene Ehefrau Erbin der Immobilie, die sie so schnell wie möglich verkaufen möchte. Die hochschwangere Christina aber besitzt mit ihren Kindern (Maximilian Ehrenreich, Zora Müller) lebenslanges Wohnrecht. Anwalt Kollkamp (Rainer Reiners) versucht zu vermitteln, zumal er einen Narren gefressen hat an der sonderbaren Kostümträgerin, die die juristischen Paragrafen besser kennt als er. Also herrscht erst einmal Waffenstillstand zwischen den Frauen. Ella zieht in den Anbau des schnuckeligen Hauses – und obwohl auch die Kinder die sehr spezielle „coole Art“ der neuen Nachbarin zu faszinieren scheint, werden die beiden Frauen nur schwer miteinander warm.

Ella Schön – Die Inselbegabung / Das Ding mit der LiebeFoto: ZDF / Stephanie Kulbach
Eine glückliche Familie. Ella (Annette Frier) braucht eine Weile, bis sie begreift. Ob sie je verzeihen wird? Ein Vorteil jedenfalls könnte ihr Asperger-Syndrom haben: Eifersucht müsste ihr eigentlich relativ fremd sein.

Asperger-Syndrom: Zumutung für die anderen, Herausforderung fürs „Herzkino“
Die neue ZDF-Sonntagsreihe „Ella Schön“ ist anders als die herkömmlichen Dramödien oder Komödien auf diesem Sendeplatz. Das liegt daran, dass auch diese Ella Schön anders ist. Sie ist offen, ehrlich, sie sagt, was sie denkt, ist aber weitgehend beziehungsunfähig. Sie kann Gefühle bestenfalls verstehen, aber nicht wirklich begreifen und (aus)leben. Auch der Code menschlicher Gemeinschaft ist ihr fremd. Sie kann nicht lügen, nicht einmal freundlich sein, wenn sie es mit Menschen zu tun bekommt, die ihr unangenehm sind. Ella Schön leidet unter dem Asperger-Syndrom. Nicht immer schön für die Menschen, die mit ihr zu tun haben, nicht immer schön für sie selbst. Wenn andere über ihre innere Leere klagen, kann sie sich nur wundern: „Ich freue mich, wenn ich mich leer fühle.“ Weil sie nichtsprachliche Zeichen nur schwer entschlüsseln kann, lebt sie in der ständigen Angst, Signale des Gegenübers zu verpassen. Wird es ihr zu viel, sucht sie das Weite. Diese Frau ist eine Zumutung für ihre Umgebung – und eine Herausforderung für den „Herzkino“-Zuschauer, der seine Gewohnheit liebt. Aber gerade das ist der Glücksfall dieser neuen Reihe, die dem grassierenden Helfersyndrom im öffentlich-rechtlichen Dramödien-TV eine intelligente Abfuhr erteilt.

Die Heldinnen emanzipieren sich von den Männern & den romantischen Klischees
Aber auch die kleinen Botschaften zwischen den Zeilen sind mehr als nur sympathisch. Der Mann, der den Frauen das alles eingebrockt hat, wird weder verteufelt noch vergöttert, er fehlt ihnen allenfalls – gelegentlich. Im Großen und Ganzen kommen die Frauen aber ganz gut alleine klar. Dieses sich emanzipieren von Mann und romantischen Klischees ist eine aktuelle Tendenz im leichten Fach („Zimmer mit Stall…“). Und noch ein Trend, der so langsam im deutschen Wohlfühlfilm ankommt: Statt Romantik rücken Freundschaft und Gemeinschaft ins Zentrum. Der Gegenpart der – trotz allem liebenswerten – „Eisschrank“-Heldin ist eine optimistische Strahlefrau, der erst nach der Geburt ihres dritten Kindes die Mehrfachbelastung als Strandcafé-Besitzerin und Mutter auf die Knochen und die Nerven geht. Dieses ungleiche Zweigestirn funktioniert und macht Laune. Das liegt vor allem an Annette Frier und Julia Richter, die aus einem „geschriebenen“ Gegensatz eine filmische Realität machen, die man als Zuschauer selten hinterfragt, obwohl doch einiges an der Situation hinterfragbar wäre (wie kann ein „normaler“ Mann mit einer Frau wie Ella Schön so lange Zeit zusammenleben?). Die eine wirkt wie ein geklonter Mensch, trägt androide Züge, die Haare streng gescheitelt: Ein Alien, gestrandet in Fischland. Die andere begegnet den Menschen, auch dem Zuschauer, mit offenem Blick und ebensolcher Frisur, aufgeschlossen und mit freundlichem Wesen. Und wie reagiert die Titelheldin auf diese verbindliche Art? „Als gesellschaftliches Ritual ist Smalltalk von hoher Bedeutung, verbindet peinliches Schweigen und signalisiert dem Gegenüber die Bereitschaft zum Kennenlernen.“ So ist das: Ella Schön weiß vieles, spürt aber umso weniger.

Ella Schön – Die Inselbegabung / Das Ding mit der LiebeFoto: ZDF / Stephanie Kulbach
Die Liebe ist bei Autistin Ella ein ganz besonders seltsames Spiel. Überfordert ist aber auch der Mann, der sich in den „Eisschrank“ verguckt hat. Heynert & Frier

Die Sache mit dem Sex
Ella: „Thomas ist jetzt seit fünf Monaten, drei Wochen und zwei Tagen tot, und ich habe inzwischen ein großes Bedürfnis nach körperlicher Nähe.“
Jannis (zögerlich): „Okay, klar, hat ja jeder, Bedürfnisse.“
Ella: „Wäre es jetzt möglich, Sex zu haben, oder würde das Ihren Zeitplan durcheinanderwerfen?“
Die Situation aus der ersten Episode wird von Christina gestört. Im zweiten Film gibt es dann eine Szene, die sich auf diesen etwas peinlichen Moment bezieht. Die beiden fahren zusammen im Auto.
Jannis (unsicher): „Und, willst du vielleicht reden?“
Ella: „Reden, warum?“
Jannis: „Naja, weil wir uns geküsst haben. Das ist ja schon ein bisschen was Intimeres.“
Ella (völlig ernst): „Willst du nochmal?“
Jannis (noch verunsicherter): „Ne, danke. Normalerweise lerne ich Leute erst mal kennen, bevor ich mit ihnen rumknutsche.“
Ella: „Macht das einen Unterschied? Fürs Knutschen, mein ich.“
Jannis: “Jaah.“
Ella: „Gut, dann lernen wir uns erst mal kennen. (Pause) Soll ich dafür anhalten?“

Erfrischend anders auch die Dramaturgie: Läuterung & Versöhnung müssen warten!
„Zwei Väter sind besser als keiner“ ist die beiläufige Message des zweiten Beitrags der neuen Reihe, „Das Ding mit der Liebe“. Zu diesem Schluss kommt Episoden-Hauptfigur Josi (liebreizend: Anna Unterberger), eine junge Köchin, der gekündigt wird. Weil sich aber herausstellt, dass sie schwanger ist, muss die Kündigung zurückgenommen werden. Die Parallelen zwischen A- und B-Plot, frischgebackene vs. werdende Mutter, wirken weder ausgedacht noch überkonstruiert, sie sorgen dramaturgisch vielmehr für einen ständigen „Austausch“. Aber auch das Beziehungsproblem der unglücklichen Josi, die sich in einem komplizierten emotionalen Dreieck befindet, aktualisiert ein Stück weit auch das Problem der beiden Heldinnen. Dass ausgerechnet Ella Schön den „Friedensvertrag“ zwischen den zwei rivalisierenden Männern aufgesetzt hat, könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie langsam auch in eigener Sache verstehen und verzeihen kann. Das wäre jedenfalls denkbar. Doch sie ist zu dieser Regelung zwischen den beiden Vätern allein mit Hilfe von Logik und Verstand gekommen. Gefühle sind für sie nach wie vor fremdes Terrain. Da kann sie noch so oft dem liebenswürdigen Elektriker (klasse kumpelhaft: Josef Heynert) unauffällig nachschauen oder seine Homepage auswendig lernen – das Asperger-Syndrom lässt sich nun mal schwer schön plotten oder wegzaubern. Und das ist eine der weiteren großen Überraschungen von „Ella Schön“: Die beiden Filme halten diese „tiefgreifende Entwicklungsstörung“ (Wikipedia) bis zum Ende durch. Über (positive) Erfahrungen Gefühle und vielleicht ansatzweise so etwas wie Liebe zu lernen, ist für AS-Erkrankte nahezu unmöglich. Läuterung und Versöhnung, das Herzstück der meisten Unterhaltungsfilme, kann es – wenn überhaupt – in dieser Reihe, die das ZDF auch bei schwächerer Zuschauerresonanz auf jeden Fall fortsetzen sollte, nicht geben. Ein Hintertürchen haben sich die Drehbuchautoren Simon X. Rost & Elke Rössler dennoch offengehalten. Auch wenn diese Variante des Autismus als angeboren gilt – ist da zwei Mal die Rede von einer traumatischen Kindheitserinnerung mit Wasser. Die Reihe spielt an der Ostsee – und vor allem aus Filmen kennt man ja das Motiv der Retraumatisierung.

Ella Schön – Die Inselbegabung / Das Ding mit der Liebe
Ella findet heraus, dass etwas mit dem Schwangerschaftsattest von Josi (Anna Unterberger) nicht stimmt – und die pedantische Großstädterin findet langsam das für sie tragbare Ostsee-Outfit. Und weil es ihr steht, kauft sie es gleich sieben Mal.

Die Dialoge knapp & knackig, die Bildsprache klar, die visuellen Lösungen kreativ
Aber vielleicht muss es ja ein Happy End gar nicht geben. So könnte in dieser Reihe die Heldin weiterhin den notlügenden Normalmenschen lustvoll den Spiegel vorhalten, könnte mit todernster Miene zur Erheiterung beitragen (wobei die Autoren es nie mit der Komik übertreiben – und die Hauptfigur immer ihre Würde behält). Und so könnte sogar auf ungewöhnliche Weise die Inklusion in die Fernsehunterhaltung einziehen, nicht nur, indem die Geschichte für diese Störung sensibilisiert, sondern vor allem durch den Mut, die Hauptfigur zum Störfaktor für die genreübliche Wohlfühldramaturgie zu machen. Und die Art und Weise, wie hier eine autistische Person ins Bild gerückt wird, ist außerdem höchst sehenswert: ob der Blick in den Spiegel in der ersten Szene von „Die Inselbegabung“, mit dem sich rüsten für den Weg in die Fremde, oder der Einstieg in die zweite Episode mit dem Top-Shot auf den akkurat geordneten Schreibtisch der angehenden Anwältin, die ihr Referendariat beginnt, ob die Zwanghaftigkeit, mit der sich Ella ihr Abendbrot zubereitet und auf dem Teller drapiert. Treffend auch das wiederkehrende Bild: Ella spielt mit sich selbst Tischtennis. Das alles ist in einer klaren Bilsprache vorzüglich eingefangen. Und endlich mal ein luftiger Outdoor-Realismus am Sonntagabend im ZDF statt dieses ewigen touristischen Zuckerbäckerstils der sogenannten Regie-„Routiniers“. Es hat sich also mehr als gelohnt, den erst 32jährigen, Kitsch-unerfahrenen Maurice Hübner („Familie Braun“ / „Blaumacher“) für die Primetime zu engagieren. Und eine Figur in einem „Herzkino“-Film, die kein Wort zu viel sagt – auch das ist eine Wohltat. Und wenn sie spricht und ihren Wissensspeicher abruft, kann das Gesagte jederzeit für eine Überraschung gut sein (selbst wenn man es mit der Zeit erwartet).

Die Heldin seziert menschliche Gemeinplätze, die Filme zerlegen das Wohlfühlgenre
Mit einer solchen Heldin kann auch die Geschichte unerwartete Wendungen nehmen. Da wird dann zwar eine Gerichtsverhandlung gewonnen; emotional aber scheint alles verloren zu sein – und die Heldin versteht nichts. Selbst eine freundschaftsfördernde Maßnahme wie Ellas Beistand bei Christinas Geburt (Säugling Tom ist ja eine Art lebendiges Vermächtnis von Thomas, was mitschwingt in den Situationen, aber nie verbalisiert wird), muss noch lange nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein. Und natürlich ist diese Ella Schön immer gut für köstliche Szenen. Wenn sie beispielsweise noch im größten Stress im Stile eines lebendigen Sachbuchlexikons einem Einheimischen Tipps fürs Finanzamt gibt. Geradezu Kultpotenzial haben ihre erotischen Annäherungsversuche (siehe Kasten). Und mit der messerscharfen Logik, die ihr die Autoren ins Drehbuch geschrieben haben, seziert sie nicht nur allzu menschliche Gemeinplätze, sondern zerlegt damit auch die Bausteine des „Herzkinos“. Damit setzen die beiden ersten Episoden von „Ella Schön“ eine geradezu dekonstruktive Kraft frei. Diese Figur bringt den Zuschauer dazu, das Anderssein zu akzeptieren (oder abzuschalten). Hier wird also nicht wie üblich ein Titelheld & Gutmensch auf irgendeinen Vertreter mit Handicap losgelassen – hier darf sich die schuldlos „Gestörte“ quasi selbst vertreten. Apropos, obwohl es natürlich Parallelen zu Friers Anwaltsserie „Danni Lowinski“ gibt, ist die neue Rolle vom Spiel her das genaue Gegenteil und ist ein radikalter Bruch mit dem, was Frier in ihren Komödien und Dramedys sonst auszeichnet: Von einer, die weiß, wie das Leben läuft, zu einer Frau, die zum Stichwort „emotionale Intelligenz“ bestenfalls den Wikipedia-Beitrag herunterbeten könnte. (Text-Stand: 14.3.2018)

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Reihe

ZDF

Mit Annette Frier, Julia Richter, Rainer Reiners, Josef Heynert, Maximilian Ehrenreich, Zora Müller, Reiner Schöne, Lina Wendel, Tanja Schleiff, Anna Unterberger, Artjom Gilz, Max Radestock

Kamera: Moritz Anton

Szenenbild: Adrienne Zeidler

Kostüm: Anne Jendritzko

Schnitt: Uta Schmidt

Musik: Martina Eisenreich

Redaktion: Corinna Marx

Produktionsfirma: Dreamtool Entertainment

Produktion: Stefan Raiser, Felix Zackor

Drehbuch: Simon X. Rost, Elke Rössler

Quote: Maurice Hübner

EA: 08.04.2018 20:15 Uhr | ZDF

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