Der Freitagabend im „Ersten“ war einst einer der konservativsten Sendeplätze im deutschen Fernsehen. Die Filme, gern mit Christine Neubauer, erzählten zwar durchaus Geschichten über starke Frauen, aber die gesellschaftliche Realität wurde weitgehend ignoriert. Als 2012 die Geschäftsführung der für diesen Sendeplatz zuständigen ARD-Tochter Degeto wechselte, änderte sich auch die Philosophie. Seit exakt einem Jahrzehnt sind endlich auch ganz andere Themen möglich. Diversität ist in den Geschichten mittlerweile so selbstverständlich, dass entsprechende Besetzungen kaum noch eigens hervorgehoben werden brauchen. Der Auftakt der neuen Reihe „Einspruch, Schatz“ passt geradezu vorbildlich in dieses Bild. Allerdings wirkt die Tragikomödie, als habe Torsten Lenkeit (Buch & Produktion) eine mustergültige diverse Konstellation entwerfen wollen: Anwältin Eva Schatz (ChrisTine Urspruch) ist kleinwüchsig, ihre beste Freundin ist eine Schwarze, im zentralen Fall streiten sich eine Frau und die Eltern ihrer verstorbenen Gattin um das Sorgerecht für die Tochter, der Sohn von Evas Freund sieht aus wie ein Mädchen und ein schwules Paar mischt auch noch mit. Auch der romantische Rahmen der Reihe ist nicht gerade originell: Die nächtliche Bar-Bekanntschaft, mit der Schatz eine Affäre beginnt, entpuppt sich als Kollege, der die Gegenseite vertritt.
Eine derartige Konstruktion kann trotzdem funktionieren, wenn das Reißbrettpersonal mit Leben erfüllt wird. Allerdings sind die Darbietungen stellenweise genauso hölzern wie die Entwürfe der Figuren. Das gilt vor allem für die vermeintlich heiteren Momente, wenn die Mitwirkenden ihre Pointen auch noch mit einem mimischen Ausrufezeichen versehen. Der erfahrene Thomas Freundner, immerhin Grimme-Preisträger („Tatort – Herzversagen“, 2005), hat zuletzt mehrere Episoden für „Billy Kuckuck“ mit Aglaia Szyszkowitz als Gerichtsvollzieherin mit Herz gedreht. Die Degeto-Reihe ist sicher nicht preiswürdig, aber durchaus sehenswert, weshalb die darstellerischen Ecken und Kanten bei „Einspruch, Schatz!“ umso unverständlicher sind. Sogar Falk Rockstroh, seit vierzig Jahren Schauspieler, ist mitunter die Drehbuchanweisung anzusehen („Herr Klatt schaut schuldbewusst“).
Sehenswert ist „Ein Fall von Liebe“ – selbst der Episodentitel ist einfallslos – daher vor allem wegen der juristischen Feinheiten, die allen, die nicht betroffen sind, kaum bekannt sein dürften: Als ihre Frau stirbt, ist Altenpflegerin Christina (Cornelia Gröschel) gegenüber den Großeltern in der schwächeren Position, denn sie ist nur die „soziale Mutter“. Ihr Alkoholproblem macht die Sache nicht leichter. Die Samenspende stammt von einem schwulen Freund, der von seinem Partner schließlich dazu gedrängt wird, ebenfalls das Sorgerecht zu beantragen; gegen ihn hätte Christina erst recht keine Chance. Oberflächlich betrachtet passt der Film also ins Muster des Degeto-Ansatzes, Sozialdramen einen heiteren Anstrich zu geben; bei „Billy Kuckuck“ klappt das prima, bei „Klara Sonntag“ (mit Mariele Millowitsch als Bewährungshelferin) ebenfalls.
Soundtrack: (1) George Michel („Freedom“, „Fool“), The Cure („Lovecats“) (2) Shakin’ Stevens („You Drive Me Crazy”), The Shirelles („Will You Love Me Tomorrow”), Kool & The Gang („Get Down On It”), Hannah Jones („I Am What I Am”), The Communards („Don’t Leave Me This Way”)
„Einspruch, Schatz“ deutet immerhin entsprechendes Potenzial an. Evas Probleme mit den Wechseljahren zum Beispiel sind zumindest im Zeitvertreibsfernsehen ein eher seltenes Thema, und dass der Film keine große Sache aus der Liebe zwischen zwei Menschen mit deutlich unterschiedlicher Körperlänge macht, ist sehr sympathisch. Amüsant sind auch die von ChrisTine Urspruch trocken vorgetragenen Selbstironien. Eher rückwärtsgewandt ist dagegen die Bestätigung des weit verbreiteten Vorurteils, dass erfolgreiche Frauen ihre Kinderlosigkeit spätestens mit Beginn der Menopause bereuen werden. Evas Freundin Sissi (Karmela Shako) findet zudem heraus, dass Hanno Bertram (Wolfram Grandezka) offenbar doch nicht so alleinstehend ist, wie er anfangs tut. Tatsächlich ist der Witwer zwar Single, aber auch Vater von drei Kindern; seine 15-jährige Tochter Lilly (Lola Höller) empfängt Eva bei ihrem Besuch unverhohlen feindselig. Zur Hausgemeinschaft gehört außerdem Hannos Mutter, die allerdings bemüht unkonventionell wirkt: Gisela ist Vulva-Malerin, wird aber von Tatja Seibt mit viel Grandezza verkörpert.
Leidlich amüsant sind auch die wenigen Szenen mit Jochen Busse als Evas nörgeligem Vater; die Leiterin des Seniorenheims hält den ehemaligen General für einen „Zivilversager“. Zudem gibt es viele schöne Leipzigbilder. Clemens Messows Bildgestaltung ist auch im zweiten Film sehenswert, der ohnehin um einiges stimmiger wirkt. Diesmal nimmt sich Eva eines von den Mitschülern gemobbten Jungen an, was ihr zudem Lillys Respekt einbringt; Hans ist ihr Mitschüler. Sachlich schildert der Film nun den juristischen Lauf der Dinge. Eva rät den Eltern, die Schule wegen massiver Vernachlässigung der Fürsorgepflicht zu verklagen: Der Klassenlehrer hat den Vorfall heruntergespielt, die Rektorin hatte offenbar keine Lust auf den bürokratischen Aufwand. Damit die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit noch größer wird, inszeniert Freundner die Dame unnötig übertrieben als ältliche Ignorantin; Fernsehen für Begriffsstutzige. Ansonsten ist „Unter Vätern“ darstellerisch eine Klasse besser, auch inhaltlich wirkt der Film viel mehr aus einem Guss als „Ein Fall von Liebe“.