Lilo Maertens (Christiane Hörbiger), die Herausgeberin des feministischen Magazins „Lilo“, nimmt gern noch alles selbst in die Hand. Dabei steht die Ikone der Frauenbewegung kurz vor ihrem achtzigsten Geburtstag. Erst eine Augen-Not-OP bremst sie aus: Die umtriebige Lilo kann vorübergehend nicht sehen. Zwei Wochen lang muss sie sich schonen, und sie braucht Pflege. Aber sie hat keinen, der sich um sie kümmern kann und will. Die Frau, die – ihrem Sohn Ruben (Sebastian Bezzel) nach – noch nie jemanden um Hilfe gebeten habe, besinnt sich plötzlich auf ihre Familie. Ihren Enkel Finn (Michelangelo Fortuzzi), der einzige im Hause Maertens, der sich über die unkonventionelle alte Dame freut, mag sie besonders gern, ihre Schwiegertochter Jutta (Julia Brendler), Hausfrau aus Leidenschaft, umso weniger, und die Gefühle für ihren Sohn sind größer als dieser vermutet und sie sich anmerken lässt. Der Haussegen hängt bald gehörig schief, weil der ungebetene Gast mit journalistischem Gespür die Krisen der Familie offenlegt. Die Ehe läuft nicht rund, Jutta ist offenbar nicht so zufrieden mit ihrem Leben, wie sie vorgibt, Finn steckt mitten in einer ersten sexuellen Findungsphase, und dann steht auch noch Rubens Architekturbüro kurz vor der Pleite. Lilo will helfen. Ihre Aktion könnte die finanziellen Löcher stopfen, reißt aber alte emotionale Gräben auf.
Christiane Hörbiger verkörpert jene Lilo Maertens. Auch sie wird 80, am 13. Oktober. Die Figur ist das Geburtstagsgeschenk der ARD an diese große Schauspielerin, die – nachdem sie die Rolle der Grande Dame über hatte – sich in den letzten Jahren eindrucksvoll durch alle Tiefen menschlicher Dramen spielte: Sie war eine Alkoholkranke in „Wie ein Licht in der Nacht“, eine Alzheimerpatientin in „Stiller Abschied“; sie überraschte als Obdachlose in dem Sozialdrama „Auf der Straße“ und besonders als lebensmüde, depressive Frau, die sich für ein selbstbestimmtes Sterben entschieden hat, in „Die letzte Reise“. Es waren kleine, intime Filme, gut besetzt und gut gespielt. Das gilt auch für „Einmal Sohn, immer Sohn“, mit dem Unterschied: Hier ist nur der psychologische Kern schwer, die Verpackung aber ist leicht. Der Film ist eine Komödie – und sie erinnert daran, dass Hörbiger immer auch eine große Komödien-Schauspielerin war: „Schtonk“, „Schimanski muss leiden“, „Schwiegermutter“, „Alpenglühen“ – diese Tradition ist zuletzt ein bisschen ins Hintertreffen geraten, zugunsten banaler Dramoletts wie „Therese geht fremd“ und „Das Glück ist ein Kaktus“ oder betulicher Dramödien-Routine-Arbeiten wie „Niete zieht Hauptgewinn“ oder „Oma wider Willen“.
Foto: Degeto / Svenja von Schultzendorff
In „Einmal Sohn, immer Sohn“ wird eine Frauenrechtlerin mit 80 Jahren plötzlich noch einmal mit ihrer Rolle als Mutter konfrontiert. Die von sich selbst zutiefst überzeugte Frau hat es nie an sich herankommen lassen, dass ihr Sohn jahrzehntelang unter ihr gelitten haben muss, und sie hat sich offenbar auch nie gefragt, weshalb er ein so ruhiges und bürgerlich-konservatives Leben für sich gewählt hat, das so ganz anders ist als ihres. Ruben ist Ingenieur, und auch er ist gut, in dem, was er tut, seine Fußgängerbrücken, die er entwickelt, sind fehlerlos und unzerstörbar, aber es sind eben keine Pracht- und Prestigebauten, mit denen man in die Öffentlichkeit kommt. Das ist ganz im Sinne des Erfinders. Seine Mutter indes möchte, so Hörbiger, „dass ihr einziger Sohn überall die Nummer 1 ist“. Im Denkschema der beiden ist das logisch – und logisch ist es deshalb auch, dass beide unabhängig voneinander ihr Leben leben und der Kontakt sich in Grenzen hält. Ein im Film kurz eingespieltes Hochzeitsvideo anlässlich der kirchlichen Trauung ihres Sohnes („Kinder, Küche, Kirche“) lässt erahnen, weshalb besonders das Verhältnis zwischen Lilo und ihrer Schwiegertochter angespannt ist.
Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn ist durchaus familienpsychologisch stimmig angedacht – auch wenn die Probleme nicht vertieft werden und es anfangs für den Zuschauer nicht unbedingt ersichtlich ist, weshalb die erfolgreiche Herausgeberin, nachdem sie wieder sehen kann, mit dem „Blindenspiel“ weitermacht. Offenbar nimmt sie den Satz „Wir sind immerhin eine Familie“ doch ernster als zunächst angenommen. Das Drehbuch spielt natürlich auch mit der Sehen-Erkennen-Metapher: Mit 80 lernt die Heldin endlich, nicht nur immer sich, sondern auch die anderen wahrzunehmen. Privat ist diese Lilo Maertens sicher keine „intrigante, boshafte Hexe“, wie ihre Chefredakteurin sie beschimpft (immerhin hängen Rubens Kinderbilder in ihrer Küche), sie hat nur ihre Prinzipien. Und die Medien-Emanze liebt taffe Sprüche, die sich die Medien merken: „Ich lasse mich ungern auf meine inneren Werte reduzieren.“ Ein solcher Satz aus dem Mund einer Frau, bei der viele unweigerlich an Alice Schwarzer denken werden – verwundert nur auf den ersten Blick. Jene Lilo Maertens ist eine Frauenrechtlerin der alten Schule. Wie Hörbiger selbst ist auch sie ein Kind der 1940er Jahre, Teenager in den biederen Fünfzigern, sicher auch eine 68erin, aber keine verbissene.
Foto: Degeto / Svenja von Schultzendorff
Dennoch sollte man bei „Einmal Sohn, immer Sohn“ nicht alles auf die Goldwaage legen. Im Handlungsverlauf dominiert doch eindeutig die Dramaturgie der Komödie über die psychologische Glaubwürdigkeit der Figuren. Alles geht seinen erwartbaren Gang, von der Phase der spitzzüngigen Differenzen bis zum Wohlfühlfilmfinale, in dem auch der Brücken bauende Sohnemann von den Autoren Hardi Sturm und Lothar Kurzawa seine Metapher bekommt: Ein Film kann eine Brücke sein. Auch in den narrativen Details bedienen sie sich allerhand beliebter Versatzstücke: Allerdings wird das bei Schülern so beliebte „Romeo und Julia“ hier getanzt und die Art und Weise, wie möglicherweise „homoerotische Neigungen“ Eingang in die Geschichte finden, ist beiläufig und charmant. Michelangelo Fortuzzi (zuletzt auch überzeugend in „Alles Isy“) als Finn ist ein Glücksgriff für die Rolle des sich sexuell ausprobierenden Teenagers. Auch Julia Brendler, vor Jahren schon ein Lichtblick im ARD-Freitagabend-Seichtprogramm, doch zuletzt wegen ihrer ZDF-Krimi-Verpflichtung für die Reihe „Nord Nord Mord“ nicht mehr in Degeto-Produktionen zu sehen, spielt ihre undankbare Rolle als vermeintliches „Opfer“ der biestigen Heldin angenehm unaufgeregt. Und der Bayer Sebastian Bezzel kann es sehr gut auch hanseatisch. Ohnehin ist er ein Schauspieler, der sich aufs Understatement versteht und einen lakonischen Komödienstil bevorzugt. Für diese Rolle des ewigen Jungen passt das doppelt gut: „Wenn Ruben sich mit einem Satz auflehnt, setzt seine Mutter ihm sofort 20 Sätze entgegen“, so Bezzel. Die Folge: „Er rollt lieber mit den Augen und verlässt das Zimmer.“ Hörbigers Lilo Maertens ist da natürlich ein anderes Kaliber. Sie muss immer das letzte Wort haben. Aber der Läuterungsplot macht sie weicher. Und schließlich bekommt sie auch noch einen Verehrer (Mario Adorf als Grandseigneur in einer Mini-Rolle), als Alt-68erin natürlich nicht nur zum Händchenhalten. (Text-Stand: 14.9.2018)