Isi (Luise Heyer) ist 27 und mal wieder ziemlich gefrustet. Seit fünf Monaten ist sie Praktikantin in einem Verlag, für ihre Chefin (Sunnyi Melles) ist sie noch immer nur „der Kaffee“ – und als sich schließlich doch einmal traut, der exaltierten Dame ihre Skizzen vorzulegen, wird sie gefeuert. Der Traumberuf Illustratorin ist erst einmal wieder in weite Ferne gerückt. Gut, dass Isi mit Mitbewohnerin Lotte (Jytte-Merle Böhrnsen) eine beste Freundin hat, gemeinsam trotzen sie der bösen Welt da draußen, feiern, tanzen, trinken – bis beider Lebensentwürfe auseinanderdriften. Journalistin Lotte kriegt nicht nur endlich einen Job, sie lernt auch offenbar mit Leo (Stefano Bernardin) zum ersten Mal im Leben „den Richtigen“ kennen. Isi fühlt sich als drittes Rad am Wagen; sie muss aber ohnehin wegen Schimmel in den Wänden ein paar Wochen lang ihr Zimmer räumen. Frech quartiert sie sich in der Chaos-WG von Musiker Klausi (Maximilian Schafroth) und Medizinstudent Daniel (Patrick Güldenberg) ein. Irgendwie steckt Isi fest, keine Bewegung, wenn überhaupt scheint ihr Leben rückwärts zu gehen. Sie ist chronisch pleite, jobbt deshalb in einem Fahrradladen, was ihr am Ende wenig einbringt. Also doch besser rumhängen, exzessiv Party machen und seinen Kater pflegen? Sie weiß es nicht. Oder vielleicht doch besser weiter an ihrer ersten Graphic Novel arbeiten: ihrer persönlichen Adaption von F. Scott Fitzgeralds Roman „Die Schönen und die Verdammten“ (1922)? Das eine muss das andere nicht ausschließen.
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In ihrem unverkrampften Debüt zeichnet Helena Hufnagel das tragikomische Porträt einer „überqualifizierten Generation mit zu wenig Berufserfahrung“, die „ein Gefühl der Vergeudung bedrückt“ und die nicht weiß, ob sie jemals irgendwo ankommen wird. Luise Heyer verkörpert die Gefühle und Lebensträume der Millennials. (Cinema)
Andere starten mit Ende 20 durch. Die Heldin in Helena Hufnagels Spielfilm-Debüt „Einmal bitte alles“ ist dagegen eher eine Spätzünderin, gefällt sich aber gleichermaßen in einer gewissen künstlerischen Anti-Haltung zu den immer bürgerlicher werdenden Gleichaltrigen. In der von Luise Heyer wunderbar verkörperten Figur steckt viel Trotz und Eigensinn, da wechseln resignative Episoden mit Phasen postpubertärer Rebellion. Etwas Besonderes sein wollen – und den anderen zeigen, dass man es draufhat, denen, die einem real oder manchmal nur vermeintlich die Steine in den Weg legen. Der Film, der den Zuschauer eine Zeit lang seine Hauptfigur begleiten lässt (Hufnagels Erstling war ein Dokumentarfilm), ist Frauen- & Generationenporträt in einem. Regisseurin Hufnagel, die in Interviews äußerte, dass in dieser Isi sehr viel eigene Erfahrungen stecke, und ihre Autorinnen Sina Flammang und Madeleine Fricke betonen die Eigen-Art ihrer Heldin, und sie vermitteln gleichzeitig ein Lebensgefühl, ja eine Entwicklungsphase, für die die Populärpsychologie mit „Quarterlife Crisis“ schon den passenden Begriff gefunden hat. Das hört sich in einer überaus dichten, dennoch beiläufig wirkenden, grandios gefilmten melancholischen Selbstreflexionsszene zu Beginn des Films dann wie folgt an. Lotte: „Ich denke, wir sind ja eigentlich immer noch jung, oder?“ Isi: „Ja, sind wir.“ Lotte: „Ich meine, wir haben das ganze Leben noch vor uns.“ Isi: „Klar!“
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Der Film bietet „eine angenehm frische Sicht auf die Anstrengung des späten Coming-of-Age: die bitteren Veränderungen, die Freundschaften unterlaufen können, wenn sich Lebensverhältnisse ungleichzeitig ändern, oder der Individuationsprozess, das Bedürfnis nach Abgrenzung ebenso wie Zusammengehörigkeit, die das Jahrzehnt zwischen zwanzig und dreißig entscheidend prägen.“ (Frankfurter Rundschau)
Auch filmisch ist „Einmal bitte alles“, diese vermeintlich so kleine, nur knapp 80minütige Tragikomödie, ein großer Wurf, bei dem einem nicht zufällig „Frances Ha“ einfällt, quasi das amerikanische Gegenstück. Nehmen sich die Autorinnen für die präzisen, alltagsnahen Dialog-Szenen auch ausreichend Zeit, so besticht der Film doch immer wieder durch seine Beschleunigungsästhetik. Mit einer agilen, gelegentlich verführerisch flirrenden Kamera, mit hoher Schnittfrequenz, viel Bewegung im Bild (beim völlig losgelösten Herumflippen) und mit einem exzellenten Soundtrack, der eindrucksvoll mit dem Visuellen verschwimmt, werden Tempo und Rausch angedeutet, mit deren Hilfe sich die Heldin immer wieder in frühere, glücklichere Zeiten zurückbeamt. So alltäglich das Erzählte auch sein mag, auch Szenen- und Kostümbild erzählen maßgeblich die Geschichte mit. Selbst der Schauplatz München spielt für die Semantik der Story eine nicht unwesentliche Rolle. So ist „Einmal bitte alles“ nicht nur ein Film, der einem mit dieser liebenswert trotzigen Heldin nahekommt (selbst wenn man einer anderen Generation angehört), sondern auch einer, der hinter seiner unaufdringlichen So-ist-das-Leben-Haltung auch filmästhetisch aufregend funkelt. (Text-Stand: 3.5.2018)