Eine Klasse für sich

Hans Löw, Alwara Höfels, Gastdorf, Orlac, Hartmann. Den richtigen Weg finden

Foto: WDR / Thomas Kost
Foto Rainer Tittelbach

Weil ein Gymnasiallehrer als Pennäler durchs Abitur gefallen ist und sein Abschlusszeugnis gefälscht hat, muss er jetzt noch einmal mit vier weiteren Mitschüler*innen die Schulbank eines Privatkollegs drücken… „Eine Klasse für sich“ (WDR / filmpool fiction) ist weder „Die Feuerzangenbowle“ Teil 2 noch ein TV-Nachzieher von „Fack ju Göhte“. Der Fernsehfilm, produziert für die ARD-Themenwoche „Zukunft Bildung“, ist vielmehr geschrieben und inszeniert nach den Regeln eines pädagogisch relevanten Themenfilms, unterhaltsam kurz geschlossen mit der Happy-End-Dramaturgie einer Wohlfühl-Dramödie. Die Haltungsnote ist gut, die Dramaturgie kennt man, die Psychologie der Hauptfigur ist dagegen stimmig bis ins kleinste Detail. Und trotz eines Mannes und einer Frau, die der Zuschauer schon als Paar sieht und die mit Hans Löw und Alwara Höfels perfekt besetzt sind, kommt es nicht zur „neuen Wiedervereinigung“. Das Klischee wird nicht bedient, es siegt die Freundschaft!

Der Gymnasiallehrer Fabian Sorge (Hans Löw) ist ein Mann, der in den meisten Lebenslagen den Ausgleich sucht. Stillhalten ist sein Lebensprinzip, endlich verbeamtet zu werden aktuell seine größte Hoffnung. Doch in der entscheidenden Sitzung kommt alles ganz anders. Sorges alter Klassenkamerad Ronald Pumm (Christian Hockenbrink), heute in leitender Funktion beim Schulamt, lässt eine Uraltbombe platzen: Fabian ist in Schwerin durchs Abitur gefallen, und sein Abschlusszeugnis hat er daraufhin gefälscht. Streng genommen ist also sein Staatsexamen ungültig und damit auch seine Anstellung als Gymnasiallehrer in Köln. Doch in Zeiten des Lehrermangels bekommt Sorge eine zweite Chance und seine Stelle zurück, wenn er innerhalb eines Jahres sein Abitur nachmacht. Auf einem Privatkolleg heißt es nun, längst Vergessenes wieder einzupauken. Seine Mitschüler*innen empfindet der Leistungswillige anfangs eher als Hemmschuh. Da ist die kluge junge Kurdin Bingül (Yeliz Simsek), die Informatik studieren will, da ist die literaturbegeisterte Klofrau Hellen (Johanna Gastdorf), die sich und der Welt beweisen will, dass sie’s draufhat, da ist der Sportinvalide Yusuf (Sami Nasser), einst Profi beim 1. FC Köln, und da ist Cora (Alwara Höfels), eine Frau, Anfang 30, weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen, aber mit einem schweren Erbe belastet.

Eine Klasse für sichFoto: WDR / Thomas Kost
Vom Gymnasiallehrer zum Burger-King. Es braucht so seine Zeit – bis der allzu leistungswillige Fabian (Hans Löw) nicht mehr auf beleidigte Leberwurst macht.

Fabian Sorge: „Du lernst, um immer wieder den richtigen Weg für dich zu finden.“
„Eine Klasse für sich“ ist weder „Die Feuerzangenbowle Teil 2“ – wie sich der Held im Film echauffiert – noch ein TV-Nachzieher von „Fack ju Göhte“. Der Fernsehfilm, der für die ARD-Themenwoche „Zukunft Bildung“ produziert wurde, ist vielmehr geschrieben und inszeniert nach den Regeln eines pädagogisch relevanten Themenfilms, unterhaltsam kurz geschlossen mit der Happy-End-Dramaturgie einer Wohlfühl-Dramödie. Dass man nicht für die Schule lernt, sondern fürs Leben, ist ein alter Hut. Sorges Sohn Luca (Victor Maria Diderich) fehlt dennoch die tiefere Einsicht. „Wozu Lernen?“, will er wissen. „Damit du was aus dir machst“, kommt es für einen Lehrer wenig reflektiert zurück. Dieser Fabian Sorge – nomen est omen – hat bald größere Sorgen als nur die Schulaversion seines Sprösslings: Seine Frau (Sonja Baum) will eine neue Familie gründen, sein Sohn ist verunsichert und hat keinen Bock auf seinen Vater, die Spaßbremse; außerdem ist Sorge pleite und „muss sich jetzt den ganzen Tag mit so einem unreifen Haufen herumschlagen“. Das hört der „unreife Haufen“ gar nicht gern. Doch man rauft sich zusammen. Erst zögerlich. Später dann, als ein Immobilienhai (Peer Martiny) das verschuldete Privatkolleg räumen lässt, aus Überzeugung. Die fünf Schüler*innen gründen eine Lerngruppe: Sie helfen sich gegenseitig und von nun an pauken alle zusammen – mit einem weiteren Lerneffekt: Die Hauptfigur verabschiedet sich von Macher-Sprüchen wie „Wer sich anstrengt schafft alles“. Und so hat Fabian Sorge am Ende für seinen Sohn, aber auch für sich selbst eine passendere Antwort auf die pädagogische Gretchenfrage parat: „Du lernst, um immer wieder den richtigen Weg für dich zu finden.“

Aus der „neuen Wiedervereinigung“ wird nichts: Es muss nicht immer Liebe sein!
Die Haltungsnote ist gut, der kreative dramaturgische Aufwand, den Drehbuchautor Sebastian Orlac („Keiner schiebt uns weg“ / mehrere „Lotta“-Episoden) betreibt, hält sich allerdings in Grenzen. „Eine Klasse für sich“ setzt auf das übliche Auf und Ab, wie es einem in Filmen begegnet, in denen eine Gruppe gemeinsam etwas meistern möchte. Nach anfänglichen persönlichen Irritationen folgt die Phase des langsamen Zusammenwachsens, bevor aus fünf Egos schließlich eine verschworene Gemeinschaft entsteht. Bei dieser WDR-Dramödie ist es ein ausgelassenes Besäufnis, das endgültig die Weichen für ein Happy End stellt. „Mach dich doch mal locker“, fordert Cora den mal wieder angefressenen Fabian auf. Leichter gesagt als getan. Um ein Haar wären die beiden miteinander im Bett gelandet, tags darauf aber nimmt Cora, von der die Initiative ausging, plötzlich alles wieder zurück. Für einen wie Fabian, der sich offenbar nur ein einziges Mal in seinem Leben nicht an die Regeln gehalten hat, ist eine solche wankelmütige Haltung eine ganz besondere Herausforderung. Ein bisschen hat Orlac hier mit dem Ossi-Wessi-Gegensatz gearbeitet. Zur „neuen Wiedervereinigung“, wie es im ersten Drittel des Films einmal heißt, wird es aber nicht kommen. In diesem Punkt schert die Geschichte angenehm aus der Erzählkonvention leichter Unterhaltungsfilme mit Liebes-Beigabe aus. Genau nach einer Stunde (im ZDF-„Herzkino“ kann man gewöhnlich danach die Uhr stellen) steht nach den rituellen Kampeleien zwischen dem „Paar“ Sex auf dem Stundenplan. Doch Sorges Sohnemann funkt dazwischen. Mehr wird sich nach einem kurzen „Es-ist-falsch“-Gespräch zwischen Cora und Fabian liebestechnisch auch nicht entwickeln. Orlac erteilt damit einem gängigen dramaturgischen Klischee eine Abfuhr. Auf die Gruppe bezogen erweist sich das als ein gemeinschaftsstiftendes Moment: Freundschaft ist nun alles!

Eine Klasse für sichFoto: WDR / Thomas Kost
Ihr alter Herr ist die Bürde von Coras Lebensweg. Die junge Frau will endlich erwachsen werden. Und das geht offenbar nur, indem sie die Konsequenzen aus ihrem bisherigen Leben zieht und sich vom Vater lossagt. Alwara Höfels & Peer Martiny

Die Dramaturgie kennt man, Sorges Psychologie ist dagegen stimmig bis ins Detail
Ist der Handlungsverlauf auch extrem vorhersehbar, so ist doch die Dramaturgie im Detail – sprich: die Charakterisierung der Hauptfigur – wesentlich ausgefeilter. Fabian Sorges Wesensart steht im Zentrum der Narration. Sie ist das Besondere, das der überraschungsarmen Chronologie der Gruppen-Bildung ein Gesicht gibt. Dieser Mann kann seine ostdeutsche Vergangenheit einfach nicht abschütteln. „Abi – das bist du nicht“, habe ihm sein Vater gesagt. Bis heute fällt es ihm schwer, gegen die Bilder und Erwartungen, die die Anderen von ihm haben, anzugehen. Lieber jammert er, macht sich klein, unsichtbar – oder leise und beleidigt vom Acker. Er gibt den Streber und Besserwisser, stößt er auf Gegenwehr, frisst er das Meiste in sich rein; sein Sohn hat sich das schon ein Stück weit abgeguckt. Bei Cora spürt Fabian von Anfang an auch dieses Contra. Sie ist ein kritischer Geist, eine Frau, die alles (politisch) hinterfragt. Das nervt mitunter, kann aber auch sexy sein. So wie umgekehrt seine Starrheit Cora hibbelig macht, während sie seine Klarheit und seine Prinzipien als angenehm empfindet.

Im Wohlfühl-Schlussdrittel wird das Thema Gemeinschaft filmisch perfekt umgesetzt
Themenwoche „Zukunft Bildung“ hin oder her – die Geschichte von Fabian Sorge und mit Abstrichen die Geschichte von Cora, deren Vita psychologisch nicht so glaubhaft ist, aber für telegene bigger-than-Life-Effekte sorgt, sind das Herzstück dieses Fernsehfilms, dem man mitunter noch etwas mehr zwischenmenschliche Tiefe und strukturelle Konzentration gewünscht hätte. Auch die Inszenierung von Christine Hartmann („Elly Beinhorn – Alleinflug“ / „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“) mit der extremen Feelgood-Movie-Ausleuchtung lässt die Geschichte zu Beginn oberflächlicher erscheinen, als sie tatsächlich ist. Seine Möglichkeiten schöpft der Film erst im Schlussdrittel aus. Zwanzig großartige Minuten versöhnen mit dem gleichermaßen schwerfälligen wie fahrigen Angang der Geschichte, die ein Stück weit natürlich auch von der „unflexiblen“ Hauptfigur mitbestimmt wird. In dieser Sequenz wird das Thema Gemeinschaft perfekt umgesetzt, wobei die Kammerspiel-Atmosphäre (mit dem abnehmenden Licht) das Zusammen auch noch ästhetisch überzeugend verdichtet. Dass sich zunehmend der beliebte Wohlfühleffekt einstellt, liegt nicht unwesentlich an den tragenden Nebenfiguren: die kurdische junge Frau, die studieren will, der türkische Ex-Fußballer, der immer für einen Sprach-Joke gut ist, oder die Klofrau mit einem Faible für Goethe mögen Kopfgeburten sein – Yeliz Simsek, Sami Nasser und vor allem Johanna Gastdorf machen aus ihnen durchaus originelle Zeitgenossen. Doch „Eine Klasse für sich“ steht und fällt letztlich mit den beiden Hauptdarstellern: Hans Löw („Zwei“) und Alwara Höfels („Sturköpfe“) sind perfekt in ihren Rollen. Dort der erwachsene Schlacks mit Hang zur Stirnfalte, der noch immer etwas hat von einem zu schnell in die Höhe geschossenen Pennäler, hier die besonders Ausgeschlafene, die taff, frech und ernsthaft gleichermaßen sein kann. Eine starke physische Ausstrahlung haben beide. Und beide besitzen die nötige Bodenständigkeit, die die „realistische“ Geschichte von ihnen erfordert.

Eine Klasse für sichFoto: WDR / Thomas Kost
So wie sich bei ihren Abitur-Vorbereitungen die sechs Lernwilligen gegenseitig auf der Zielgeraden mitreißen, so mitreißend gerät der WDR-Fernsehfilm „Eine Klasse für sich“ im Schlussdrittel. Das Gesäte wird geerntet. Ein kapitaler Wohlfühlfilm!

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Fernsehfilm

WDR

Mit Hans Löw, Alwara Höfels, Johanna Gastdorf, Victor Maria Dide-rich, Sami Nasser, Yeliz Simsek, Doris Plenert, Peer Martiny, Christian Hockenbrink, Eva Mannschott, Sonja Baum

Kamera: Peter Nix

Szenenbild: Uwe Max Szielasko

Kostüm: Alexander Beck

Schnitt: Andreas Althoff

Musik: Fabian Römer, Matthias Hillebrand-Gonzales

Soundtrack: Sophie Hunger („Tavelogue“), Pink Floyd („Another Brick in the Wall“), Bon Jovi („It’s My Life“)

Redaktion: Nina Klamroth

Produktionsfirma: filmpool fiction

Produktion: Katharina Trebitsch, Iris Kiefer

Drehbuch: Sebastian Orlac

Regie: Christine Hartmann

Quote: 4,18 Mio. Zuschauer (13,9% MA); Wh. (2022): 3,60 Mio. (15,2% MA)

EA: 13.11.2019 20:15 Uhr | ARD

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