Eine harte Tour

Schudt, Loibl, Unterberger, Lorenz, Kleefeld. Im Angesicht der Berge fallen alle Masken

Foto: WDR / Oliver Oppitz
Foto Rainer Tittelbach

Scheidung, Krankheit, Tod – die Themen und Lebensfragen sind mit Mitte, Ende 40 andere als in den Familiengründerjahren. „Eine harte Tour“ (WDR / Roxy Film) erzählt von einer Verlusterfahrung und ihren Folgen für eine Gruppe von Freunden und Paaren. Man kennt sich gut, man mag sich und doch machen sich die meisten etwas vor. Zur Projektionsfläche für deren Ängste und Vorurteile, für das vermaledeite Älterwerden und die entsprechenden Gefühle wird eine junge Frau, die einer von ihnen gerade erst zu seiner zweiten Frau gemacht hat. Jetzt ist er tot und seine Freunde wissen nicht: wie sich verhalten gegenüber den beiden „Witwen“. Auch anderes wissen sie nicht und in ihren Ehen sind sie oftmals ratlos. Auf einer mehrtägigen Bergtour zu Ehren des verstorbenen Freundes kommt vieles davon zur Sprache. Ein lebenskluges, tagikomisches Drama, das Schmerzliches zeigt, aber auch Hoffnung macht – und dessen Erkenntnisse sich der Zuschauer selbst häufig aus den Bildern ableiten kann. So wie die Figuren Ruhepausen einlegen, in denen sie die Kritik und die Enthüllungen der anderen zu verarbeiten versuchen, so gibt es auch für den Zuschauer Ruhephasen, in denen er das Gesagte nachwirken lassen kann. Auch die Natur verfehlt dabei ihre Wirkung nicht.

Für die guten, alten Freunde von Clemens (Benjamin Sadler) war es nicht leicht, seine 20 Jahre jüngere zweite Frau Alexa (Anna Unterberger) in ihren engen Kreis aufzunehmen. Ulrike (Anna Schudt) verbindet mit ihm eine 30jährige Freundschaft. Ihr Mann Jonas (Thomas Loibl), Ronny (Roeland Wiesnekker) und Dominik (Moritz Führmann) kennen ihn seit ihren gemeinsamen wilden WG-Zeiten. Die meisten können nicht nachvollziehen, was außer Sex Clemens an diesem „jungen Ding“ gereizt haben könnte nach einer Ehe mit Corinna (Juliane Köhler), einer richtigen Frau. Trotzdem haben sie und die weniger einflussreichen Ehehälften, Ronnys geduldige Martina (Elena Uhlig) und Dominiks dominante Daniela (Victoria Mayer), sich einen Ruck gegeben und Alexa erstmals in die Runde eingeladen. „Die sind alle so wahnsinnig mit ihrem Leben beschäftigt“, wundert sich Clemens. Sagt’s, greift sich an die Brust und tritt ab. Nun kommt zum Leben der anderen plötzlich der Tod des Über- Freundes hinzu und damit auch die Frage, wie umgehen mit dessen erster und dessen zweiter Frau. Die Freunde wollen die am Todesabend besprochene, von Clemens durchgeplante Wanderung auf jeden Fall durchziehen – denn es ist eine gute Möglichkeit zusammen dem Freund die letzte Ehre zu erweisen. Corinna will die Wanderung nicht mitgehen, und Alexa will die Mehrheit der Gruppe nicht dabeihaben. Es wird anders kommen. Auch mit dem Gedenken an den Freund. Denn Clemens war nicht die Lichtgestalt, für die ihn alle hielten.

Eine harte TourFoto: WDR / Marco Nagel
Die Natur ist schön und gigantisch. Und die Freunde werden nachdenklich. Es werden nicht nur Rucksäcke geschultert, die Paare haben auch andere Päckchen zu tragen.

Scheidung, Krankheit, Tod – die Themen und Lebensfragen sind mit Mitte, Ende 40 andere als in den Familiengründerjahren. „Eine harte Tour“ erzählt von einer Verlusterfahrung und ihren Folgen für eine Gruppe von Freunden, die nicht mehr von der Nähe bestimmt wird, wie sie in Studien- und WG-Jahren bestand. Man kennt sich, man mag sich und doch machen sich die meisten etwas vor. Ronny spielt sich gebetsmühlenhaft als bester Freund des Toten auf, behandelt seine Martina mies und hinter seinem Mitgefühl für Clemens erste Frau verbirgt sich purer Egoismus. Dominik scheint unter dem Pantoffel seiner Frau Daniela zu stehen, die neben veganer Ernährung auch spezielle sexuelle Vorlieben hat, die im Suff zur Sprache kommen. Noch offensichtlicher im Krisenmodus befindet sich die Ehe von Ulrike und Jonas: Sex ist bei den beiden schon lange kein Thema mehr – und viel zu sagen haben sie sich auch nicht, allenfalls hauen sie sich die Argumente pro und contra Alexa um die Ohren. Jonas ist ihr Fürsprecher, während Ulrike geradezu eine Aversion hat gegen diese unverschämt junge und attraktive Frau. Drehbuchautorin Dominique Lorenz („Sturköpfe“) hat sich das strukturell, psychologisch und generationspolitisch gut ausgedacht. Und sie macht Alexa zur Projektionsfläche der Gruppe – für deren Ängste und Vorurteile, für das vermaledeite Älterwerden und die dementsprechenden Gefühlslagen. Sie wirkt quasi wie ein Katalysator für die Chemie der angekränkelten Paarbeziehungen und der angespannten Freundschaften.

Dominique Lorenz über das (Gruppen-)Klima auf der Zielgeraden:
„Irgendwann ist der tote Punkt erreicht, aber da es keinen Sinn mehr macht, um sein geschöntes Selbstbild zu kämpfen, weil sowieso alle Masken gefallen sind, entsteht eine schwebende, entspannte Leichtigkeit, in der alle so sind, wie sie sind. In der Stille der Berge, in der ewigen, mächtigen Natur sind alle Differenzen lächerlich und bedeutungslos. Die Freunde spüren die zweite Luft.“

Eine harte TourFoto: WDR / Oliver Oppitz
Projektionsfläche für die alten Freunde (Betonung auf „alt“): An der 32-jährigen Alexa (Anna Unterberger) entzünden sich Haltungen und Vorurteile der Anderen.

„Ich habe auch jemand verloren, den ich geliebt hab – verdammt noch mal!“, platzt der von Anna Schudt gespielten Ulrike der Kragen, nachdem sich Alexa zu den übrigen Frauen in die Sauna begeben hat und ihre Notlage sinnlich beklagt. Dass sie dabei nackt und jung den Schwitzraum betritt, mag von ihrer Seite aus keine Provokation sein, Ulrike aber versteht es offensichtlich als eine solche. Sie, die Mittvierzigerin, unübersehbar eine Narbe an der Brust, projiziert ihre eigenen Probleme mit Gesundheit, Alter und Ehe auf die junge Frau, der ihr Körper noch keine Probleme macht. Martina, nie dem Schönheitsideal von Ulrike oder Alexa nacheifernd, reagiert in der Situation völlig anders: „Bei der hängt ja noch gar nichts“, bemerkt sie eher anerkennend. Was zwischen den Frauen genau Sache ist, wird gar nicht so häufig ausgesprochen. Man kann es erahnen oder den Bildern ablesen: Wenn da Alexa und Ulrike nebeneinander vor sich hin schwitzen, sehen sie sich in der Halbtotale sehr ähnlich – etwa wie eine junge und eine ältere Ausgabe des gleichen Frauentyps. Weniger raffiniert ist die Begegnung zwischen der unbekleideten Alexa und Jonas, dessen Sympathien für die junge Frau unübersehbar sind. Dass er Clemens geraten hat, Corinna zu verlassen und mit Alexa ein neues Leben zu beginnen, bringt seine Frau Ulrike allerdings mehr auf die Palme als seine Bereitwilligkeit, Alexa sich an seiner Brust ausweinen zu lassen. Jonas Beweggründe für sein Verhalten – ob rein sexueller Natur oder kombiniert mit Beschützerinstinkt und Vatergefühlen – werden erfreulicherweise nicht offenbart. Und sein Satz „Ich hätte auch gern mal eine Frau, die mir das Hirn wegvögelt“ ist eher an seine bessere Hälfte gerichtet, für die ja auch zuvor sein Aufschrei „Ich habe das Gefühl, mein Schwanz ist verschrumpelt“ bestimmt war.

Eine harte TourFoto: WDR / Oliver Oppitz
Die Wanderung geht in die Berge, aber die Beziehungen der alten Freunde gehen erst einmal den Bach runter. Top-Besetzung: Roeland Wiesnekker, Anna Schudt, Elena Uhlig, Thomas Loibl, Anna Unterberger, Victoria Mayer und Moritz Führmann

So verbal handfest geht es nicht häufig zur Sache. Nicht offen reden entspricht schließlich auch mehr der Realität eines solchen ritualisierten Freundeskreises, und es hat außerdem den Vorteil: der Zuschauer kann sich so leichter sein eigenes Bild machen. Dafür lässt Regisseurin Isabel Kleefeld („Aufbruch in die Freiheit“) in diesem wundervoll besetzten Ensemblefilm viel Raum. So wie die Figuren Ruhepausen einlegen, in denen sie die Vorwürfe, die Kritik und die Enthüllungen der anderen zu verarbeiten versuchen, so gibt es auch für den Zuschauer ausreichend Ruhephasen, in denen er das Gesagte nachwirken lassen kann. Eine Botschaft des Films vermittelt sich still & sinnlich: Nichts bleibt, wie es ist; das Leben ist Veränderung, Wandel – vielleicht auch Umdenken?! Die eindrucksvoll von Kameramann Martin Langer ins Bild gerückte Berglandschaft, mal die Gipfel schneebedeckt, mal in Form gigantischer Felsmassive, sowie das Wandern als Movens der Handlung, bei dem Körper, Geist und Seele nach Harmonie streben, tragen mit ihren kontemplativen Momenten das Übrige zu diesem lebensklugen TV-Drama bei. Was ist schon der Einzelne gegen ein solches Naturschauspiel!

Nur ein Mal während der Bergtour wird so richtig Tabula Rasa gemacht. Ronnys Geburtstagsfeier wird zum emotionalen Höhepunkt des Films. Der Alkohol spült die Konflikte nach außen. Alexa, völlig betrunken, fühlt sich angegriffen und schlägt zurück. Sie ist unvorbelastet, muss nicht den Mythos der Freundschaft pflegen – und sie weiß Dinge über die Freunde, die einige von ihnen nicht wissen. Und so verwandeln sich ihre Informationen in Geschosse, die ihr Ziel nicht verfehlen. Danach lecken alle ihre Wunden. Gibt es zwischenzeitlich auch Wut-, Heul- und Schreianfälle, so scheint die anstrengende Bewegung in der Höhenluft irgendwann eine reflektierende, schließlich eine heilende Wirkung zu besitzen. Werden sie alle es schaffen, sich noch einmal einen Ruck zu geben? Wird die Vernunft obsiegen? Wird sich die Hoffnung durchsetzen, dass Verbundenheit, Toleranz und Freundschaft mehr Bestand haben als alles Trennende? (Text-Stand: 22.1.2020)

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Fernsehfilm

WDR

Mit Anna Schudt, Thomas Loibl, Anna Unterberger, Roeland Wiesnekker, Moritz Führmann, Victoria Mayer, Elena Uhlig, Juliane Köhler, Benjamin Sadler, Francois Goeske

Kamera: Martin Langer

Szenenbild: Thorwald Kiefel

Kostüm: Theresia Wogh

Schnitt: Renata Salazar-Ivancan

Musik: Kall Kollektiv

Redaktion: Nina Klamroth

Produktionsfirma: Roxy Film

Produktion: Annie Brunner, Andreas Richter, Ursula Woerner

Drehbuch: Dominique Lorenz

Regie: Isabel Kleefeld

Quote: 4,74 Mio. Zuschauer (15% MA); Wh. (2022): 3,58 Mio. (14,4% MA)

EA: 26.02.2020 20:15 Uhr | ARD

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