Koniginnendag in Amsterdam. Ein Junge hetzt durch die Menge. Todesangst im Blick. Im Vondelpark trifft der Junge offenbar auf seinen Jäger. Bruno van Leeuwen hat schon Vieles gesehen – das nicht! Dem Teenager wurde ein Loch in den Gaumen geschlagen und ihm wurde sein Gehirn entfernt. Ein kleiner Bambussplitter am Tatort bringt den Kommissar auf die richtige Spur: Es muss sich um einen rituellen Tötungsakt handeln. Von einem Anthropologen, der auch medizinisch forscht, erhofft er sich Unterstützung. Auch was sein großes privates Problem angeht: van Leeuwens Frau, noch keine 50, ist an Alzheimer erkrankt. Die häusliche Pflege wird immer schwerer, das Zusammenleben immer schmerzlicher. Und jener Josef Pieters ist eben einer der maßgeblichen Köpfe der Alzheimer-Forschung. Doch helfen kann oder will er nicht. Stattdessen gibt es Unstimmigkeiten bei seinen Aussagen – dennoch scheint er über jeden Verdacht erhaben zu sein. „Ich verdächtige Sie nicht, ich suche eine Verbindung“, sagt ihm der Kommissar offen. Um diese „Verbindung“ zu finden, dringt er nächtens in das Haus des undurchschaubaren Professors ein…
Tobias Morettis Forscher hat ein reales Vorbild:
„Der 2008 verstorbene US-Amerikaner Donald Carleton Gajdusek fand die Erreger des ‚menschlichen Rinderwahns’ und erhielt dafür 1976 den Nobelpreis für Medizin. 1997 wurde er wegen sexuellen Missbrauchs von Jungs aus Neuguinea und Mikronesien, die er adoptiert hatte, verurteilt.“ (Matti Geschonneck)Ein Motiv der Geschichte ist die Angst:
„Wir haben Angst vor uns selbst, vor unseren tieferen Bedürfnissen, vor allem, was uns fremd ist. Das Joch, unter das wir uns die letzten zwei, vielleicht sogar drei Jahrtausende hinweg begeben haben, heißt letztendlich überall gleich: Es heißt Moral.“ (Josef Pieters im Film)
„Eine Frau verschwindet“ ist ein unaufgeregt erzähltes Krimidrama, bei dem der Zuschauer viel bekommt für 90 Minuten Aufmerksamkeit. Der Film von Grimme-Preisträger Matti Geschonneck bringt zwei (Geschichten) in einem (Film). Die Klammer ist der Amsterdamer Ermittler, ein Profi der knappen Worte („Wo ist das Gehirn?“) und klaren Ansagen. „Er ist einer dem man vertraut, von dem man sagt: wenn einer diesen Fall lösen kann, dann dieser Typ Mann“, charakterisiert der Regisseur die Rolle und ihren Schauspieler. Der bizarre Fall und die tragische Krankheit der Ehefrau treiben den Helden gleichermaßen um. Peter Haber spielt ihn, wie er seinen Kommissar Beck gespielt hat: konzentriert, mit stoischer Ruhe und ohne große Anzeichen von Emotion im Mienenspiel. Gefühle aber sind da, sie sind – aus Gründen des Selbstschutzes – tiefer gelegt. Dieser Mann liebt seine Frau noch immer. Im Angesicht des fortscheitenden Vergessens erinnert er sich umso besser an die gemeinsamen Stunden. Daran ändert sich nichts, als er herausfindet, dass seine Simone ihn vor Jahren in Italien betrogen hat. Glühende Liebesbriefe voll sexueller Details rauben ihm den Schlaf, bevor der Ritualmord wieder van Leeuwens ganze Energie und Kombinationsgabe verlangt.
Beide Geschichten werden nicht künstlich zusammengeführt. Das ist gut so. Der absurd sinistre Kriminalfall fordert den kühlen Analytiker; die anrührende Krankengeschichte sorgt dagegen für die nötigen Emotionen. Unspektakulär werden beide Handlungsstränge entwickelt. Wie meistens bei Geschonneck dominiert das Bild über die Dialoge, der Erzählfluss über den Look. Anders als in seinen letzten ZDF-Krimis setzt der Regisseur – dieses Mal mit seinem Kameramann Theo Bierkens – weder auf knallige Signal-Ästhetik noch auf eine rätselhaft elegante Montage. So wie die Erinnerungen in einem schleichenden Prozess ausgelöscht werden bei der von Maja Maranow großartig gespielten Ehefrau, so sind die Farben in etlichen Bildern wie weggewaschen. Dieses Amsterdam ist nicht bunt, es ist fast so grau wie Stockholm in den Schwedenkrimis. Die Atmosphäre des Films entsteht im Zusammenspiel dieser schmucklosen Art des visuellen Erzählens mit den introvertierten Figuren. Es verwundert nicht, dass Geschonneck die Redaktion und die Produktion bat, die Ehe-Beziehung des Kommissars in den Vordergrund zu stellen. (Text-Stand: 18.9.2012)