Mit ihrer Familie hat Véronique (Friederike Linke) seit Jahren abgeschlossen. Mit 20 verließ sie ihren südfranzösischen Heimatort Talon und zog nach Deutschland. Hier lebt sie noch immer, heute in Hamburg, wo sie als Krankenschwester arbeitet. Sie ist damals regelrecht geflüchtet, weil sie ihren autoritären Vater nicht mehr ertragen konnte. Er war ein angesehener Landarzt, vor allem aber ein unerträglicher Haustyrann. Seine Kälte bekam vor allem auch Veros Mutter Thérèse (Sabine Vitua) zu spüren. Dass sie ihn nicht verlassen hat, konnte Véronique nie verstehen, und so herrschte seit der Geburt ihrer siebenjährigen Tochter Lea (Paula Siebert) auch Funkstille zwischen den beiden Frauen. Jetzt ist der Vater gestorben – und Onkel Franck (Peter Benedict) hat es tatsächlich geschafft, seine Nichte zu überreden, zur Beerdigung zu kommen. Er selbst, aber auch andere nahe Verwandte, Thérèse‘ Schwester Catherine (Catherine Flemming) und ihr Mann Thierry (Andreas Hoppe), bleiben indes der Trauerfeier fern. Offensichtlich hat der Patriarch die Familie völlig entzweit. Véronique will sofort nach der Testamentseröffnung am nächsten Tag wieder das Weite suchen. Doch daraus wird nichts. Denn das Testament hinterlässt Ratlosigkeit. Die Landvilla ist völlig verschuldet, und Vero erbt die Hälfte der Praxis nur mit bestandener Arztprüfung. Diese aber hat sie fast schon abgeschrieben – einer anderen Erblast wegen: ihrer Versagensängste. Außerdem liegt ständig etwas in der Praxis an, was der Nachfolger des Vaters, der mit den Gepflogenheiten im Dorf nicht vertraute Dr. Hugo Simon (Nico Rogner), nicht geregelt bekommt.
Soundtrack (1): Bénabar („Le destin“), Namika („Je ne parle pas francais“), Fluex („Wings To Fly“), Hollydays („L’odeur des joints“), Sophie Hunger („Le vent nous portera“); (2): Hollydays („Léo“), Zaz („Qué vendrá“ / „Demain c’est toi“)
Foto: ZDF / Clément Puig
Mit der neuen Reihe „Ein Tisch in der Provence“ belebt das ZDF seinen Sendeplatz am Sonntag und bietet endlich eine Alternative zu den nach Schema F geplotteten und meist auch filmisch uninspirierten „Herzkino“Ausflügen nach Cornwall oder Schweden. Werden bei „Rosamunde Pilcher“ und „Inga Lindström“ die immergleichen Erzählmuster abgespult und bestenfalls einmal ansprechend variiert, so gelingt es den Autoren Maike Rasch und Valentin Holch (zugleich Produzent) sowie Regisseurin und Ko-Autorin Dagmar Seume („Nord bei Nordwest – Estonia“) in dem zweiteiligen Auftakt dieser neuen Reihe, eine komplexe Familiengeschichte, ja, einen Film zu erzählen. Die Narration haushaltet geschickt mit den genreüblichen Geheimnissen der Vergangenheit. Es gibt erste Hinweise („Es ist nicht nur seine Schuld“), dann fühlt sich die Witwe in Zwiesprache mit dem Toten nicht mehr an eine „Vereinbarung“ gebunden und setzt wenig später zu einer Aussprache mit der Tochter an, zu der es allerdings in den 180 Minuten nicht kommen wird. Solche retardierenden Momente gehören wie die Ausgangssituation, Tod des Vaters und Heimkehr, zu den dramaturgischen Standards von leichten TV-Dramen. Wenn sie sich in so alltagsnahe Situationen auflösen und sich in so wunderbar sommerlich-luftige Bilder verflüchtigen wie in „Ein Tisch in der Provence“, wird das Warten auf die narrative Zwischenlösung zum Vergnügen. Ob der reizvollen frankophilen Inszenierung und der lockeren Alltagsnähe des Erzählten bedarf es dieses Geheimnisses (und seiner vermeintlich spannungssteigernden Aufschiebung) gar nicht.
Das Wie kann in einer Geschichte manchmal wichtiger sein als das Was. Mehr noch als für die Highlights der ZDF-„Ein Sommer…“-Reihe gilt das für diese beiden Auftakt-Episoden. Man schaut einfach gerne zu – weil es in diesen Filmen etwas zu sehen gibt: interessante, lebensnahe Charaktere, interpretiert von Schauspielern, die alle sehr stimmig für ihre Rollen gecastet wurden, die man nur selten sonntags im ZDF sieht und die problemlos – obwohl es vornehmlich Deutsche sind – als Franzosen durchgehen können. So seltsam anfangs die „Saluts“, „Mercis“ und „Mon Dieux“ auch klingen mögen – das stimmige Ganze lässt solche kleinen Irritationen vergessen. Hier spürt man das Leben, schon allein durch das Milieu, die Natur, die Landschaft, das Wetter. Diesem luftigen Realismus kann man sich als Zuschauer nur schwer entziehen. Hinzu kommt die Sinnlichkeit, die durch die Filmsprache vermittelt wird. Gleich beim Erreichen Frankreichs fliegt einem der Sommer förmlich entgegen: Mohnblumen, Lavendelfelder, Natursteinbauten und der Wind. Dass Mutter, Tochter und Onkel mit dem Auto fahren und man als Betrachter von dieser Reise auch allerhand mitbekommt, das passt zum „natürlichen“, raumzeitlichen Konzept der Filme und betont die Bodenständigkeit der Charaktere. Diese Szenen der Autofahrt sind – wenn man so will – Vorboten der Geschichte: Es kommt Bewegung ins Leben von Vero und ihrer Familie.
Foto: ZDF / Clément Puig
Im Zentrum der Handlung steht die junge Frau, die ihrer Familie den Rücken gekehrt hat. Friederike Linke spielt sie mit offenem Blick für das Schöne, das in der alten Heimat auf die Figur wartet. Als sie das erste Mal wieder durch ihr Elternhaus geht, holt sie sich ihre Kindheitserinnerungen zurück und damit auch ein Stück ihrer Identität. Immer wieder wird angedeutet, wie schön es früher war, als die kleine Véronique im verwilderten Garten oder mit ihrem Arztkoffer in der Praxis spielte. Eine paradiesische Kindheit, die irgendwann ein jähes Ende fand. Eine gute Idee war es, die Hauptfigur zur Mutter einer kleinen Tochter zu machen. So kann ein Stück weit die Geschichte Veros ins Heute gespiegelt werden und so dürfte die Heimkehrerin auch milder gestimmt sein als ohne Kind. Dazu passt Linkes leises, sensibles Spiel, aber auch ihre Physiognomie, ihre sanfte Anmut und ein mitunter verklärter Blick (mit den Augen von vor fast 30 Jahren), der anfangs nur den schönen Dingen gilt, sich alsbald aber auch auf die Menschen ausweitet. Vero ist schnell einigermaßen versöhnt mit ihrer Mutter. Dass zwischen beiden noch nicht alles ausgesprochen ist, keine Frage; aber man kann sich wieder in die Augen sehen oder in den Arm nehmen. Es ist angenehm, dass nicht alle Konflikte so eisern Bestand haben wie der zwischen Thérèse und ihrer Schwester Catherine.
Apropos Schwestern: Aus heiterem Himmel wird Isabelle (Helen Woigk) bereits in Episode 1 der Heldin präsentiert, ihre Halbschwester, die im Übrigen nur kurzzeitig das Klischee des giftigen Störenfrieds erfüllt. In der Großstadt würde man den meisten Charakteren dieser Reihe wohl eine Psychotherapie empfehlen, in der Provence genügen schon „Herzkino“-like guter Wille und eine wiedererstarkte Familienbande, ein Kräutergarten und ein kräftiger Schuss savoir vivre. Diese Familie hat auch so beste Heilungschancen. Durch einige existentielle Probleme könnte die Familie langsam wieder zusammenwachsen. Vielleicht wird ja Veros Vision Wirklichkeit: In das Haus der Gilberts könnte bald wieder Leben einziehen, und die leeren Stühle am langen Tisch auf der Terrasse könnten wieder besetzt sein – und die wiedervereinte Familie könnte sich fühlen wie Gott in Frankreich. (Text-Stand: 10.2.2020)