Ein Sommer in Vietnam

Inez Bjorg David, Kinski, Kirdorf, Allet-Coche. Strapaziöse Frauen, illegale Adoptionen

Foto: ZDF / Vladimir Subotic
Foto Rainer Tittelbach

Eine Vietnam-Reise stellt die Biographie einer Mittdreißigerin mit ostdeutschen Wurzeln auf den Kopf: Plötzlich gibt es da eine Zwillingsschwester, doch die will zunächst nichts von ihrer anderen Hälfte wissen. Das Thema illegale Adoptionen findet in dem ZDF-Zweiteiler „Ein Sommer in Vietnam“ (Ariane Krampe Filmproduktion) gleich doppelt – DDR-historisch und als aktuell – durchaus stimmig Eingang in die Geschichte. Der Glaubwürdigkeitseffekt ergibt sich in diesem „Herzkino“-Unterhaltungsfilm vor allem aus dem alltagsnahen, nie romantisch übertriebenen Spiel der beiden attraktiven „Hingucker“ Inez Bjorg David und Nikolai Kinski, aber auch aus der Art und Weise, wie (untouristisch) das exotische Land gezeigt wird und aus einem dramaturgischen Umgang mit der Zeit, der sicherlich zunächst den 180 Filmminuten geschuldet ist, der sich bald aber als sehr angenehm erweist, weil man so u.a. der Hauptfigur immer näher kommt. Schön auch, dass auf kolportagehafte Nebenplots verzichtet wird.

Eine Vietnamreise stellt die Biographie einer Mittdreißigerin auf den Kopf
„Sie sind schon eingereist.“ Paula (Inez Bjorg David) traut ihren Ohren nicht. Ist der Pass-Scanner am Flughafen von Hanoi defekt oder gibt es eine andere Erklärung? Nachdem der Vorstellungstermin in einem Nobelhotel, in dem sie sich als Köchin beworben hatte, verschoben wurde, sie sich ihre Tasche hat klauen lassen und sich zwischenzeitlich auch noch von Dr. Danh Cao (Nikolai Kinski) im Krankenhaus hat verarzten lassen müssen, steht plötzlich ein deutscher Anwalt vor ihr und stellt ihre Biographie völlig auf den Kopf: Adoptivkind Paula hat noch eine Zwillingsschwester, Marie; davon wusste sie genau so wenig wie vom Tod ihres leiblichen Vaters an der DDR-Grenze oder der Verhaftung und späteren Ausweisung ihrer Mutter Susanne (Nadja Engel). Sie ist 2015 gestorben. Der Anwalt und beste Freund, Jan Kopetzki (Peter Prager), ist seither auf der Suche nach den beiden. Denn sie haben geerbt – ein Mehrfamilienhaus; außerdem hat der Mann, dem 1982 als einzigem des Trios die Flucht in den Westen gelang, eine emotionale Hinterlassenschaft im Gepäck: einen Videofilm, in dem die kranke Frau ihre Leidensgeschichte erzählt und die Hintergründe für die Adoption erklärt… Die beiden Schwestern sind in der DDR aufgewachsen. Während Paula einen relativ einfachen und geradlinigen Lebensweg hatte, muss Marie wohl weniger Glück mit ihrem „verdienten Genossen“-Ehepaar gehabt haben. Und so ist bei ihr, der Frau, die nach wilden Jahren in Berlin in Vietnam abgetaucht ist, die Freude über den Familienzuwachs nicht so groß wie bei Paula, als diese Marie – nach tagelanger Suche – endlich aufspürt.

Ein Sommer in VietnamFoto: ZDF / Vladimir Subotic
Auch das zweite Aufeinandertreffen führt nicht zur ersehnten „Verschwesterung“ der Zwillinge. Inez Bjorg David spielt die Unterschiede markant und doch zugleich fein.

Zufälle setzen die Handlung in Gang, die Subtexte sind umso gelungener
Wer im exotischen Ausland wie Vietnam einen Fernsehfilm dreht, der braucht schon einen Zweiteiler, damit sich der besondere Aufwand und die höheren Kosten amortisieren. Und so überrascht es nicht, dass das ZDF für seine beste Sonntagsreihe „Ein Sommer…“ für den Ausflug in die sozialistische Republik erstmals einen Zweiteiler in Auftrag gab. Während bei Abenteuerfilmen, die vornehmlich auf Spannung setzen, die doppelte Spielzeit zu mehr Handlung und dadurch meist zu einer kolportagehaften Verdichtung führen, ist bei „Ein Sommer in Vietnam“ eine allgemeine Entschleunigung zu erkennen, die dem Film aber eher guttut. In den ersten 20 Minuten muss man sich als Zuschauer allerdings an diesen Erzählrhythmus erst gewöhnen und muss über die banalen Zufälle hinwegsehen, die Autor Thomas Kirdorf („Verliebt in Amsterdam“ / „Das beste Stück vom Braten“) setzt, damit die Geschichte in Gang kommen kann: Paula wird die Tasche geklaut, sie stürzt, verletzt sich, wodurch sich die Möglichkeit ergibt, den deutsch-vietnamesischen Arzt kennenzulernen, der sich fortan rührend um sie kümmern wird. Dieser Weißkittel ist immer zur Stelle, wenn er gebraucht wird, wenn es dagegen dramaturgisch klüger ist, dass die Heldin ihren Weg zwischendurch alleine geht, dann wird er kurzfristig abberufen. Der größte Zufall ist es natürlich, dass sich die beiden Zwillingsschwestern ausgerechnet in Vietnam begegnen. Umso treffender ist dafür die Subtext-Tiefe, die dieses Land in Kombination mit der deutschen Geschichte (auch Vietnam war ja bis 1976 eine geteilte Nation und galt als sozialistisches Bruderland der DDR) und mit der Biographie der Heldinnen hergibt: Insbesondere das gedoppelte Thema der illegalen Adoptionen findet geschickt Eingang in die Handlung.

Die Zeitwahrnehmung in Vietnam spiegelt sich wider in einem Zweiteiler
Paula und der Doktor sind füreinander bestimmt: Das zeigt bereits ihr erstes Aufeinandertreffen, bei dem Inez Bjorg David und Nikolai Kinski von Regisseurin Sophie Allet-Coche für eine unverfängliche Arzt-Patientin-Situation deutlich ein paar Zentimeter zu nah voreinander postiert wurden. Und wie sich die beiden ansehen, das ist ein spürbar gegenseitige Sympathie konnotierender Blick. Er bleibt aber ein realistisch-alltäglicher Blick, wird erfreulicherweise nicht zum konventionellen Melodram-Romanzen-Augenspiel. Diese mimische Feinheit lässt sich auf die 180 Filmminuten hochrechnen. Viele Abläufe erscheinen ein bisschen so wie im Leben. Es dauert – bis man jemanden findet, den man sucht; das hängt auch mit Vietnam zusammen, einem Land, in dem Busse, Wassertaxis und natürlich der Buddhismus das Lebenstempo maßgeblich mitbestimmen. Es hängt eben nicht nur damit zusammen, dass man Zeit gewinnen muss, um die 180 Minuten voll zu kriegen. Die Zeit wird im Übrigen auch genutzt, um der Hauptfigur näher zu kommen. Wir sehen, wie Paula nach einem Fieberanfall orientierungslos durch das fremde Land taumelt, wo sie außerhalb Hanois keiner versteht und wo dann auch noch ihr Handy den Geist aufgibt. Das ist eine durchaus realistische Erfahrung, die die Identifikation mit ihr erhöht, einer Frau, die gern alles selbst in die Hand nimmt, aber in diesem Land immer wieder an Grenzen stößt und sich von ihrem neuen Lover helfen lassen muss. Solche alltäglichen Herausforderungen bleiben einem im „Herzkino“ sonst vorenthalten. Auch die Ex-Partner werden dramaturgisch anders eingesetzt als in herkömmlichen Romanzen. In „Ein Sommer in Vietnam“ bekommt die Beziehung des „Paares“ etwas Selbstverständliches; die „Ehemaligen“ sind keine echte Konkurrenz, allenfalls zwei Störfaktoren für die Handlung. „Wie verheiratet bist du denn noch?“, will einmal Danh wissen – und sucht erst mal das Weite, um offenbar wenig später einzusehen, dass einem Mann, der gern Buddha und Konfuzius zitiert, Eifersucht alles andere als gut zu Gesicht steht. Auch Paula überreagiert nur ein einziges Mal, als sie heimlich die SMS von Danhs Ex liest.

Ein Sommer in VietnamFoto: ZDF / Vladimir Subotic
Lost in Vietnam. Außerhalb von Hanoi gibt es miesen Handy-Empfang, kaum Englisch sprechende Menschen und die Tiere sind auch keine Hilfe. Auch wenn nicht viel passiert, solche Szenen sind wichtig für den Realismus-Eindruck des Films.

„Realismus“ im Bild und im Spiel von Inez Bjorg David und Nikolai Kinski
Neben Vietnam, seiner Landschaft, dem Meer und dem Treiben in der Stadt, was alles weniger als Hochglanztapete und touristisches Augenfutter, sondern vielmehr als realistisch anmutender Hintergrund von Allet-Coche und ihren Kameramännern, dem „Ein Sommer“-erfahrenen Vladimir Subotic und Simon Farmakas, eingesetzt wird, sind es vor allem die Hauptdarsteller, die diesem Sonntagsfilm im ZDF ihren unverkennbaren Stempel aufdrücken. Abgesehen davon, dass Inez Bjorg David und Nikolai Kinski zwei außergewöhnlich gutaussehende Schauspieler sind, ist es vor allem aber ihr zurückgenommenes, alltagsnahes Spiel, das für ihre Figuren einnimmt. Und wo David, die auch ihre Doppelrolle überzeugend meistert, ihren Figuren eine gewisse Umtriebigkeit mitgibt, setzt Kinski auf eine stoische Gelassenheit und Selbstgewissheit, die seinen Arzt zum Fels in der Brandung dieser Geschichte werden lässt. Während im ersten Teil Paulas Suche nach der Schwester im Zentrum steht, punktet „Ein Sommer in Vietnam“ im zweiten Teil – durchaus ernsthaft und erhellend für einen Unterhaltungsfilm – mit dem Thema der illegalen Adoptionen, damals in der DDR und heute in Vietnam. Die Verwicklung der Schwester in diese kriminellen Machenschaften wird zwar als neuer Konflikt etabliert, aber passend zur eher „realistischen“ Tonlage des Films zu keiner Zeit übermäßig dramatisch ausgespielt. Sehr geschickt – als filmisch reizvoll präsentierte Informationsquelle – eingesetzt wird der Videofilm der verstorbenen Mutter. Hier fließen das eine oder andere Mal Tränen bei der Heldin. Auch für den Zuschauer sind diese Szenen nicht nur wichtig, um die Backstory zu verstehen, sondern sie sind gleichzeitig auch sehr anrührend, weil die Situation und das Gesagte glaubhaft erscheint. Ähnlich klar vermittelt wird auch das, was der befreundete Anwalt an DDR-Geschichte (beispielsweise die Haft der Mutter im Frauengefängnis Hoheneck) zu vermitteln hat. Das ist konzentriert und unaufgeregt. Passend zu den gelegentlich eingestreuten philosophischen Weisheiten. Apropos. „Was würde Konfuzius jetzt sagen?“, fragt Paula am Ende ihren allwissenden Danh. Der lächelt nur: „Konfuzius ist abgeschafft… Weil er keine Ahnung hat von strapaziösen mitteleuropäischen Frauen.“

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Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Inez Bjorg David, Nikolai Kinski, Peter Prager, Jean-Ives Berteloot, Megan Gay, Fang Yu, Nadja Engel, Julian Weigend

Kamera: Vladimir Subotic, Simon Farmakas

Szenenbild: Jörg Baumgarten

Kostüm: Kristin Horstmann

Schnitt: Günter Heinzel

Musik: Biber Gullatz, Moritz Freise, Andreas Schäfer

Redaktion: Rita Nasser

Produktionsfirma: Ariane Krampe Filmproduktion

Produktion: Ariane Krampe

Drehbuch: Thomas Kirdorf

Regie: Sophie Allet-Coche

Quote: 1. Teil: 4,24 Mio. Zuschauer (13% MA); 2. Teil: 4,22 Mio. (12,5% MA)

EA: 16.09.2018 20:15 Uhr | ZDF

weitere EA: 23.09.2018 20:15 Uhr | ZDF

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