Ein Sommer in Südtirol

Jüttendonk, Stemberger, Krassnitzer, Kirdorf, Meeder. Deutsch-italienischer Clinch

Foto: ZDF / Stefan Ditner
Foto Rainer Tittelbach

Es steckt viel Geschichte in der 37. Episode aus der „Ein Sommer…“-Reihe. Autor Thomas Kirdorf hat ein reales Ereignis, jene Südtiroler Feuernacht aus dem Frühsommer 1961, mit den „Herzkino“-üblichen privaten Problemlagen, die ebenso in die Vergangenheit zurückreichen, kombiniert – und daraus ein Drehbuch verfasst, aus dem Regisseurin Karola Meeder in ihrem fünften Beitrag zu dieser Reihe einen sehenswerten romantisch-dramatischen ZDF-Sonntagsfilm gemacht hat. Redaktion und Produktion haben offenbar erkannt, dass in Zeiten eines komplexeren Geschichtenerzählens selbst im Unterhaltungsfilmgenre Love Storys mit etwas Sightseeing und kulturgeschichtlichen oder politischen Einlagen  nur noch selten abendfüllend sind. Das größte Plus von „Ein Sommer in Südtirol“ (Ariane Krampe Film) ist es aber, die Fülle an bekannten Erzählmotiven nicht klischeehaft wirken zu lassen, sondern sie clever zu einer dichten Erzählung zu weben, die einen emotional stimmigen Flow beim geneigten Zuschauer erzeugen. Dramaturgische Details & ein Top-Cast wirken Wunder.

Nur selten noch zieht es Franziska (Maike Jüttendonk) in die alte Heimat. Mit 18 hat sie fluchtartig das Südtiroler Weingut ihrer Eltern verlassen, nachdem ihr Vater Josef Gasser (Harald Krassnitzer), ein ewig Gestriger, ihren italienischen Freund vom Hof gejagt hat. Neben der falschen Nationalität auch noch ein Antonelli, das war ein Grund mehr für den Vater, rot zu sehen. Einige Male kreuzten sich in der Vergangenheit die Lebenswege der beiden Familien – und glaubt man dem alten Gasser, so seien es stets verhängnisvolle Beziehungen gewesen, die zurück gehen bis ins Jahr 1961, in jene Bombennacht der Südtiroler Befreiungsbewegung. Dass jetzt, nach einem Autounfall, ausgerechnet wieder einer dieser italienischen Sippe, Marco Antonelli (Sami Loris), sein behandelnder Arzt ist, und dieser auch noch ein Auge auf seine Tochter geworfen hat, das hält er für ein ganz schlechtes Omen. Franzi hat nach einer gescheiterten Ehe allerdings erst mal andere Probleme. Die Weinlese steht vor der Tür, ihr Vater fällt aus, und sie ist eigentlich auf den Sprung nach Deutschland zu ihrer neuen Stelle als Kellermeisterin. Ihrer Mutter Theresa (Julia Stemberger) zuliebe verlängert sie ihren Aufenthalt. Auch, weil sie noch einem Familiengeheimnis ihres Großvaters auf der Spur ist und nach dem passenden Pächter für den Weinberg sucht. Dass der ausgerechnet Antonelli heißen könnte, treibt den Vater sogar noch mehr zur Weißglut als die Tatsache, dass auch Franziska Interesse an dem sanftmütigen Familienmenschen Marco zeigt.

Ein Sommer in SüdtirolFoto: ZDF / Stefan Ditner
Die nachhaltigste Szene des Films: Das Geheimnis des Großvaters kommt auf den Tisch. Hat der Sohn, Josef Gasser (Harald Krassnitzer), etwas davon gewusst? Tochter Franziska (Maike Jüttendonk) stellt ihn zur Rede. Was folgt, ist beredtes Schweigen.

Es steckt viel Geschichte in der 37. Episode aus der „Ein Sommer…“-Reihe. Im wahrsten Sinne des Wortes. Autor Thomas Kirdorf hat ein reales Ereignis, jene Südtiroler Feuernacht aus dem Frühsommer 1961, mit den „Herzkino“-üblichen privaten Problemlagen, die ebenso in die Vergangenheit zurückreichen, kombiniert – und daraus ein Drehbuch verfasst, aus dem Regisseurin Karola Meeder in ihrem fünften Beitrag zu dieser Reihe einen sehenswerten romantisch-dramatischen ZDF-Sonntagsfilm gemacht hat. Ähnlich wie zuletzt bei „Ein Sommer in Antwerpen“ (2021) haben Redaktion und Produktion offenbar erkannt, dass in Zeiten eines komplexeren Geschichtenerzählens selbst im Unterhaltungsfilmgenre reine Liebesgeschichten mit etwas Sightseeing und kulturgeschichtlichen oder politischen Einlagen – selbst wenn alles so locker und luftig daherkommt wie in den Highlights dieser Reihe – nur noch selten abendfüllend sind. Das größte Plus von „Ein Sommer in Südtirol“ ist es aber, diese Fülle an bekannten Erzählmotiven nicht klischeehaft wirken zu lassen, sondern sie clever zu einer dichten Erzählung zu weben, die einen emotional stimmigen Flow beim Zuschauer erzeugen kann. Vorausgesetzt, er verschließt sich nicht diesem Genre, dem trotz zeitgemäßer Themen in seinen dramaturgischen Grundmustern nach wie vor zu wenig Spielraum bleibt.

Im Detail indes funktioniert „Ein Sommer in Südtirol“ vorzüglich – auch, weil viele Szenen einen unerwarteten Verlauf nehmen, indem immer wieder A-, B- und C-Plot gegenseitig ausgetauscht werden. Gerade ist die Heldin auf ein historisches Rätsel gestoßen, zu dem sie den liebenswürdigen Arzt gern befragen würde, nimmt man als Zuschauer an, als sie in der Klinik auftaucht. Doch dann lenkt ein Anruf das Geschehen in eine andere Richtung: Der Doktor hat einige Szenen zuvor die alkoholisierte Blutprobe der Heldin heimlich ausge-tauscht; jetzt kommt die Nachricht, dass sie ihren Führerschein zurückbekomme. Gleich darauf eilt Dr. Antonelli zum nächsten Termin; überhaupt bereichern dessen Berufsalltag und Franzis „Rastlosigkeit“ die Dramaturgie und motivieren damit auch den flotten Erzähl-Rhythmus. Selbst beim nächsten Zusammentreffen des Liebespaars in spe kein Wort von der ominösen Holzkiste des Großvaters. Der Ausflug in die Berge ist eher der Herzensbildung gewidmet. Fast will man dies schon als dramaturgischen Fauxpas verbuchen, da macht Kirdorf in der nächsten Szene des Paares alles wieder gut. „Ich wollt dir noch was zeigen – schon länger“, beginnt Franziska den Geschichtsexkurs. Die Szene ist auch filmisch bemerkenswert: Während im Dialog die Vergangenheit auflebt, sitzt die Heldin vor einer Tapetenwand, die offenbar ihren Heimatort im Vintage-Look abbildet. Auch das Szenenbild (Andrea Audino) im Hause Gasser ist gut getroffen, vermitteln sich in ihm doch unter anderem die Macht-Verhältnisse des Ehepaars: Dem Gatten jedenfalls traut man diesen guten Geschmack nicht zu. Der Josef mag noch so mit ihr granteln, im Haus hat Theresa das Sagen. Und nach dem Unfall bald mehr denn je: „Mein Weg ist noch lang nicht zu Ende“, schimpft der Mann, der in der gleichen Szene nicht mal mehr sein Schnitzel selbst zerkleinern kann und sich von seiner Frau und später sogar von seinem unerwünschten italienischen Bettnachbar helfen lassen muss.

Ein Sommer in SüdtirolFoto: ZDF / Stefan Ditner
Natürlich wird auch noch die Weinlese sinnlich ins Bild gesetzt. Und alle packen mit an. Aber nicht alle Probleme sind zwischenmenschlich. Auch das Verhältnis Mensch vs. Natur wird ganz beiläufig in einen Dialog eingebaut, indem der historische „Wahnsinn“ Südtirols mit dem künftigen Klimakatastrophen-Wahnsinn verbunden wird

Dass die narrativen Stereotypen in diesem Film vornehmlich als solche nicht wahrgenommen werden – das liegt vor allem am nuancierten Spiel der vier Hauptdarsteller. So macht Harald Krassnitzer aus diesem elenden Miesepeter einen Mann, dessen politische Rückständigkeit zwar nur schwer nachzuvollziehen ist, dessen Überreaktionen dieses Mannes der Tat ob seiner aktuellen Ohnmacht dafür umso verständlicher sind. An seiner Seite Julia Stemberger, für einen guten „Herzkino“-Film ist stets ein Gewinn und speziell für diese Rolle als unbefriedigte Gattin eines Workaholic-Winzers eine sehr gute Besetzung. Für den Schweizer Sami Loris („Im Netz der Camorra“) braucht man als Zuschauer ein paar Szenen, um dessen Qualitäten zu erkennen. Da geht es einem ähnlich wie der Heldin, die die erste ungeschickte Anmache des Dottore schlagfertig abkürzt: „Oder Sie rufen mich einfach an, wenn Sie genauer wissen, was Sie wollen. Ansonsten würde ich mich jetzt gern allein betrinken.“ Maike Jüttendonk („KBV – Keine besonderen Vorkommnisse“) zeigt in ihrer ersten Hauptrolle, dass ihr nicht nur das Leichte liegt, sondern sie auch im Drama mit den namhaften Kollegen mithalten kann.

Soundtrack: Pentatonix („Can’t Sleep Love“), Amy Winehouse („Our Day Will Come“), Dianne Reeves feat. George Duke & Nadia Washington („Feels So Good – Lifted“), Koop („Summer Sun“), Willis Alan Ramsey („Muskrat Love“), Jarle Shavhellen („Pilots“), Steve Tyrell („I’ve Got A Crush On You“), Earth Wind & Fire („September“)

In der nachhaltigsten Szene des Films bekommt es Jüttendonk mit Krassnitzer zu tun. Ein Kräftemessen zwischen argumentierender Tochter und angeschlagenem Vater. Es sind vier Minuten, die tiefer gehen als die meisten ZDF-Sonntagsfilme. Es ist eine Szene, die über die Physis auf die Psychologie verweist, die die Entfremdung sinnlich spürbar macht und somit wahrhaftiger und unmittelbarer wirkt als jede Plot-Konstruktion, die die Schatten der Vergangenheit mit unglücklichen Verkettungen von Ereignissen kurzschließt. Der Vater muss es richten. Nur wenn er sich verändert, kann es eine Lösung der Probleme geben. Das freilich erkennt man erst so richtig am Ende. Krassnitzer antizipiert den Sinneswandel seiner Figur allerdings schon lange vor der Ein-Tisch-in-Südtirol-Schlussszene durch sein Spiel: So sehr sein Winzer kurz vorm Altenteil auch cholerisch poltert oder sich in Selbsthass flüchtet, sieht man ihn schon früh sehr nachdenklich. Zwei Mal wird am Ende einer Szene diese Nachdenklichkeit im Bild zehn, fünfzehn Sekunden gehalten, bevor geschnitten wird. An „Ein Sommer in Südtirol“ kann man also ein besonderes Vergnügen haben, wenn man etwas genauer hinschaut. Aber auch das Gegenteil dürfte Laune machen: Das Ganze einfach laufen lassen wie einen süffigen Sauvignon – mit einem gut gefüllten Weinglas in der Hand…

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Reihe

ZDF

Mit Maike Jüttendonk, Sami Loris, Julia Stemberger, Harald Krassnitzer, Michele Oliveri, Elisabeth Kanettis, Holger Christian Gotha, Emilio Di Marchi, Giada Fortini, Julia Princigalli

Kamera: Stefan Ditner

Szenenbild: Andrea Audino

Kostüm: Teresa Grosser

Schnitt: Günter Heinzel

Musik: Dominik Giesriegl

Redaktion: Beate Bramstedt, Rita Nasser

Produktionsfirma: Ariane Krampe Filmproduktion

Produktion: Ariane Krampe

Drehbuch: Thomas Kirdorf

Regie: Karola Meeder

Quote: 4,52 Mio. Zuschauer (14,2% MA)

EA: 19.09.2021 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

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