Ein Sommer in Florida

Suzanne von Borsody, Matti Schmidt-Schaller & "Herzkino"-Lockerungsübungen

Foto: ZDF / Kenneth Rexach
Foto Rainer Tittelbach

Reisen verändert den Blick. Was für die ZDF-Reihe „Ein Sommer in…“ gilt, kommt in „Ein Sommer in Florida“ besonders zum Tragen. Eine vaterlose Familie lässt vom amerikanischen Lifestyle ihr (nord)deutsches Leben auf den Kopf stellen. Buch und Film bestechen durch die Engführung von Narration, Psychologie und Schauplatz: Zwei Bücherwürmer entdecken ein Stück weit die Leichtigkeit des Seins; die Florida-Bilder spiegeln nicht nur das Lebensgefühl des Sonnenstaates, sondern sie stehen immer auch in Bezug zur Geschichte. Diese Figuren sind mehr als Marionetten, die an den Fäden der üblichen Schönwetterdramaturgie hängen. Und das so beliebte Thema „Loslassen“ ist hier mehr als ein „Herzkino“-Gemeinplatz.

„Dieses Land stellt unser Leben auf den Kopf“
Ocean Drive, Seven Mile Bridge, Key West – das Urlaubsparadies Florida lockt. Es wird vorerst die letzte Reise sein, die Henriette Stetter (Suzanne von Borsody) mit ihren volljährig gewordenen Kindern unternimmt. Die Zwillinge Mara (Anna Bullard-Werner) und Nils (Matti Schmidt-Schaller) verlassen demnächst gemeinsam das heimische Kiel in Richtung Berlin. Für die allein erziehende Mutter keine leichte Situation. Der dreiwöchige Trip nach Miami ist also auch ein Abschied. Gut, dass Henriette sich etwas Arbeit mitgebracht hat: Die Meeresbiologin hat eine Schildkröte im Gepäck, die sie am Strand Floridas mit Hilfe ihres amerikanischen Kollegen Peter Walters (Brian Tester) auswildern möchte. Den Rest der Zeit will sie so viel wie möglich mit ihren Kindern verbringen. Die haben aber rasch Anschluss gefunden und stehen nicht sonderlich auf Muttis Barbecue- und Ausflugsprogramm. Und so verbringt die wehmütige, etwas enttäuschte Mutter notgedrungen immer mehr Zeit mit dem Exil-Kubaner Miguel Perez (Bruno Irizarry), der ihr in Miami ständig über den Weg läuft. Doch die Deutsche ist – im Gegensatz zum lebenslustigen und freiheitsliebenden Südamerikaner – nicht der Typ für eine Urlaubsaffäre. Vielleicht ist es von ihrer Seite her ja auch mehr? „Dieses Land stellt unser ganzes Leben auf den Kopf“, bilanziert Henriette mit einem Lächeln. Denn auch Mara und Nils, der sich Hals über Kopf in Peter Walters Tochter Lucy (Taisha Roman) verliebt hat, sind dabei, ihre Zukunftspläne noch einmal grundlegend zu überdenken.

Ein Sommer in FloridaFoto: ZDF / Kenneth Rexach
Der Gegensatz zu der Reizüberflutung in Miami: Flussfahrt mit Schildkröte. Suzanne von Borsody, Anna Bullard-Werner, Matti Schmidt-Schaller und Taisha Roman

Engführung von Plot, Psychologie & Schauplatz
Reisen verändert den Blick und schärft ihn fürs Wesentliche. Mit dieser Erfahrung, die der Fernsehzuschauer ja auch im Alltag immer wieder selbst machen kann, unterfüttert die ZDF-Reihe „Ein Sommer in…“ seit 2009 das romantische „Herzkino“-Konzept am Sonntag. „Ein Sommer in Florida“, Episode 19, besticht vor allem durch die Engführung von Narration, Psychologie und Schauplatz. Anders als beispielsweise in den kontemplativeren Island- und  Lanzerote-Filmen kommen hier nicht stressgeplagte Figuren runter von ihrem Alltags-Jetlag, sondern die vaterlose Familie aus dem kühlen Norden Deutschlands darf sich in der noch immer Neon leuchtenden Heimat von Crockett & Tubbs emotional ein wenig aufwärmen. Mutter und Sohn, zwei Bücherwürmer, entdecken ein Stück weit die Leichtigkeit des Seins; dass sie dabei ihre verkopfte Wesensart nicht völlig aufgeben – sprich: die Schauspieler ihre Figuren nicht verraten – müssen, gehört zu den Stärken des Films. Auch für die Tochter, das Gegenbild, anfangs eine oberflächliche und damit für manch einen Zuschauer schwer gewöhnungsbedürftige Shopping Queen, scheinen sich neue Perspektiven zu ergeben. Die Familienkonstellation hat Autorin Christine Hartmann – gemessen an einem Unterhaltungsfilm – psychologisch stimmig entwickelt. Das in TV-Melodramen so beliebte „Loslassen“ wird auch hier zum Herzstück der Handlung. Dadurch aber, dass die Betroffenen das „Thema“ selbst ansprechen und reflektieren, ja, dass selbst die Dopplung des Motivs, die Auswilderung der Schildkröte, zum Gegenstand eines Gesprächs über die flügge gewordenen Kinder wird, denen die Mutterglucke am liebsten auch einen Peilsender verpassen würde, bekommt das Mutter-Kind-Verhältnis die gebührende Alltagsnähe. Auch die Vernunft von Mutter und Sohn, das Übervorsichtige, hat gute Gründe. Und so bestätigt sich der erste Eindruck: Diese Figuren sind mehr als Marionetten, die an den Fäden der üblichen Schönwetterdramaturgie hängen.

Soundtrack:
Miami Horror („American Dream“ / „Summersun“ / „Holidays“), Nicky Jam & Enrique Iglesias („El perdón“), M.O.P. („Ante Up“), Coldplay („Birds“ / „Adventure of a Lifetime“), Chromeo („Jealous“), Los Camperos („La ultima noche“), Mayra Veronica („Mama mia“), Rhye („The Fall“), Minnie Ripperton („Inside my Love“), Pink Martini („No hay problema“), Annie („Anthonio“), Dave Grusin („Hurricane Country“), Harry Belafonte („Try to remember“), Mayito Rivera („Guachipupa“), Betty Comden, Adolph Green & Bill Nighy („Make someone happy“)

Ein Sommer in FloridaFoto: ZDF / Kenneth Rexach
Begegnung in Florida: die Norddeutsche (von Borsody) & der Exil-Kubaner (Bruno Irizarry). Die Anverwandlung der typisch amerikanischen Erzählweise funktioniert hier (noch) besser als in den Katie-Fforde-Filmen.

Die Oberfläche, die Tiefe & ein wahres Gefühl
Miamis Reizflut und die sonnenverwöhnte Umgebung haben Regisseur Michael Wenning und sein Kameramann Angel Barroeta luftig, kontrastreich und sehr wirkungsvoll ins Bild gesetzt. Dominierte gerade noch die flott montierte Zeichenwelt der postmodernen Großstadt, finden sich Protagonisten wie Zuschauer wenig später in der Einsamkeit eines Strandes oder einer Flusslandschaft wieder. Große Sinnlichkeit atmet auch das Nachtleben im Film. Vom American Style einer Beach-Party geht es in einen Kuba-Club mit Live-Musik. Mit den Salsa-Rhythmen kommt Schwung in die Bilder; dass jeder genau weiß, was sich hier anbahnen wird, kann man da beinah vergessen. Das Lebensgefühl schiebt sich vor die Klischees. Die Locations mit ihrer glanzvollen Oberfläche und die fürs „Herzkino“ verhältnismäßige Tiefe einiger Charaktere überdecken das altgediente Handlungsmuster, das der Film – das darf bereits verraten werden – bedient. Konventionell ist auch Hartmanns Informationspolitik, was sensiblen Betrachtern in den ersten Minuten den Zugang etwas erschweren könnte: kein Nebensatz ohne eine essentielle Info über Henriette Stetter & Co. Der Zuschauer ist zwar dadurch rasch im Bilde, doch besonders sexy ist diese Art der Kommunikation nicht. Fast gänzlich außen vor bleiben wie zumeist auf diesem Sendeplatz die politischen Zwischentöne. Da muss der eine oder andere Dialogsatz genügen – über das aufgehobene Handelsembargo Kubas, das nur den Reichen und der Regierung nutze, oder über hiesige Geflogenheiten: „Die können uns doch nicht einfach einsperren“, echauffiert sich die Heldin, nachdem sie und ihr Lover bei illegalen Tierhändlern eingebrochen waren. Antwort des Exil-Kubaners: „Du hast keine Ahnung, was die Amis so alles können.“ Aber in „Ein Sommer in Florida“ gibt es nicht nur markante Sätze, sondern immer wieder auch Bilder, die vor allem zu Herzen gehen. Einmal liegen die Zwillinge eng umschlungen und schlafend auf der Couch und die Mutter deckt sie zu. Eine andere Szene zwischen Henriette und ihren „Kindern“ im Schlussteil ist besonders nah am Wasser gebaut. Diese Gefühle funktionieren so gut, weil die Macher die Zuschauer, besonders Eltern mit (fast) erwachsenen Kindern, bei ihren eigenen Erfahrungen abholen, anstatt den Emotionspegel künstlich hochzuziehen. (Text-Stand: 24.3.2016)

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Reihe

ZDF

Mit Suzanne von Borsody, Matti Schmidt-Schaller, Bruno Irizarry, Anna Bullard-Werner, Taisha Roman, Brian Tester, Millie Ruperto

Kamera: Angel Barroeta

Szenenbild: Marc Greville-Morris

Musik: Nikolaus Glowna, Ludwig Eckmann

Produktionsfirma: Ariane Krampe Filmproduktion

Drehbuch: Christine Hartmann

Regie: Michael Wenning

Quote: 4,41 Mio. Zuschauer (12,4% MA)

EA: 03.04.2016 20:15 Uhr | ZDF

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