Über Tania Blixen zu recherchieren ist für die Hamburger Übersetzerin Lena (Sandra Borgmann) nur ein Vorwand – in Wahrheit will sie die Reise nach Kopenhagen dazu nutzen, endlich ihren Vater (Peter Sattmann) kennenzulernen. Der hat sich vor über 30 Jahren von ihrer Mutter getrennt und lebte fortan mit seiner zweiten Frau, einer Dänin (Jannie Farschou), ein internationales Aussteiger-Leben: Ibiza, Bali, Thailand – darüber hat er wohl seine Tochter vergessen. Seit einigen Jahren haben sich die beiden in Kopenhagen niedergelassen und leben nun in der Hippie-Hochburg Christiania. Lena gibt sich erst mal nicht zu erkennen. Sie will den Vater auf die Probe stellen. Als er ihr ins Gesicht sagt, dass er keine Tochter hat, sitzt sie Minuten später schon wieder auf gepackten Koffern. Wäre da nicht die Zufallsbekanntschaft Mads (Rasmus Botoft), ein Tania-Blixen-Experte und lebenskluger Berater mit der Option auf mehr, wäre Lena längst schon wieder in Hamburg. So aber lässt sie sich den Kopenhagen-Aufenthalt mit „Jenseits-von-Afrika“-Flair stilvoll und ironisch von diesem unkonventionellen Mann versüßen, der sich seine Freizeit mit Geocashing vertreibt. Aber ist nicht dieser Mads auch so einer wie ihr Vater, der für Familie nichts von seinem Ego aufzugeben bereit ist?!
Exkurs: Das Kino-TV-Melodram im Wandel
Die frühen Kinomelodramen wie „Vom Winde verweht“ (1939) sollten mit großen Gefühlen und überdimensionierten Geschichten die Zuschauer überwältigen. Mit Douglas Sirk („In den Wind geschrieben“) drangen in den 1950er Jahren diese großen Gefühle in den Alltag ein; mit Fassbinder („Angst essen Seele auf“) wurden sie noch ein Stück weit politischer und ästhetisch gebrochener. Im Fernsehen werden sie heute konkret kombiniert mit dem, was man Selbstfindung nennt. Ein genuin psychologisches Genre sollte – insbesondere in einem Medium, das vom Mythos getragen wird, die Wirklichkeit mehr oder weniger abzubilden – darauf reagieren, wenn sich seine gesellschaftlichen Parameter verschieben, beispielsweise durch veränderte Geschlechter- und Rollenbilder oder neue ästhetische Wertmaßstäbe. Das alles hat dem TV-Melodram den großen emotionalen Zauber, aber auch seinen übermäßigen Kitsch-Faktor genommen.
„Ein Sommer in Dänemark“ tastet sich langsam heran an die Geschichte jener Enddreißigerin, die ihre vaterlose Kindheit und Jugend immer noch als schmerzhafte Wunde empfindet. Da ist das Tania-Blixen-Buch, aus dem ein Foto fällt, auf dem ein Mann und ein kleinen Mädchens am Strand zu sehen sind. Dann die erste Begegnung mit dem Mann, von dem sie nicht weiß, was sie von ihm halten soll, der aber ihre Vorurteile zu bestätigen scheint. Sogleich kommt es bei ihr zu dem typischen Fluchtimpuls, der quasi zum psychologischen, aber auch visuellen Leitmotiv der Heldin im Film werden soll. Der Zuschauer nähert sich mit den Augen der jener Lena – inklusive ihrer Ängste und der Trockenheit im Hals – dem Lebensumfeld ihres Vaters. So etwas bekommt man selten präsentiert im ZDF-„Herzkino“. Erst nach über 30 Minuten erklärt sich die Heldin ihrem Lover in spe – und erzählt ihm ihre viel zu kurze Vater-Tochter-Geschichte. Die Perspektive ist aber nicht nur das Geheimnis der Erzählweise, die Perspektive bzw. ihr Wechsel ist auch immer wieder Teil der Story. Nachdem der Däne der Deutschen deutlich gemacht hat, dass nur ein solcher Perspektivwechsel ihr Leben verändern könne, heben die beiden in Redford-Streep-Manier vom Boden ab und schauen sich Dänemark von oben an. Danach ist die Heldin wie verwandelt: die Strenge ist einer sanften Verträumtheit gewichen. Doch Sandra Borgmann hat ihre kühle Hamburgerin auch schon zu Beginn nicht übertrieben als kalten Fisch, höchstens als leidlich verunsicherte Frau auf einer psychisch anstrengenden Mission, verkörpert. In Filmen wie „Liebe am Fjord – Das Ende der Eiszeit“ oder „Fluss des Lebens – Wiedersehen an der Donau“ hat sie bereits gezeigt, wie viel mehr auch im TV-Melo mit einer guten Schauspielerin möglich ist als mit der „üblichen“ Besetzung.
Die „Herzkino“-Formate im ZDF
Da gibt es Sadlos „Inga-Lindström“-Reihe: sehnsuchtsvolle „Puppenstubenfilme“ aus Schweden, nicht immer frei von zwischenmenschlichen Banalitäten und dramaturgischen Trivialitäten. Da sind die Plot-Monster aus Cornwall, sehr freie Adaptionen der Kurzgeschichten von Rosamunde Pilcher, die zunehmend auch für Genre-Mixturen offen sind. Versuchen diese beiden „Herzkino“-Reihen häufig, die Sehnsucht nach den guten alten Zeiten ein Stück weit aufrechtzuerhalten, suchen die im Bundesstaat New York spielenden und an Originalschauplätzen gedrehten „Katie-Fforde“-Filme die unbegrenzten Möglichkeiten des modernen Lebens zwischen Geschlechterfragen und Lebenskrisen, zwischen Todeskämpfen und zweiten Chancen. Die „Offenheit“, anfangs auch die Flüchtigkeit, menschlicher Beziehungen rückt die „Ein Sommer in“-Reihe ins Zentrum: auch Land & Leute, das Filmische & das Visuelle spielen häufig eine wichtige Rolle. Dramaturgisch & figurentechnisch bietet diese „Herzkino“-Reihe die vielfältigsten Möglichkeiten.
Auch wenn es immer wieder die genreüblichen Kniffe und Wendungen geben muss, ein kleiner Unfall zur rechten Zeit, der falsche Satz im falschen Moment („Du bist wie deine Mutter“), eine Ex-Partnerin, die wieder auf der Matte steht etc., damit die Geschichte ihre Balance behalten kann, macht „Ein Sommer in Dänemark“ doch den Eindruck eines durchaus erwachsenen Melodrams, das mehr oder weniger klug mit den Klischees spielt. Es ist vor allem der Versuch, der Liebesgeschichte eine größere Dichte zu geben, nicht durch ausgedachte, „unrealistische“ Nebenplots, sondern durch biographische Spiegelungen und atmosphärische Diskurse. Das mag in der Art und Weise, wie die Liebesgeschichten des Vaters und der Tochter in Beziehung gesetzt werden (zerstört sie, wenn sie sich für Mads entscheidet, nicht das für die kleine Stine, nachdem sie sich einst als Kind so sehr gesehnt hat: eine heile Familie?), relativ konventionell sein, kann aber auch wie durch die spielerischen Einschübe der Blixen-Biographie Themen, insbesondere den Geschlechter- und Rollendiskurs, geschickt andiskutieren, Lebenshaltungen und historischen Wandel deutlich machen. Alles natürlich im Rahmen des Genres. Dieser Film von Imogen Kimmel nach dem Drehbuch von Katrin Ammon ist kein „ernsthaftes“ Drama, das empirisch der Wirklichkeit standhalten kann und will. Wenn hier etwas verhandelt werden soll, dann ist es die Politik der Gefühle – und da hat jeder dann seine sehr persönlichen Argumente und Sichtweisen. Die Macht der Gefühle wird allerdings hier nicht klein geredet oder gar wegrationalisiert. Darin ist der Film lange Zeit konsequent – auch wenn dem Genre weniger zugeneigte Zuschauer hier wohl wie immer „Küchenpsychologie“ wittern werden („Du hast Angst, verlassen zu werden“). Die besondere Qualität dieses gelungenen Beitrags aus der ZDF-Reihe „Ein Sommer in“, ist letztlich die Art und Weise, wie hier Bildmotive und Metaphern sinnlich & sinnhaft zusammengebunden werden, was sich sehr schön und plausibel in dem Satz „Weglaufen macht einsam“ verdichtet. Denn wer will schon wie Tania Blixen mit ihrem Hund begraben werden?!