„Die Krabbe ist in ihrem Loch ein großer Herr.“ Isabel Burger (Friederike Linke), eine schwer gebeutelte Start-Upperin, Mitte 30, versteht bald, was der griechische Notar damit sagen will. Die junge Frau hat von ihrem biologischen Vater, den sie kaum kannte, ein Haus auf Kreta geerbt. Ein Segen, sitzt ihr doch der Insolvenzverwalter im Nacken. Doch ein Verkauf ist nicht einfach, hat sich hier doch die sprichwörtliche „Krabbe“ rechtmäßig eingenistet. Sofia Kastanakis (Despina Pajanou), die Ex-Frau ihres Vaters, hat ein kostenfreies Wohnrecht auf Lebenszeit. Und auch für deren Sohn Silas (Varol Sahin), der nach der Trennung von seiner Frau Despina (Chryssanthi Kavazi) in dem rnovierungsbedürftigen Haus in Meer-Nähe wieder mit seinem Sohn Nikos (Felix Bartels) wohnt, ist es existentiell wichtig, dass alles so bleibt, wie es ist. Denn er betreibt an diesem Ort seit Jahren seine Oliven-Manufaktur. Isabel hat dafür Verständnis; allerdings benötigt sie mindestens 200.000 Euro, um ihre Gläubiger zufriedenzustellen. Bekommt sie das Geld nicht rechtzeitig zusammen, könnte über eine Zwangsversteigerung ein Investor ins Spiel kommen. Das wäre die schlechtmöglichste Lösung, auch für die Kastanakis, macht Makler Markos (Adam Bousdoukos) seinem Freund Silas klar. Also bemüht sich dieser, Isabel nicht länger als eine Gefahr für sein Leben zu sehen.
Soundtrack: Lenka („Roll With The Punches“), Haris Alexion („Ena Fili“), The Weepies („World Spins Madly On“), Galt MacDermot, James Rado & Co („I Got Life“ aus „Hair“), Damien Rice („Cannonball“), Saint Etienne („Sun In My Morning“), Angus & Julia Stone („Another Day“), Lianne La Havas („Good Goodbye“), Ane Brun („Make You Feel My Love“), Jack Johnson („Upside Down“), Katie Melua („Wonderful Life“)
Gleicht man „Ein Sommer auf Kreta“ ab mit den anderen 41 Filmen dieser lange Zeit besten ZDF-„Herzkino“-Reihe (der Kritiker hat bis auf drei Filme alle gesehen), schneidet der Film von Eibe Maleen Krebs nach dem Drehbuch von Thomas Kirdorf und Magdalena Ulrich recht gut ab. Liebe und erotische Anziehung werden nicht zum Hauptthema hochgejazzt. Vielmehr stehen ökonomische Konflikte deutlich im Vordergrund: Die Abläufe einer Privatinsolvenz und das Schreckgespenst eines ausländischen Investors, das über der wildromantischen Szenerie wie ein Damoklesschwert schwebt, sind realistisch dargestellte Motive, die der Geschichte eine gewisse Erdung verleihen. Die Schauspieler sind überzeugend; beim Cast der hauptsächlich griechischen Charaktere gibt es keine faulen Kompromisse. Friederike Linke hätte man zwar gern weiterhin lieber am „Tisch in der Provence“ gesehen, als kleine Reminiszenz an diese etwas andere „Herzkino“-Reihe bleibt zumindest ihr Satz „Der Tisch ist schön“. Und Varol Sahin beweist, dass eine Daily („Rote Rosen“) kein Hinderungsgrund für ein Primetime-Rolle sein sollte. Eine schöne Ruhe und Entspanntheit bringt Despina Pajanou mit ihrer Sofia ins Spiel: eine gastfreundliche Lebenskünstlerin, die sich gut mit Isabel versteht. Meist sitzt sie irgendwo in der Flora und malt. Die Lösung, wie sich diese Leidenschaft und die Vermarktung des Olivenöls gegenseitig befruchten könnten, ist eine charmante Buch-Idee. Die Stimmung hebt auch Adam Bousdoukos als kumpelhafter Makler, dem selbst der sture Silas nicht übelnimmt, dass er mit seiner Ex-Frau liiert ist.
Dass die Heldin es in der ersten Hälfte des Films kaum einmal schafft, etwas von der Schönheit Kretas mitzubekommen, ist der Geschichte geschuldet – und somit eine kluge narrative Entscheidung. Als die ersten kleinen Verschönerungen und Ausbesserungen am Haus erledigt sind, die Wogen zwischen der Deutschen mit ihren kreativen Geistesblitzen und dem kretischen Sturkopf fürs Erste geglättet sind, gerät die Insel dann jedoch mehr in den Blick. Mal ist es die Perspektive der Deutschen, mal sollen die mediterranen Postkartenansichten allein die Zuschauer*innen verwöhnen, denen nach einem langen Winter nach solchen Reizen dürstet. Bildgestaltung und Erzählrhythmus wirken insgesamt allerdings stimmig. Nicht zuletzt, weil es auch Einstellungen gibt, in denen die Heldin die Landschaft durchstreift: ein wunderschöner Olivenhain, ein zufriedenes Lächeln, die Sonne, eine Hängematte. Diese Art charakterorientierte Naturromantik dürfte es im „Herzkino“ gern öfter mal geben. So etwas muss jedoch zur Figur und zur Schauspielerin passen: Friederike Linke ist – wie sie bereits in der besagten ZDF-Sonntagsreihe „Ein Tisch in der Provence“ gezeigt hat – für diese Art der visuellen Sensibilisierung eine gute Wahl. Keines dieser typischen Seifenopern-Gesichter.
Wie gesagt: Verglichen mit der „Ein Sommer“-Reihe und erst recht den anderen Einzelstücken des „Herzkino“-Labels liegt „Ein Sommer auf Kreta“ deutlich über dem Durchschnitt. Weitet man jedoch den Blick und fragt sich, was alles möglich wäre auf dem Feld unterhaltsamer TV-Geschichten jenseits von Krimi und Komödie, dann relativiert sich der Eindruck deutlich. Das ZDF versucht, mit neuen Sonntags-Reihen wie „Dr. Nice“, „Familie Anders“ oder „Freunde sind mehr“ etwas frischen Wind ins leichte Genre zu blasen, eine Generalüberholung benötigen aber auch die bestehenden Formate. Für einen Film wie „Ein Sommer auf Kreta“ hieße das vor allem: weniger 08/15-Dramaturgie und noch mehr Character Driven. Eine wie Isabel ist schon mal ein Anfang: eine kluge, verständnisvolle Frau, voller Ideen, und obwohl sie von ihrem Partner übers Ohr gehauen wurde, will sie sich ihre Gutgläubigkeit und ihr integres Wesen nicht nehmen lassen. Und so lässt sie sich auch nicht anstecken von der mitunter schroffen Art ihres „Kontrahenten“, dessen Einstellung sich im Minutentakt ändert.
Lässt sich dieses wankelmütige Verhalten eventuell auch als typisch griechisch lesen oder als ein Verhalten aus existentieller Not, so ist es doch vor allem aus der Dramaturgie heraus geboren. Der Kritiker würde sagen: Je weniger solche Zwänge deutlich werden, je mehr sie spielerisch und mit einem Augenzwinkern umgangen werden, umso besser. Statt der handelsüblichen Spannung zwischen dem „Paar“, die oft künstlich wirkt, hätte ein kleiner, origineller, originär griechischer Nebenplot, der beispielsweise etwas kretische Mentalität spiegelt, der Geschichte gut getan. Man erinnere sich nur an den wunderbaren ARD-Freitagsfilm „Meine Tochter, Kreta und ich“ (2022) mit Fabian Hinrichs als überforderter Vater. Oder man denke an eine ähnliche Geschichte mit identischer Ausgangssituation in dem Film „Faraway“ (2023), die allerdings nicht auf Kreta, sondern in Kroatien spielt. Dass die Heldin weit über 50 ist und der Film von Netflix in Auftrag gegeben wurde, sollte das sonst so diversitätsbewusste ZDF nachdenklich stimmen. (Text-Stand: 29.3.2023)