Ein Schritt zum Abgrund

Petra Schmidt-Schaller, Stetter, Britta Stöckle, Alexander Dierbach. Der Liebesverrat

16.11.2024 20:15 ARD alle 4 Folgen
21.11.2024 20:15 HR Folgen 1+2
28.12.2024 21:00 HR Folgen 3+4
05.04.2025 20:15 NDR Folgen 1+2
Foto: Degeto / Boris Laewen
Foto Rainer Tittelbach

Als Jana ein langes blondes Haar auf dem Schal ihres Mannes bemerkt, beginnt sie an der Treue ihres scheinbar so perfekten Gatten zu zweifeln und spioniert ihm hinterher. Überall sieht sie plötzlich potenzielle Konkurrentinnen, findet aber (erst mal) keine Beweise… Wie eine erfolgreiche Frau, die in ihrer Ehe glücklich ist und mit beiden Beinen fest im Leben steht, mehr und mehr den Boden unter den Füßen verliert, davon erzählt die vierteilige Mini-Serie „Ein Schritt zum Abgrund“ (Degeto / ITV Studios Germany). Der Titel legt nahe, dass etwas dran sein muss an dem Verdacht. Und er legt auch nahe, dass sie nicht weggucken, sondern irgendwann die Konfrontation suchen wird, und dass das Ganze wohl kaum mit Versöhnung enden dürfte. Bei dieser Geschichte nach einer britischen Vorlage, konzentriert geschrieben (Buch: Britta Stöckle) und kongenial feinfühlig inszeniert (Regie: Alexander Dierbach), kann man lange Zeit nicht sicher sein, wohin die Reise geht. Will Jana ihr Recht oder nur Rache? Petra Schmidt-Schaller als absolute Identifikationsfigur, aber auch als ambivalent gezeichnete Ehefrau, die kein Opfer sein will, liefert eine ihrer bisher reifsten Leistungen, auch Florian Stetter überzeugt als Sunnyboy in der Midlife-Krise. Drei Stunden anschlussfähige, emotionale Hochspannung ohne Mord, Todschlag und ohne Polizei!!!

Jana (Petra Schmidt-Schaller) und Christian Hansen (Florian Stetter) merkt man die fünfzehn Jahre Ehe nicht an. Jeder der beiden freut sich auf den anderen, sie gehen sogar im Alltagsstress liebevoll miteinander um und ihr sexuelles Verlangen aufeinander ist immer noch sehr groß. Ihr beider Glücksstern ist darüber hinaus ihre zehnjährige Tochter Lotta (Tilda Wunderlich). Und auch finanziell können die Ärztin und der Projektentwickler nicht klagen; in Husum können sie sich sogar ein Häuschen mit Meerblick leisten. Die Beziehung bekommt allerdings von Seiten Janas einen Knacks, als sie ein langes blondes Haar auf dem Schal ihres Mannes bemerkt. Von da an beginnt sie an der Treue ihres so perfekten Gatten zu zweifeln. Überall sieht sie plötzlich potenzielle Konkurrentinnen. Fasst die gemeinsame Freundin (Tessa Mittelstaedt) ihn nicht vielleicht doch etwas zu vertraut an? Oder Christians Assistentin (Merle Collet): die ist nicht nur ganz schön blond, sondern auch überaus attraktiv. Und ist es normal, wie eine befreundete Patientin (Anna Loos), ebenfalls ziemlich blond, ihn anstrahlt? „Er liebt nur dich“, beruhigt sie ihre Kollegin Pari (Neda Rahmanian). Zumindest die hat schwarze Haare. Trotzdem spioniert Jana ihrem Mann hinterher. Ist er tatsächlich fast jeden Tag nach der Arbeit bei seinem kranken Vater (Hermann Beyer)? Noch findet sie keine Beweise. Und noch fühlt sie sich nicht im Stande, Christian mit ihrem Verdacht zu konfrontieren.

Ein Schritt zum AbgrundFoto: Degeto / Boris Laewen
„Ist das meine Liebe? / Stell noch einmal diese Frage, / sprich noch einmal mit dieser sanften Stimme / und blick noch einmal aus den wunscherfüllten Augen…“ Dieses Gedicht, das Jana (Petra Schmidt-Schaller) im Internet findet und im Film immer wieder in Gedanken rezitiert, gibt ein Versprechen auf einen möglichen Ausgang… Kann diese Nähe, diese so glücklich erscheinende Ehe Lüge sein? Florian Stetter

Wie eine erfolgreiche Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht, mehr und mehr den Boden unter den Füßen verliert, davon erzählt die vierteilige Mini-Serie „Ein Schritt zum Abgrund“. Der Titel legt nahe, dass etwas dran sein muss an dem Verdacht. Und er legt auch nahe, dass sie nicht weggucken, sondern irgendwann die Konfrontation suchen wird, und dass das Ganze wohl kaum mit Versöhnung enden dürfte. Anfangs will diese Frau, die für gewöhnlich alles unter Kontrolle hat, noch über diesen „banalen“ Dingen stehen. „Ich werde nicht die betrogene Ehefrau geben. Ich lass aus mir kein Opfer machen“, sagt sie. Dass ihr Gegenüber bei diesem Gespräch ein Ex-Kollege (Tilo Nest) ist, den sie wegen seiner ständigen Trunkenheit gefeuert hat und der momentan nach dem Tod seines Partners noch verzweifelter ist als sie, lässt tief blicken. Jana ist ihrem Mann von München, wo sie Karriere in der medizinischen Forschung hätte machen können, in seinen Heimatort an der Nordsee gefolgt. Ihre Freunde sind seine Freunde. Sie steht also auch – was ihr soziales Umfeld angeht – auf ziemlich verlorenem Posten. Aber diese Frau wird kämpfen, weniger um ihren Mann als um ihre Existenz. Denn mit Hilfe ihres befreundeten Nachbarn (Johann von Bülow), der sie bisher nur mit Blicken ausgezogen hat, erfährt sie, dass für Jana sehr viel mehr als nur ihre Ehe oder das Sorgerecht auf dem Spiel steht. Und dann macht ihr auch noch die Ärztekammer die Hölle heiß. „Zur Hölle, zur Hölle / noch bleib ich ruhig“, erinnert sie sich an ein Gedicht aus dem Internet. „Der Himmel kennt keinen Zorn so mächtig wie in Hass umgeschlagene Liebe…“ Will Jana ihr Recht oder nur Rache?

Ein Schritt zum AbgrundFoto: Degeto / Boris Laewen
Ein Sinnbild: Jana (Petra Schmidt-Schaller) ist in Husum auf sich allein gestellt. Ihre Freunde sind die Freunde ihres Mannes. Und selbst ihre zehnjährige Tochter Lotta (Tilda Wunderlich) wendet sich von ihr ab und möchte bei ihrem Vater wohnen.

Bei dieser Geschichte, konzentriert geschrieben (Buch: Britta Stöckle) und kongenial feinfühlig inszeniert (Regie: Alexander Dierbach), kann man lange Zeit nicht sicher sein, wohin die Reise geht. Wenn eine so selbstbewusste, von sich überzeugte Frau verunsichert wird, ist ihr alles zuzutrauen. Und bei diesem Gedicht, in dem die Hölle mal wieder die anderen sind und in dem das Wort „Rachegöttin“ auftaucht, überkommt einen schon so eine gewisse Ahnung. Angelegt in der Figur sind von Anfang an mehrere Seiten: Jana ist klug, aber auch eigenwillig, konsequent, radikal und unberechenbar. Als ihr in der Praxis ein Fall von häuslicher Gewalt unterkommt, wird sie zur Furie, droht dem Täter mit Folter. Dem Ex-Kollegen hingegen verordnet sie, nachdem sie ihm kaltherzig die Kündigung ausgesprochen hat, wenig später einen sanften Entzug bei Freunden. Sie hat das Zeug zur treu liebenden Ehefrau, für die Ehrlichkeit und Offenheit oberstes Gebot sind, sie hat aber auch einen Hang zur modernen Medea, bei der trotz hoher Intelligenz die Vernunft schon mal aussetzt. All das verkörpert Petra Schmidt-Schaller auf beeindruckende Weise. Großartig wie sie zwischen den verschiedensten Tonlagen switcht und wie sie in Interaktionsszenen das (Falsch-)Spiel im Spiel beherrscht. Gefühlt ist sie in jeder Sequenz. Der Zuschauer befindet sich auf Augenhöhe mit ihr, bekommt die entscheidenden Plot-Informationen aus ihrer Perspektive präsentiert. Auch wenn sie manipulativ ist, ihren Plan auf Kosten anderer durchzieht, ist Schmidt-Schallers Jana dramaturgisch eine 100%ige Identifikationsfigur. Das erklärt den enormen Sog, den die Handlung trotz dieses auf den ersten Blick nicht unbedingt weltbewegenden, dafür allerdings umso anschlussfähigeren Konflikts von Beginn an erzeugt. Mit der Zunahme der existentiellen Probleme nimmt für die Hauptfigur die Bedrohung zu. Bei dieser Geschichte hängt der Zuschauer spürbarer am Haken als bei jenen Handlungsungetümen, bei denen eine Unzahl an Geschichten verquirlt wird, bevor sie am Ende kompliziert enträtselt werden.

Ein Schritt zum AbgrundFoto: Degeto / Boris Laewen
Blondinen bevorzugt. Nachdem Jana (Petra Schmidt-Schaller) ein blondes Haar auf dem Schal ihres Mannes entdeckt, sieht die Ärztin überall nur blond. Valerie Huber

Es muss nicht immer Krimi und Thriller sein, um Interesse an einer Geschichte zu wecken und Hochspannung zu erzeugen. Ehe und Beziehung bieten Realismus, Fallhöhe und dramatische Ausnahmesituationen gleichermaßen. Und so gibt es auch hierzulande erfreulicherweise seit Kurzem Produktionen, die sich den US-Serienhit „Big Little Lies“ zum (erklärten) Vorbild genommen haben. Am überzeugendsten waren bisher „Neuland“ (ZDF) und „Die Zeit, die es nicht gab“ (ORF/ARD). Den größten Erfolg beim Zuschauer hatte allerdings der Siebenteiler „Gestern waren wir noch Kinder“ (ZDF), der zwar auf ein cleveres, (bisweilen etwas zu) wendungsreiches Drehbuch setzt, der filmisch wie dramaturgisch aber zu sehr Soap ist. In „Ein Schritt zum Abgrund“ geht es zwar auch um bröckelnde bürgerliche Fassaden, um Ehe-Betrug und Kleinstadt-Verlogenheit, doch das dreistündige Drama erzählt in einem anderen Format und kommt ganz ohne Mord, Todschlag und ohne Polizei aus. Der Vierteiler ist entstanden nach einem britischen Vorbild: der erfolgreichen BBC-Serie „Doctor Foster“. In beiden Serien entwickelt sich die Handlung aus dem Innenleben der Hauptfigur: Ihre Ahnungen, dann ihre verletzten Gefühle, schließlich ihre Wut und ihr Hass treiben die Geschichte an. Der potenzielle Thrill entspringt ausschließlich der Rachesehnsucht von Jana Hansen. Diese destruktive Kraft ist im Übrigen nicht die Reaktion auf den Seitensprung, der sich immerhin als zweijährige Affäre entpuppt, sondern ist die Reaktion auf die Lüge. Sagt ihr doch der von Florian Stetter als Sunnyboy in der Midlife-Krise, den alle einfach nur mögen können, ebenfalls sehr stimmig gespielte Ehemann mitten ins Gesicht: „Glaubst du wirklich, ich könnte dir so was antun?“ Die Pause zwischen Janas Frage und Christians Antwort ist unerträglich lang. Diese Pause markiert die Leere, die urplötzlich zwischen den beiden entstanden ist. „Ich hab‘ keine Affäre.“ Dieser Satz ist der ultimative Verrat an ihrer Liebe.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Serie & Mehrteiler

ARD Degeto

Mit Petra Schmidt-Schaller, Florian Stetter, Tilda Wunderlich, Valerie Huber, Neda Rahmanian, Tilo Nest, Johann von Bülow, Tessa Mittelstaedt, Anna Loos, Oliver Stokowski, Lo Rivera, Husam Chadat, Merle Collet, Axel Werner

Kamera: Ian Blumers

Szenenbild: Ellen Latz

Kostüm: Andreas Janczyk

Schnitt: Nina Meister, Nathalie Pürzer

Musik: Fabian Römer

Redaktion: Diane Wurzschmitt, Christoph Pellander

Produktionsfirma: ITV Studios Germany

Produktion: Christiane Ruff

Drehbuch: Britta Stöckle – nach dem Vorbild der BBC-Serie „Doctor Foster“

Regie: Alexander Dierbach

Quote: (1-4): 4,35 Mio. Zuschauer (17,3% MA); Wh. (2024): 2,32 Mio. (10,5% MA)

EA: 23.03.2023 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach