Sophie Haas hat einen Albtraum: Nicht sie erhält die ersehnte Stelle bei der Kölner Polizei, sondern Heike Schäffer. Und der Kölner „Oberkommissariatsleiter“ Hans-Peter Jogereit (Matschke) lässt auf einen ganzen Berg von Sophie-Haas-Akten den überdimensionalen „Abgelehnt“-Stempel niedersausen. „Sie werden Hengasch niemals verlassen“, sagt Jogereit hämisch und tanzt schadenfroh durch sein Büro. Die wütende Haas beendet den Spuk im Halbschlaf mit einem Schwinger, der ihren Freund Jan (von Bülow) für den Rest des Films „Ein Mord mit Aussicht“ mit einer aufgeplatzten Oberlippe zeichnet. Was bei der Aufklärung des hier erzählten Mordfalls noch eine Rolle spielen wird. Das Opfer ist der reale Jogereit, der Haas tatsächlich als Bewerberin abgelehnt hatte. Er besitzt in Hammelforst, einem Nachbarort von Hengasch, ein Ferienhaus und wird dort nachts erschossen aufgefunden. Und weil Sophie Haas am Tatort mit der Tatwaffe herumfuchtelt, gerät sie unter Mordverdacht. Das Hammelforster Polizei-Trio um Sandra Holm (Proll) nimmt Haas, Bärbel & die Schäffers mit auf die Wache, wo die Kommissarin in Einzelverhören versucht, das Geschehen aufzuklären.
Foto: WDR / Michael Böhme
Bereits die Traum-Szene zu Beginn weist den Weg bei diesem Einzelstück, das der WDR als „Geschenk an die Fans“ (Redakteurin Nina Klamroth) produzieren ließ. Es geht absurd und übertrieben zu, neue Figuren und neue Schauplätze erweitern das bekannte Setting der Serie. Zugleich hält sich das von Jan Schomburg („Über uns das All“) inszenierte Weihnachts-Special an das Bewährte. Im Mittelpunkt stehen die Figuren, die knuffigen Drei von der Polizei aus Hengasch plus Heike Schäffer (Petra Kleinert). Sophie Haas (Caroline Peters) will noch immer weg aus der Eifel, die liebenswerte Bärbel (Meike Droste) sehnt sich als junge Mutter ganz besonders nach Harmonie, und Faultier Dietmar (Bjarne Mädel) ist nach seiner feucht-fröhlichen Geburtstagsparty noch verschlafener als sonst. Der Mordfall dient – wie in der Serie – weniger der Spannung und unterliegt hier ebenfalls den Gesetzen der Komödie, wonach zum Beispiel die besten Geistesblitze der dümmste aller Protagonisten hat.
Das Besondere an diesem Special: Die Beziehungen zwischen den Protagonisten werden auf eine ungewöhnliche Art erzählt. Denn jede und jeder der Beteiligten erinnert sich im Verhör auf unterschiedliche Weise an den Tag und die Ereignisse vor der Tat. Die clevere Idee des multiperspektivischen Erzählens von Drehbuch-Autor Benjamin Hessler („Mordkommission Berlin 1“) inszeniert Schomburg üppig in stark überzeichneten Traum- und Erinnerungs-Sequenzen. Die in satten Farben schwelgende Bildgestaltung (Kamera: Marc Comes), die zum Teil schrillen Kostüme, die Genre-Zitate (Dietmar als Western-Held im Kino-Format), die Verspieltheit und formalen Grenzüberschreitungen geben dem Film „Ein Mord mit Aussicht“ eine ganz eigene, unterhaltsame Note im Vergleich zur doch ziemlich konventionell gedrehten Serie. Allerdings ist die Qualität schwankend. Das dick Aufgetragene, Übertriebene kann auch leicht nerven, wenn es ins Plumpe und Alberne abgleitet. Was hier ab und zu geschieht, bei Schäffers Geburtstagsparty in der Gaststätte zum Beispiel. Dann geht etwas von der Qualität der Serie verloren, deren Komik vor allem durch die fein ausgetüftelten Dialoge und das hinreißende Spiel insbesondere von Peters, Droste, Mädel und Kleinert entsteht. Dann wirkt der Film eher wie ein Kindergeburtstag, den man gemeinsam mit seinen Fans feiern will.
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Aber es gibt auch Szenen, die echte Perlen sind: Petra Kleinert hat als Heike Schäffer einen großartigen Auftritt im glitzernden Fummel, ihrem „Bär“ ein Geburtstagsständchen singend. Die derbe Variante ist, wenn „Muschi“ in rosa Unterwäsche mit einem gewaltigen Laubbläser in der Hand als Geschenk für Dietmar am gemeinsamen Bett steht. „Ich habe Einblick bekommen in Dinge, die wollte ich gar nicht alle wissen“, sagt die genervte Kommissarin Holm treffend. Die Differenz zwischen der filmischen Realität und den einzelnen Erinnerungen hat ohnehin ihren eigenen Reiz. So wird die einzige in Hengaschs Polizeiwache spielende Szene, als Dietmar am Morgen die Geburtstagsgeschenke entgegennimmt, später aus vier verschiedenen Blickwinkeln gespiegelt: Ein Ereignis – vier Realitäten, den unterschiedlichen Charakteren und Gemütslagen entsprechend. Das ist keine neue, wahnsinnig innovative Idee, aber doch eine interessante Variation der Serie. Leider überzeugt auch hier das bisweilen schrille, stark überzeichnete Spiel nicht immer.
Im Gegensatz zur Serie ist allerdings die Polizeiwache in Hammelforst der Haupt-Schauplatz. Großzügige, moderne Räume, ein höhenverstellbarer Tisch im Verhörraum und sogar eine moderne Toilette: Die Kolleginnen und Kollegen aus Hengasch staunen nicht schlecht über diese komplett andere Welt, die sich hinter dem Ortsschild von Hengasch auftut. Die Eifel einmal anders. Bereits das schicke, angeberische Jogereit-Ferienhaus bietet einen extremen Kontrast zur biederen Bürgerlichkeit im Nachbarkaff. Aber manche Probleme sind ähnlich: Sehr komisch, wie Bärbel mit der Schiebetür kämpft, die das Badezimmer nicht wirklich abschließt. Als Sophie Haas und ihre Leute dort tagsüber das erste Mal auftauchen, weil der Gärtner einen Einbruch gemeldet hat, kann sich die abgewiesene Kommissarin voller Genuss an Jogereit rächen, indem sie die superkorrekte Beamtin spielt. Am Abend während Schäffers Geburtstagsparty ruft Jogereit an und bittet Haas, erneut zum Haus zu kommen. Dass sie dort tatsächlich Jogereit erschossen haben könnte, glaubt natürlich kein Mensch – außer Holm. Proll spielt tapfer als humorlose Ermittlerin gegen diese „unmögliche“ Rollenbeschreibung an und versucht klugerweise nicht, witziger zu sein als die seltsamen Gestalten vor ihr.
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Und: Erfreulich, dass hier das übliche Personal mal durch eine ungewöhnliche Besetzung ergänzt wird, denn in Hammelforst gibt es auch einen dunkelhäutigen Polizisten namens Philip Schröder (Dave Davis). Während sich sein junger, weißer Kollege Dominik (Malte Sundermann) in naiver Bewunderung für Holm ergeht, ist Philip die Ruhe und Selbstsicherheit in Person. Diese Normalität ist schön und gut, aber der Figur fehlen prägnante Szenen, um wirklich interessant zu sein. So ist es doch vor allem wieder die Hautfarbe, die in den Vordergrund rückt. Als Sophie Haas erklärt, Jogereit sei „von einem schwarzen Mann erschossen worden“, gemeint war ein schwarz gekleideter Mann mit Ski-Maske, wirft ihr Holm „latent rassistische Ermittlungsmethoden“ vor. Holm gehört zu denjenigen, die eine politisch korrekte Ausdrucksweise einfordern, aber sich selbst keinesfalls immer sensibel verhalten. So klärt sie ihre Kollegen aus Hengasch ausdrücklich darüber auf, dass Philip in Gerolstein geboren, deutscher Staatsbürger sei und auch das Recht habe, als solcher behandelt zu werden. Philip steht sichtlich unangenehm berührt daneben und versucht vergeblich zu Wort zu kommen. Diese Szene darf man wohl als bissigen Kommentar gegen übereifrige Korrektheit verstehen. Klasse außerdem, wie das Ganze in einen trocken-komischen Dialog mündet, samt Subtext zu Heimat und Herkunft. Dietmar zu Philip: „Kennen Sie den Grabowski?“ Philip: „Nee.“ Dietmar: „Der kommt auch aus Gerolstein.“ Heike: „Nee, der kommt aus Daun.“ Dietmar: „Geboren in Daun, aufgewachsen in Gerolstein.“ Heike: „Also kommt er aus Daun.“ Bärbel (entschieden): „Jaa, stimmt.“ Trotz aller Überzeichnung gibt es also auch hier diese großen kleinen, „Mord mit Aussicht“-typischen Momente.
Wie aber geht’s mit der Serie weiter? Im Sommer hatte die ARD verkündet, dass „Mord mit Aussicht“ vorerst eine Pause einlegen werde. Eine vierte Staffel liegt auf Eis, der 90-minütige Film markiert diese „kleine Zäsur“, wie Redakteurin Klamroth jüngst bei der Premiere beim Krimi-Festival „Tatort Eifel“ im September in Daun sagte. Täglich erreiche den WDR Zuschauerpost, was auch damit zu tun haben dürfte, dass die Serie zeitweise beinahe täglich im Ersten, in einem der Dritten oder bei EinsFestival wiederholt wurde. Das fand nicht jeder lustig, Bjarne Mädel äußerte sich entsprechend in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Dass Mädel aus der Serie ausgestiegen sein könnte, dementierte Klamroth. Allerdings ist noch völlig offen, wie lange die „kleine kreative Pause“ dauern wird. Klamroth: „Wir überlegen, wie es weitergehen kann. Da brauchen wir vielleicht noch einen Moment.“